Funktionsstörungen und funktionelle Störungen

Funktionsstörungen und funktionelle Störungen

von: E. Biesinger, Heinrich Iro

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540267799

Sprache: Deutsch

154 Seiten, Download: 2968 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Funktionsstörungen und funktionelle Störungen



3 Die subjektive Seite der Dysphonie (S. 40)

3.1 Paradigmenwechsel in der Medizin – Psychosomatik als Einstellung

In den letzten Jahren fand bei der Bewertung der medizinischen Diagnostik und Therapie ein Paradigmenwechsel statt. Neben den biologischen Kriterien von Krankheiten und Störungen finden heute psychosoziale Aspekte zunehmend eine gleichwertige Berücksichtigung. So gilt in der Medizin nunmehr auch das subjektive Erleben der Patienten als bedeutsamer Endpunktparameter.

Dies betrifft gleichermaßen die Inhalte des Behandlungsprozesses und die Kommunikation mit dem Arzt und gilt sowohl bei Patienten mit benignen als auch mit malignen Erkrankungen, wenn auch mit unterschiedlichem Schwerpunkt. Losgelöst von der Terminologie der ärztlichen Weiterbildungsordnung erfüllt dieses Prinzip nach der Begrifflichkeit des Wissenschaftsrates die Kriterien der Psychosomatik, die als eine Einstellung zu begreifen ist und die den Rahmen beschreibt, in dem sich die moderne praktische Medizin bewegen sollte.

Wichtig Psychosomatik bedeutet die gleichwertige Berücksichtigung biologischer und psychosozialer Aspekte von Krankheiten und Störungen.

3.2 Die psychosoziale Dimension der Dysphonie
In Unkenntnis oder Ablehnung der psychosozialen Dimension standen Patienten mit (funktionellen) Dysphonien in der Vergangenheit häufig im Verdacht, ihre Störungen über zu betonen [51]. Diese Einschätzung ist nach nosologischen Überlegungen unsinnig,denn funktionelle Dysphonien könnten prinzipiell auch den somatoformen Störungen zugeordnet werden, bei denen ein körperliches Symptom ohne pathologisches Organkorrelat das Leitsymptom darstellt. Und dies gilt losgelöst von der individuellen Ätiologie für die Mehrzahl von Patienten mit funktionellen Dysphonien. Es ist also zu prüfen, ob sich die psychosoziale Dimension bei Patienten mit organischen Stimmstörungen anders darstellt als die bei Patienten mit funktionellen Störungen, denn nur dann wäre überhaupt die Bewertung als somatoforme Störung zulässig.

Wichtig Die Annahme, funktionelle Stimmstörungen seien Ausdruck einer psychischen Störung, muss zunächst vor dem Hintergrund gültiger Krankheitsklassifikationssysteme geprüft werden. Die weiter unten dargelegten Forschungsergebnisse werden belegen, dass eine psychische Genese von Stimmstörungen zwar grundsätzlich möglich, aber doch sehr selten ist. In jedem Einzelfall sollte geklärt werden, ob denn eine angenommene oder tatsächliche psychosoziale Auffälligkeit eines dysphonen Patienten überhaupt einen Krankheitswert hat und, wenn dies so ist,ob diese die Ursache oder aber die Folge der Dysphonie ist. Häufiger dürfte eine psychosoziale Auffälligkeit eines dysphonen Patienten unabhängig von der Stimmstörung bestehen.

Der »klinische Blick« und holzschnittartig einfache Entscheidungskategorien dürften eine diagnostische Zuordnung kaum leisten. In einer qualitätsgesicherten Medizin sollte die Bewertung der psychosozialen Dimension auf der Basis valider Untersuchungsverfahren erfolgen.

Eine ggf. erforderliche Behandlung psychosomatischer Störungsaspekte hat mit Verfahren zu erfolgen, deren Wert gesichert ist. Je nach Lage des Einzelfalles ist ein interdisziplinäres Vorgehen erforderlich, in dem biologische, psychische und soziale Ursachen, Folgen und Bedingungsfaktoren integriert berücksichtigt werden.

Wichtig
Die gemeinsame Betrachtung biologischer, psychischer und sozialer Aspekte von (Stimm)störungen bedarf einer professionellen Aus-, Fortund Weiterbildung. Die psychosozialen Aspekte können in einer zeitgemäßen Medizin nicht mehr nur quasi »im Nebenschluss« gewürdigt werden.

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