Das Ende der Nacht - Lichtsmog: Gefahren, Perspektiven, Lösungen.

Das Ende der Nacht - Lichtsmog: Gefahren, Perspektiven, Lösungen.

von: Thomas Posch, Franz Hölker, Thomas Uhlmann, Anja Freyhoff

Wiley-VCH, 2014

ISBN: 9783527674886

Sprache: Deutsch

233 Seiten, Download: 19104 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Das Ende der Nacht - Lichtsmog: Gefahren, Perspektiven, Lösungen.



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NACHT UND KAMPF GEGEN DIE NACHT AUS KULTURHISTORISCHER PERSPEKTIVE


Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Auch meine Seele ist ein springender Brunnen.“

(Nietzsche)

von Thomas Posch und Walter Seitter

Wie im ersten Kapitel dargestellt, haben wir heute zahlreiche Gründe dafür, von einer Gefährdung, Bedrohung, gar Zerstörung der Nacht und von einem globalen Raubbau am natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu sprechen. Die technischen Voraussetzungen dieser Entwicklung – von der Öllampe über das Gaslicht bis hin zum elektrischen Licht – wurden bereits schematisch dargestellt (Abschnitt 1.3). In diesem Kapitel wollen wir nun der Frage nachgehen, wo die kulturhistorischen Anfänge, Motive und Strategien dieser Entwicklung aufzufinden sind; wo die Wurzeln der Aufhebung des naturgegebenen Tag-Nacht-Rhythmus liegen; aber auch, wo sich schon früh Widerstand dagegen regte und inwiefern die Nacht als „Refugium“ propagiert wurde.

ABBILDUNG 2.1: Der Chor der gotischen Kathedrale von Tours (13. Jahrhundert).

2.1 Frühe „Licht-Verherrlichungen“ und „Nacht-Verdammungen“


Es scheint, dass der bisherige „Sonderweg“ des Abendlandes – der uns im Zuge der Globalisierungsbewegungen immer deutlicher bewusst wird – auch in Bezug auf die hier behandelte Thematik vor ungefähr 3.000 Jahren seine ersten Anstöße aus den Hochkulturen des „Morgenlandes“ (Vorderasien und Nordafrika) erhalten hat. Kulturelle Hegemonien und Umbrüche jener weit zurückliegenden Zeiten erscheinen uns überwiegend „religiös“ kodiert, und insofern lässt sich sagen, dass in den traditionellen Polytheismen die Pluralität der Erscheinungswelt, so auch der Rhythmus aus Tag und Nacht, mythologisch und kultisch akzeptiert und zelebriert wurde. Das damit verbundene Gleichgewichtsdenken ist vielleicht erstmalig durch Religionsreformen in Frage gestellt worden, die in Ägypten im 14. Jahrhundert v. Chr. G. von Pharao Amenophis IV. (Echnaton) und in Persien etwas später durch Zoroaster (Zarathustra) durchgeführt worden sind: Erhebung des Sonnengottes zum Übergott und Aufruf zum Kampf für das Licht gegen die Finsternis, für die Wahrheit gegen die Lüge. Beide Religionsreformen setzten sich nicht unmittelbar durch. Doch die ägyptische dürfte zur Ausbildung des israelitischen Monotheismus beigetragen haben, und die zarathustrische hat in der Spätantike weitreichenden Einfluss auf religiöse wie auf philosophische Strömungen ausgeübt: im Sinne des manichäischen oder gnostischen Kampfes- und Fortschrittswillens. Auch wenn die drei vorderasiatischen Monotheismen (Judentum, Christentum, Islam) durch die manichäischen (gnostischen) Vorstellungen geprägt worden sind, haben sie es vermieden, diese in Reinform zu propagieren [1: S. 114ff.]. In der christlichen Mystik finden sich sogar sehr„positive“ Nacht-Metaphern, so etwa das Dunkel als Möglichkeit der Gotteserfahrung [2: S. 205 ff.]. Gnostische Motive haben in die griechische Philosophie Eingang gefunden, ja haben sie mitkonstituiert: so bei Parmenides, der innerhalb der Dualität aus Licht und Nacht letztlich doch nur dem ersteren wahre Realität zuspricht, und bei Platon, der im Höhlengleichnis der Welt aus Schatten- und Lichtspielen die Welt des Sonnenlichts entgegensetzt [3: S. 302; 4: S. 269 ff.; 1: S. 68 ff.].

Als Emblem für die antike Licht-Verherrlichung wie auch Nacht-Verdammung sei ein offizieller Gründungstext des Christentums herangezogen, die Offenbarung des Johannes, in welcher die künftige und unvergängliche Welt ganz konkret geschildert wird: als „Neues Jerusalem“, eine Stadt, die nur aus lichthaltigen, diaphanen, farbigen Steinen besteht und keiner Beleuchtung bedarf. In dieser lichtvollen Stadt bzw. Welt Gottes wie auch der Kinder Gottes wird keine Nacht sein, wie zweimal betont wird [5: Vs. 21.25, 22.5]. Und doch gibt es ein „Aber“: irgendwo in einem Eck dieser Welt ist ein „anderer Ort“, der zwar nicht Nacht genannt wird, aber „Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt“ – der Ort der ewigen Qualen des Teufels und der Ungläubigen [5: Vs. 21.8; 1: S. 116f.].

