Deckfarbe - Ein 30er-Jahre-Roman aus Berlin

Deckfarbe - Ein 30er-Jahre-Roman aus Berlin

von: Renegald Gruwe

Gmeiner-Verlag, 2014

ISBN: 9783839243886

Sprache: Deutsch

332 Seiten, Download: 2010 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Deckfarbe - Ein 30er-Jahre-Roman aus Berlin



Kapitel 1


Der Dienstag war leer, und ihre Schönheit hatte sich nicht gezeigt. Auch der Mittwoch floss träge an ihm und seiner Staffelei vorbei. Am Donnerstag fand er kein Feuer mehr in ihren Augen. Am Freitag überlegte er, ob er lieber sie oder die Malerei aufgeben sollte. Die schlichte Tatsache, dass ihr Gatte in zwei Tagen von einer Gesandtschaftsreise wieder zurück nach Venedig kam, nahm ihm die Entscheidung ab.

Unwirsch schmierte der Maler das Kadmiumgelb in das Delftblau über ihrem Kopf und den darüber verschränkten Armen. Die Haare unter ihren Achseln hatte er betont, und auch ihre Scham fiel üppiger aus als in Wirklichkeit. Ursprünglich wollte er ihre Augen zum Mittelpunkt des Bildes machen. Aber von Tag zu Tag gingen der Glanz und die Faszination ihrer Aura verloren. Wie konnte es nur geschehen, dass bereits nach einer Woche verflogen war, was auf Leinwand für die Ewigkeit Bestand haben sollte? Hatte er sich diesmal denn so getäuscht? Das Bild war gar nicht mal schlecht, doch blieb dessen Aussage weit hinter der ursprünglichen Absicht zurück.

Nein, Maria hatte sich nicht verändert. Sie liebte wie am ersten Abend mit großer Leidenschaft. Ihren Mund hätte er nicht sinnlicher malen können, und auch ihre Brüste hatten auf der Leinwand nichts von ihrer erotischen Anziehungskraft auf den Maler eingebüßt. Nur ihre Augen. Ihr Blick. Der Maler fand keine Erklärung für das fehlende Leben, für das erloschene Feuer in ihren Augen, das ihn noch vor einigen Tagen magisch angezogen hatte.

Maria kleidete sich an, und als spürte sie die Unzufriedenheit des Künstlers mit seinem Werk, beschränkte sie die Verabschiedung auf einen flüchtigen Kuss. In den wenigen Tagen, seit sie sich kannten, hatte sie seine unberechenbaren Stimmungsschwankungen mehr als einmal kennengelernt.

Gustave Garoches hochgewachsene Figur konnte man getrost als schlank bis hager bezeichnen. Seine Größe überschritt knapp eins achtzig. Die Gesichtshaut, bartlos und wie der Rest seines Körpers ohne jegliche Bräune, war straff und hatte die Elastizität eines Fünfundzwanzigjährigen, nicht die eines Mannes in den Dreißigern. Um die Augen unübersehbarer Ernst, in einigen Zügen ein Hauch Melancholie. Zur scharfen Beobachtung neigend, verstörte er seine Mitmenschen mitunter durch ein Herabziehen der Brauen, seinen durchdringenden Blick. Gemeinsam mit der fast schon grimmig wirkenden Mundpartie vermittelte er so zunächst den Eindruck eines eher mürrischen Zeitgenossen.

Auf seinem Selbstporträt von 1931, das die Westwand seines Ateliers zierte, sah er aus, als plage ihn die Schwindsucht. Nur mit einer Lumpenhose bekleidet, den Oberkörper, aus dem die Rippen hervorstachen, frei, stand er barfuß vor seiner Staffelei, Pinsel und Palette in Rembrandt’scher Manier vor sich. Das wilde Farbspektakel im Hintergrund zeigte die Bucht und den Hafen von Neapel. Die Haare hingen ungepflegt herunter, und die Augen fixierten aus ihren tiefen Höhlen heraus den unbekannten Betrachter. Eduard, der ihn damals für einige Wochen besucht hatte, erschrak über die krasse Selbstwahrnehmung des Freundes.

