Die Neckermanns

Die Neckermanns

von: Thomas Veszelits

Campus Verlag, 2005

ISBN: 9783593416076

Sprache: Deutsch

440 Seiten, Download: 13647 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die Neckermanns



Kapitel 16

»Ich war damals so jung, so ungestüm und auch ein bisschen verwirrt« (S. 231-232)

Die Vergangenheit holt Neckermann ein

Oberursel Weißkirchen, 873 Kilohertz. Das kannte man. Das war der Standort von American Forces Network (AFN). Es gab flotte Musik mit einer Moderation, für die es noch lange in Deutschland nichts Vergleichbares gab. Manche Zeitzeugen meinten überspitzt: »Wenn die Amerikaner damals in den ersten Besetzungsjahren etwas wirklich richtig machten, dann war es ihr Radioprogramm. Es lieferte neue Impulse, das Signal für ein neues Leben.« Doch damit kein falsches Bild entsteht: Der Jazz, die Synkopen von Duke Ellington, der Swing von Glen Miller und Benny Goodman, der völlig neuartige Bebop mit Charlie Parker waren nur die Garnierung. Im Mittelpunkt standen die Radiospots als Propaganda für die Truppenmoral. Da hieß es zum Beispiel: »Die Deutschen müssen lernen, dass sich Kriegführen nicht lohnt. Sie müssen dies auf die harte Tour lernen. Wenn du freundlich mit ihnen umgehst, werden sie dich für weich halten.« In einem lange Zeit gesendeten Spot war die AFN-Botschaft noch unmissverständlicher: »Im Herzen, Körper und Geist ist jeder Deutsche Hitler. Hitler ist der einzige Mann, der für die Glaubenssätze der Deutschen steht. Schließe keine Freundschaft mit Hitler. Fraternisiere nicht mit den Deutschen!«

Unweit der AFN-Station mit dem hohen Sendemast befand sich das neue Domizil der Familie Neckermann. Die lange Baracke mit einem schmalen Gang, auf den sich die Zimmer öffneten, glich einem Eisenbahnwagon. »Die Kinder fühlen sich in ihren Zimmern mit den Betten übereinander wie in einem Schlafwagen«, beschrieb Josef Neckermann das neue Heim. »Es war aufregend, romantisch, im Garten hatten wir Gänse, Enten und zwei Schäferhunde. Für die Kinderschar war es ein kleines Eldorado.«

Von neuem Elan gepackt, wurde der Aufbau eines neuen Versandhauses fieberhaft vorbereitet. Tag und Nacht. Aus dieser Zeit stammte auch Neckermanns Leitsatz: »Ich kenne keine schönere Freizeitbeschäftigung als die Arbeit.« Entscheidend, wann man mit dem Versand beginnen konnte, war die Erstellung einer Kundenkartei. Das Problem der Adressenbeschaffung war größer als man sich vorgestellt hatte. Das hing nicht nur damit zusammen, dass in deutschen Städten kaum mehr ein Stein auf dem anderen stand, sondern auch mit den Flüchtlingen, die ins Land kamen. Schon in den letzten Tagen hatte die größte Völkerwanderung in der Geschichte Europas eingesetzt. 4,5 Millionen Menschen kamen aus Schlesien, 3,5 Millionen aus dem Sudetenland, 2,4 Millionen aus Ostpreußen, 2,4 Millionen aus Pommern, 2,5 Millionen aus Polen, 300 000 aus dem Baltikum, 250 000 aus dem Balkan, 200 000 aus Ungarn und 50 000 aus Rumänien. Insgesamt waren es 16,1 Millionen Zuwanderer.

Für Neckermann galt es, diese Menschen für sein Versandunternehmen zu gewinnen. Der Anfang war Sisyphos-Arbeit. Neckermann tat sich mit den Kaffeeversendern zusammen, die in den Textilern keine Konkurrenz sahen und zum Adressentausch bereit waren. Er zapfte die Arbeits- und Flüchtlingsämter an, Gewerkschaften und Bauernverbände, um an deren Mitgliederkarteien heranzukommen. In Köln etablierte sich eine der ersten professionellen Agenturen für Anschriften. In Zusammenarbeit mit den Standesämtern sammelte sie die Anschriften der Frischvermählten. Diese Daten konnte man gegen eine Gebühr erwerben. Gerda Singer erinnerte sich: »Wir hatte bei allen unseren Mitarbeitern angeregt, meist Flüchtlinge aus dem Osten, uns über Bekannte und deren Freunde Personen zu nennen, die wir als künftige Kunden anschreiben könnten. Dabei waren wir überrascht, wie lange es dauerte bis man hundert Adressen zusammen bekam. Zehn-, Hunderttausende wurden gebraucht. Eine Million war unser Ziel.«

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