Pacific Private - Kriminalroman

Pacific Private - Kriminalroman

von: Don Winslow

Suhrkamp, 2010

ISBN: 9783518742006

Sprache: Deutsch

394 Seiten, Download: 1785 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Pacific Private - Kriminalroman



04


»Galaktisch krasse Freakwaves, klassischer Fall von hammerhart.« So umschreibt Hang Twelve die herannahende große Wellenfront gegenüber Boone Daniels, der sogar versteht, was Hang Twelve meint. Rechts von Boone, im Süden, klatschen die Wellen bereits gegen die Stützpfeiler des Crystal Pier. Der Ozean ist schwer, angeschwollen, verheißungsvoll.

Die Surfer der Dawn Patrol – Boone, Hang Twelve, Dave the Love God, Johnny Banzai, High Tide und Sunny Day – sitzen auf ihren Brettern, reden und warten auf die nächsten Wellen. Alle tragen schwarze Neoprenanzüge, die sie von den Handgelenken bis zu den Fußknöcheln bedecken, denn das Wasser am frühen Morgen ist kalt, besonders jetzt, wo es vom nahenden Sturm aufgewühlt wird.

Die Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es so weit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben.

Wie Hang Twelve meinte, wird das ein »klassischer Fall von hammerhart«.

Grob übersetzt ist das ein Ausdruck der Anerkennung.

Auf alle Fälle gut wird es werden, das weiß Boone. Vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehen bekommen, zwei pro Minute. Double Overheads, Tubes wie Tunnel, echte Donnerbrecher, die einen problemlos mitreißen und in den Waschgang spülen.

Nur was für die besten Surfer.

Zu denen Boone gehört.

Die Behauptung, Boone sei schon gesurft, bevor er laufen konnte, mag übertrieben sein, doch er konnte früher surfen als rennen, und das entspricht der nackten Wahrheit. Boone ist der Inbegriff eines locie – abgeleitet von local; er wurde am Strand gezeugt, weniger als einen Kilometer davon entfernt geboren und er wuchs drei Häuserblocks weit von der Stelle auf, an der bei Flut die Brandung bricht. Sein Dad surfte, seine Mom surfte – daher auch die Empfängnis im Sand. Seine Mom surfte sogar bis weit in den sechsten Schwangerschaftsmonat hinein, weshalb es vielleicht doch nicht übertrieben ist zu behaupten, Boone sei schon gesurft, als er noch nicht laufen konnte.

Boone ist also sein ganzes bisheriges Leben lang – und länger – ein Mann des Wassers gewesen.

Der Ozean ist sein Hinterhof, sein Hafen, sein Spielplatz, seine Zuflucht, seine Kirche. Er besucht den Ozean, um zu genesen, sich zu reinigen und sich zu vergegenwärtigen, dass das Leben ein Wellenritt ist. Boone hält Wellen für erfahrbare Botschaften Gottes, durch die er uns wissen lässt, dass das Beste im Leben kostenlos ist.

Dieses Gefühl von Freiheit holt sich Boone jeden Tag, meist zwei oder drei Mal, aber immer, ausnahmslos immer, im Morgengrauen bei der Dawn Patrol.

Boone Daniels lebt für das Surfen.

Er möchte jetzt nicht über die große Wellenfront sprechen, denn es könnte die Wellenfront verderben, dazu führen, dass sie abflaut und in den unergründlichen Weiten des Nordpazifiks verebbt. Obwohl ihn Hang Twelve wie gewöhnlich mit einem Ausdruck unverstellter Heldenverehrung betrachtet, lenkt Boone das Gespräch auf eines der Standardthemen der Dawn Patrol von Pacific Beach.

Auf die Liste der Dinge, die gut sind.

Angefangen haben sie mit der Liste der Dinge, die gut sind, vor ungefähr fünfzehn Jahren, als der Gemeinschaftskundelehrer ihrer Highschool Boone und Dave aufforderte, sich zu überlegen, wo ihre »Prioritäten liegen«.

Die Liste ist flexibel, einzelne Posten kommen hinzu oder werden gestrichen, die Rangfolge verändert sich. Angenommen, jemand würde die aktuelle Liste der Dinge, die gut sind aufschreiben, was nicht der Fall ist, dann läse sie sich folgendermaßen:



  1. Double Overheads
  2. Reef Breaks
  3. Tubes
  4. Mädchen, die am Strand sitzen und zusehen, wie man Double Overheads, Reef Breaks und Tubes reitet (Was Sunny zu der Bemerkung veranlasste: »Mädchen gucken zu – Frauen reiten.«)
  5. Alles, was umsonst ist
  6. Bretter von Baltierri
  7. Alles von O’Neill
  8. Auslegerkanutinnen
  9. Fisch-Tacos
  10. Der Film Big Wednesday



»Ich schlage vor«, sagt Boone mit Blick auf die Wellenkämme, »wir stellen Fisch-Tacos über Auslegerkanutinnen.«