Jetzt, im milden Frühjahr des Jahres 1936, trug der Maler das Haar kurz geschnitten, und man sah seiner körperlichen Verfassung die regelmäßige Ernährung und die ausgedehnten Spaziergänge auf dem Festland vor der Lagunenstadt an. Nachdem die Geliebte gegangen war, ließ sich Garoche von Caruso ablenken, dessen Tenor trotz des störenden Kratzens der Nadel auf der Schallplatte wunderschöne Töne formte und sie aus dem Grammofon heraus durch das Atelier des Malers fliegen ließ, als seien es Federn. ›Che gelida manina‹ aus Giacomo Puccinis ›La Bohème‹ trug seine Gedanken fort von Maria.

Leise summte der Maler die Melodie des Sängers, und Traurigkeit über das Unmögliche überkam ihn bei seinem nächsten Gedanken. Könnte er diese Stimme nur in Farben fassen und auf der Leinwand festhalten! Er wäre ein gemachter Mann. Seine Bilder hingen neben van Gogh und Gauguin in den großen Museen dieser Welt. Unvermittelt sprang er aus seinem alten Leinenstuhl und versuchte wie wild, nach den Tönen zu greifen. Wie ein Besessener fuchtelte er mit den Armen und fiel beinahe aus dem weit geöffneten Fenster seines Balkons. Aber die Töne flogen ungebunden und frei aus dem Atelier über die Calle Volpi und weiter über die Laguna Veneta hinaus übers Meer. Wann würde er ihnen folgen? An welchen Ort würde es ihn verschlagen?

Garoche war müde und uninspiriert. Da er die Stimme des Meistertenors nicht an sich binden konnte, sah er sich vergebens nach einem Halt, einer Aufgabe um. Maria sollte zurück zu ihrem Mann gehen oder auf den Campo Morosini, wo sie sich kennengelernt hatten, sich in eine neue Affäre stürzen oder vom Balkon der Residenz ihres Mannes, des spanischen Botschafters in Italien, springen. Ihm war es gleichgültig.

»Was tust du, verrückter Franzose? Versuchst du jetzt schon Talent aus der Luft zu fangen?«, schallte es lachend von der Straße zu ihm herauf. »Glaub mir, es ist sinnlos. Es wäre wie der Esel, der versucht, die Mohrrübe vor seiner Nase zu erhaschen.«

»Ich bin Belgier!«, gab Garoche ungehalten zurück, während er sich über das Geländer seines Balkons beugte, »und verrückt soll ich werden, wenn ich noch einmal von deinem vermaledeiten Wein trinke. Mir singt heute noch der Schädel.«

Augustino war ebenfalls ein Maler aus der überschaubaren Künstlergemeinde auf der Insel Burano. Ab und zu saßen sie zusammen mit anderen vor ihren Häusern auf Holzbänken, tranken Rotwein und sprachen oder stritten über die Kunst. Doch ähnlich wie Marias Glanz war seit geraumer Zeit die Intensität ihrer Gespräche nicht mehr dieselbe. Es strengte den Maler an, seinen Kollegen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie beanspruchten. Ja, die meisten Abende fingen ihn bereits nach ein, zwei Gläschen an zu langweilen.

Auch sonst gab es in Venedig kein Weiterkommen. Der kleine Mann mit der Hornbrille und dem Buckel aus der Galerie Colleoni hatte drei Bilder von Garoche verkauft und wurde langsam misstrauisch. Denn die gefälschten Verträge mit Galerien aus Paris, New York und zuletzt sogar aus Rom trugen nur bedingt zum Verkauf der Werke des Malers bei.