Sollte die Einführung dieses Ortes ebenfalls unter „Nacht“ subsumiert werden können, so würde es sich um eine explizite „Verteufelung“ der Nacht handeln. Der gesamte Text aber geht noch weit darüber hinaus: schlicht und einfach „Abschaffung“ der Nacht. Und er hat auch direkte Fortsetzungen gefunden, die dann in die Aufklärung einmünden: Via lucis von Johann Amos Comenius (1642), wo der Tag herbeigewünscht wird, „der keinen Sonnenuntergang kennt“ [6: S. 189].

Die prominente Schilderung des „Himmlischen Jerusalem“ hat in der Geschichte des Christentums eine große Wirkung entfaltet. Die Kirchenbaukunst strebte von ihren Anfängen an danach, die Lichtarchitektur schon auf dieser Erde durchzusetzen: eine Ambition, welche die spätantiken und byzantinischen Kirchen ebenso bestimmte, wie sie dann in Westeuropa zur ästhetischen Emanzipation des Abendlandes (vom Mittelmeerraum) geführt hat, indem die opaken Mauermassen der Romanik durch Stangengitter und Glasscheiben ersetzt wurden: Gotik [7: S. 116f.] – vgl. Abb. 2.1.

2.2 Feuerwerke, nächtliche Maskenbälle, Flucht vor dem Tag: Die Explosion des Nachtlebens im Barock


In der Barockzeit kam es besonders an den europäischen Fürstenhöfen zu einer enormen Aufwertung des Nachtlebens. Immer mehr Feste wurden in aristokratischen Kreisen in die Nachtstunden verlegt und oft mit aufwändigen Feuerwerken verbunden [8: S. 134]. Die Nacht bot eine willkommene Gelegenheit, der Welt des Tages und ihren strengen Verhaltensregeln zu entfliehen und – besonders im Rahmen von Maskenbällen – in neue Rollen zu schlüpfen, ja sogar dem Anschein nach das Geschlecht zu wechseln [9: S. 265]. Die Nacht verwischte, schreibt W. Schivelbusch, „die Übergänge zwischen Wirklichkeit und Einbildung“ [8: S. 134]. Von Nathaniel Richards, dem Autor des 1640 publizierten Stücks The Tragedyof Messalina, Empress of Rome, stammen die dazu passenden Verse:

„Jetzt kommt die Zeit, die den Genuss am größten macht,

Nacht wird hier zu Tag und Tag zu Nacht.

Hier sind Erregung, Masken, mitternächt’ge Feste

und alles Ausgefallne, was Begierde macht.“ [9: S. 262]

„Die Nacht zum Tag zu machen: damit begann man in größerem Umfang in der Tat durch die Prunkbeleuchtung und die nächtlichen Feste der Barockzeit. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, ließ Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, im Jahre 1688 – kurz nach dem Umzug des Hofstaats nach Versailles – den dortigen Schlosspark mit 24.000 Laternen erleuchten. Die absolutistischen Herrscher nutzten Licht also als ein Mittel der Selbstdarstellung (wie heute der Finanzkapitalismus in seinen oft rund um die Uhr beleuchteten,Glaspalästen‘). Der „Sonnenkönig“ soll gesagt haben: „Die Leute genießen Spektakel, und wir bemühen uns, zu jeder Zeit ihr Gefallen zu finden.“ Ein kritischer späterer Beobachter meinte bezüglich der Licht-Spektakel der Barock-Herrscher allerdings, der Zweck derselben sei es,,die Leute [= das einfache Volk] im Dunkeln zu halten‘.“ [9: S. 95; 10: S. 85-92]. In der Glorifikation des Lichts hatte sich Ludwig XIV. übrigens schon sehr früh geübt: als 14-jähriger (1653) trat der junge König im „Ballet de la nuit“ von Isaac de Benserade auf – unter anderem, am Ende des Balletts, als „aufgehende Sonne„. Auf den nicht mehr ganz so jungen (noch nicht 30-jährigen) Ludwig XIV. geht auch die Installation der ersten öffentlichen Straßenbeleuchtung in Paris zurück. An diese Errungenschaft erinnert die in Abb. 2.2 gezeigte Münze aus dem Jahr 1667, deren Rückenprägung verkündet: Die Stadt sei gereinigt (mundata) und die Nacht durch Laternen erhellt [11: S. 320]. Genau im selben Jahr 1667 wurde übrigens die heute noch bestehende Sternwarte „Observatoire de Paris“ gegründet. Der französische König ließ indes zwei Jahre später, 1669, noch eine zweite Münze prägen, die abermals die Einführung der Straßenbeleuchtung zelebrierte – diesmal mit folgender Aufschrift auf der Rückseite: „Urbis securitas et nitor“ („Sicherheit und Helle der Stadt”). Dabei wurde wiederum dieselbe Frauengestalt wie in Abb. 2.2 als Symbol verwendet, welche in der rechten Hand eine Laterne und in der linken Hand einen – durch das Licht vor Diebstahl sicheren? – prall gefüllten Geldbeutel hält.

ABBILDUNG 2.2: Rückseite einer Münze, die Ludwig XIV. 1667 anlässlich der Einführung der öffentlichen Beleuchtung in Paris prägen ließ. Eine weitere...

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