»Vom neunten auf den achten?«, fragt Johnny Banzai, und auf seinem ansonsten meist ernsten Gesicht macht sich ein Lächeln bemerkbar. Johnny Banzai heißt natürlich nicht wirklich Banzai. Er heißt Kodani, aber als radikaler, unerschrockener und unverwüstlicher Surfer japanisch-amerikanischer Herkunft bekommt man entweder den Spitznamen Kamikaze oder Banzai verpasst, so ist das nun mal. Boone und Dave the Love God hielten Johnny für viel zu vernünftig, um als selbstmordgefährdet gelten zu können, und entschieden sich für Banzai. Wenn Johnny Banzai keine Banzai-Angriffe reitet, ist er Kommissar bei der Mordkommission des San Diego Police Department, und Boone weiß, dass er sich über jede Gelegenheit freut, über etwas anderes zu reden als über Dinge, die ganz und gar nicht gut sind. Er springt also voll drauf an. »Letztlich beide einfach austauschen?«, fragt Johnny Banzai. »Auf welcher Grundlage?«

»Auf der Grundlage reiflichen Nachdenkens und sorgfältiger Überlegung«, antwortet Boone.

Hang Twelve ist schockiert. Der junge Soulsurfer starrt Boone voller verletzter Unschuld an, sein nasser Ziegenbart tropft auf das schwarze Neopren seines Winteranzugs, und als er den Kopf neigt, fallen ihm seine hellbraunen Dreadlocks auf die Schultern. »Aber Boone – Auslegerkanutinnen?«

Hang Twelve liebt die Frauen in den Auslegerkanus. Immer wenn sie vorbeipaddeln, setzt er sich auf sein Board und starrt ihnen hinterher.

»Pass auf«, sagt Boone, »die meisten von denen gehen für das andere Team an den Start.«

»Welches andere Team?«, fragt Hang Twelve.

»Er ist noch so jung«, bemerkt Johnny, und wie üblich trifft er mit dieser Bemerkung den Nagel auf den Kopf. Hang Twelve ist ein Dutzend Jahre jünger als die anderen von der Dawn Patrol. Sie tolerieren ihn, weil er ein begeisterter Surfer und Boones Schützling ist, außerdem gibt er ihnen im Surfladen, wo er arbeitet, Rabatt.

»Welches andere Team?«, fragt Hang Twelve hartnäckig.

Sunny Day beugt sich über ihr Board und flüstert ihm etwas zu.

Sunny sieht genau so aus, wie sie heißt. Ihre blonden Haare leuchten wie Sonnenlicht. Sie ist eine Naturgewalt, groß und langbeinig – das, was Brian Wilson meinte, als er schrieb, er wünschte sich, alle Mädchen wären California Girls.

Nur dass Brians Traumfrauen meist am Strand sitzen bleiben, während Sunny surft. Sie ist die beste von allen bei der Dawn Patrol, besser auch als Boone, und mit der anstehenden großen Wellenfront könnte sie den Sprung von der Kellnerin zur vollbeschäftigten Profisurferin schaffen. Ein gutes Foto von Sunny, wie sie eine große Welle durchpflügt, könnte ihr einen Sponsorenvertrag bei einer der wichtigsten Firmen für Surferklamotten einbringen, und dann wäre sie nicht mehr zu bremsen. Jetzt übernimmt sie es, Hang Twelve zu erklären, dass die meisten Frauen in den Auslegerkanu-Frauenmannschaften auf Frauen ausgelegt sind.

Hang Twelve stöhnt entsetzt auf.

»Du hast einem jungen Menschen gerade seine Illusionen zerstört«, wirft Boone Sunny vor.

»Muss nicht sein«, sagt Dave the Love God und grinst selbstgefällig.

»Fang gar nicht erst an«, sagt Sunny.

»Ist es meine Schuld«, fragt Dave, »dass mich die Frauen lieben?«

Eigentlich nicht, nein. Gesicht und Körperbau von Dave the Love God hätten im antiken Griechenland für einen echten Run auf Marmor gesorgt. Aber dass Dave so viel Sex kriegt, verdankt er gar nicht in erster Linie seinem Körper, sondern vor allem seiner Zuversicht. Dave vertraut darauf, dass man ihn flachlegen wird, und er übt einen Beruf aus, der ihm die perfekte Ausgangsposition verschafft. Er ist Rettungsschwimmer, und dadurch hat er Chancen bei jeder Touristenschnecke, die aus den Schneestaaten anreist, um sich in San Diego einen Sonnenbrand zu holen. Seinem Beruf verdankt er auch seinen Spitznamen. Johnny Banzai, der gerade das Kreuzworträtsel der New York Times mit Füller ausfüllte, meinte: »Du bist kein life guard, du bist ein love god. Kapiert?«

Ja, alle von der Dawn Patrol kapierten das, weil sie alle schon gesehen hatten, wie Dave the Love God auf seinen Rettungsschwimmerhochsitz klettert und, in Vorbereitung auf die bevorstehende Nacht und zum Ausgleich für die Anstrengungen der vergangenen, ganze Hände voll Vitamin-E-Pillen schluckt.

»Die drücken mir ein Fernglas in die Hand«, sagte er einmal voller Verwunderung zu Boone, »und verlangen ausdrücklich, dass ich spärlich bekleidete Frauen beobachte. Und dann behaupten tatsächlich Leute, es gebe keinen Gott.«

Sollte also überhaupt ein Hominide mit Schraubwerkzeug eine Auslegerkanutin (oder auch mehrere) dazu bringen, eine...

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