Als Garoche sich in der Galerie bei Signore Colleoni vorstellte und seine Biografie vorlegte, war dieser zunächst überrascht, dass ein so gefragter Künstler ausgerechnet in seiner Galerie eine Ausstellung plante. Dass der internationale Kunstbetrieb einem Maler die Konzentration und die Inspiration raubte und er deshalb eine kleinere Galerie bevorzugte, zerstreuten schließlich die Zweifel des leichtgläubigen Kunsthändlers. Signore Colleoni kannte viele Künstler, und deren Befindlichkeiten waren ihm nicht fremd. Zudem war dem Galeristen ein bekannter Name natürlich hochwillkommen, auch wenn dieser nur auf dem Papier unter den Verträgen der Galerie Julien-Levy in New York und der Galerie Marais in Paris stand. Signore Colleoni war ein unbedeutender Händler, und seine Käufer waren unwissende Kunstliebhaber, meist Touristen, die glaubten, ein Schnäppchen bei ihm zu machen. Wenn man diese Bilder und den Künstler in Paris und New York für wichtig genug erachtete, sie auszustellen und zu kaufen, so mussten sie den angegebenen Preis wert sein.

Dass Garoche neben dem Leben eines Künstlers dasjenige eines Betrügers führte, störte ihn nicht besonders. Er hatte eines Tages in seinem Atelier in Eupen, seiner Heimatstadt, beschlossen, nicht zu verhungern. So war er auf die Idee gekommen, sich Zertifikate und Verträge von berühmten Galerien zu besorgen und diese, nun ja, zu manipulieren. Fälschen wollte er das nicht unbedingt nennen. Er fälschte ja keine Bilder, sondern lediglich die Etiketten daran. Je weiter weg die Kunsttempel lagen, umso geringer war die Möglichkeit, dass einer der Galeristen, die Garoches Werke ausstellten und verkauften, nachprüfte, ob es mit den Papieren auch seine Richtigkeit hatte. Und einigen kleineren Kunsthändlern war es ohnehin egal. Hauptsache, die Geschäfte liefen.

Die Fähre von der Insel Burano tuckerte über die nächtliche Lagune. In der Ferne, im Osten, konnte Garoche die Leuchtfeuer des Porto di Lido sehen, und ein Abglanz der Sterne funkelte verheißungsvoll auf dem schwarzen Wasser unter ihm. Vor ihm lag der Abschied von Maria.

Sie trafen sich in einer Trattoria zum Abendessen. Es ging alles sehr schnell. Noch vor dem Hauptgericht hatte er ihr die Trennung vorgeschlagen. Sie hatte klaglos akzeptiert. Eine letzte Nacht mit ihm zu verbringen empfand sie indes als Beleidigung, und der so harmonisch begonnene letzte Abend endete in einem derart lautstarken Streit, dass sogar der Kellner zur Mäßigung mahnte. Nun lehnte Garoche über der Brüstung des Rio del Malpaga und sah seiner Spucke nach, die ins Wasser fiel und mit der Strömung fortgetragen wurde.

Maria hatte ihn vor dem Restaurant geohrfeigt und ihr beeindruckendes Temperament hatte sich in übelsten Beschimpfungen überschlagen. Wäre nicht ein Carabiniere hinzugekommen, sie wäre dem Maler glatt an den Hals gesprungen. So hatte sie einen Moment verharrt, und ein Blick tiefer Verachtung hatte die Auseinandersetzung beendet. Maria hatte sich auf dem Absatz umgedreht und Garoche stehen lassen.

Dieser Blick war das Geheimnis. Wie ein Blitz traf den Maler die Erkenntnis, welch ungeheuren Fehler er begangen hatte. Er hatte diesen Blick bei ihrer ersten Begegnung missdeutet. Es war nicht das Feuer der Leidenschaft, es war das Feuer der Verachtung, das er damals gesehen und das ihn fasziniert hatte. Es war auf dem Campo Morosini gewesen, kurz vor ihrer ersten Begegnung. Maria hatte sich nach...

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