Gebrauchsanweisung für den Schwarzwald

Gebrauchsanweisung für den Schwarzwald

von: Jens Schäfer

Piper Verlag, 2014

ISBN: 9783492966306

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 3578 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Gebrauchsanweisung für den Schwarzwald



Kuckucksuhren, Kirschtorten, Bollenhüte.


Wie man sich den Schwarzwald vorstellt

Egal als was Sie, lieber Leser, in den Schwarzwald kommen – ob als Städtereisender oder als Gourmet, als Wanderer oder Kurgast, als Kongressteilnehmer oder als Student –, bedenken Sie, dass jeder Einheimische, dem Sie begegnen, Ihnen etwas voraushat. Er lebt hier. Denn es gibt nur zwei Arten von Menschen, sagt ein Sprichwort: solche, die hier leben wollen, und solche, die das bereits tun. Im gesamten Schwarzwald sind das knapp dreieinhalb Millionen. Mehr als doppelt so viele kommen jährlich zu Besuch. Der Schwarzwald ist einer der Sehnsuchtsorte der Deutschen schlechthin, und das schon seit beinahe 200 Jahren. Die Vorstellung von einer heilen Welt kommt dem, was man vom Schwarzwald kennt oder zu kennen meint, ziemlich nahe. Gesunde Luft und mildes Klima, ansehnliche Städte und pittoreske Dörfer, Gastfreundschaft und Gemütlichkeit, geringe Arbeitslosenzahlen und gutes Essen, liberale und freundliche Menschen, die zu leben verstehen und leben lassen, und das im Einklang mit viel unberührter Natur.

Schließen Sie kurz die Augen, und denken Sie an den Schwarzwald. Was sehen Sie? Kuckucksuhren, Kirschtorten und Bollenhüte? Damit haben Sie durchaus recht. Aber lassen Sie die Insignien des Schwarzwalds mal beiseite, und denken Sie nur an die Landschaft. Was sehen Sie jetzt? Anmutige Täler und dunkle Wälder, sanfte Hügel mit mächtigen Eindachhöfen und saftige Wiesen, auf denen braunweiße Kühe grasen? Dann sehen Sie, was neunzig Prozent aller Menschen spontan zum Schwarzwald einfällt und was auch die Deutsche Post mal auf eine bunte, piktogrammisierte Briefmarke, Motiv Schwarzwald, drucken ließ. Keine Sorge, an Ihrer Einbildungskraft ist nichts verkehrt. Aber es ist nur ein Teil des Ganzen: der Südschwarzwald. Im Nord- und im Mittelschwarzwald sieht es ziemlich anders aus. Enger sind die Täler und noch dichter bewachsen. Fachwerkhäuser gibt es hier und Dörfer, in die die Sonne nur ganz selten einzudringen scheint. So viel Schatten kann auch schon mal aufs Gemüt schlagen, besonders im Winter. Und im Westen, wo die Hänge des Schwarzwalds in die sonnige Rheinebene übergehen, prägen Felder und Weinberge das Bild.

Ein Freudenstädter, ein Triberger und ein Freiburger haben jeweils etwas anderes im Sinn, wenn sie an den Schwarzwald denken. Der Erste sieht riesige Waldflächen und hält Freudenstadt für die Hauptstadt des Schwarzwalds. Der Zweite denkt an tiefe Schluchten und empfindet die Triberger Wasserfälle als sein Zentrum (womit er geografisch gesehen recht hat). Dem Dritten fallen Freiburgs enge Gassen und das milde Klima ein, und er meint nicht nur im Zentrum des Schwarzwalds zu leben, sondern gleich in der heimlichen Hauptstadt Deutschlands. Kein Schwarzwälder denkt an das Große, Ganze, sondern immer an das Eigene, Kleine, das mit dem großen Rest wenig zu tun hat.

Nicht dass die Freudenstädter, Triberger und Freiburger ignorante Provinzler wären, die nicht über ihren Tellerrand hinausschauen. Die einzelnen Gebiete hatten einfach nie viel miteinander zu schaffen. Der Schwarzwald war jahrhundertelang so dicht und undurchdringlich, dass es kaum Verbindungen zwischen seinen einzelnen Teilen gab.

Als er im frühen Mittelalter besiedelt wurde, haben das Wiesen- oder das Kandertal in nordsüdlicher und, in Ost-West-Richtung verlaufend, das Höllen-, das Kinzig-, und das Murgtal den Bau großer Verbindungsstraßen beinahe unmöglich gemacht. Von Schienen ganz zu schweigen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Wer im Nordschwarzwald wohnt, fährt nicht mal eben so in den Süden und umgekehrt. Wieso auch? Man hat den Schwarzwald schließlich vor der eigenen Haustür, und der genügt. Nach wie vor stehen die Fahrzeiten in keinem Verhältnis zur eigentlichen Entfernung. Will man mit der Bahn von Neustadt im Süd- nach Bad Wildbad im Nordschwarzwald fahren, muss man erst den Zug nach Freiburg nehmen, dort nach Karlsruhe umsteigen und dann nach Pforzheim, von wo aus schließlich eine S-Bahn nach Bad Wildbad fährt. Für eine einfache Fahrt braucht man so fast vier Stunden. Dabei sind diese beiden Städte in der Luftlinie keine hundert Kilometer voneinander entfernt.

Schwarzwälder sind ebenso ver- wie aufgeschlossene Wesen, sie sind abgeschottet und weltoffen zugleich. Als Teil des strategisch wichtigen Dreiländerecks weckte ihre Heimat schon immer Begehrlichkeiten und war jahrhundertelang heftig umkämpft. Mit den Nachbarn hat man sich deshalb nie wirklich anfreunden können. Der Schwarzwald ist umrahmt vom protestantischen Württemberg im Norden (der größte Teil des Schwarzwalds ist badisch und katholisch), dem Elsass im Westen (das die Deutschen immer wieder besetzt, annektiert und bekriegt haben), der Schweiz im Süden (die Deutschen gegenüber schon immer fremdelte), und im Osten warten hinter Baar und Bodensee schon die Bayern. So eingekeilt, umkämpft und unbeliebt blieb den Schwarzwäldern gar nichts anderes übrig, als sich auf sich selbst zu besinnen und sich die Selbstzufriedenheit und -genügsamkeit zuzulegen, die die Menschen hier heute auszeichnet. Ein Jubilar wurde zu seinem 100. Geburtstag von einem Redakteur der örtlichen Zeitung besucht. Auf die Frage, wie er rückblickend sein Leben beschreiben würde, sagte er nur: »Es war biegelscht e schäni Zitt!«

Gleichzeitig sind die Schwarzwälder kontaktfreudig, menschenfreundlich und weltoffen. Das gilt vor allem für die aus der Oberrheinischen Tiefebene. Sie hatten schon früh Kontakt zu Händlern und Kaufleuten, die hier durchzogen und Freiburg zu einem wichtigen Handelszentrum machten. Es prägt, wenn man seit Jahrhunderten da wohnt, wo andere hinpilgern, um Geschäfte zu machen, zu arbeiten und sich auszukurieren.

Heute weiß man die Standortvorteile zu schätzen. In dreißig Minuten ist man in französischen Supermärkten, in fünfzig im schweizerischen Hochlohnland (viele Schwarzwälder arbeiten dort, vor allen Dingen im Gesundheitssektor) und in hundertachtzig in oberitalienischen Städten. Für die Strecke Karlsruhe–Paris benötigt der TGV drei Stunden. Basel erreichen Sie von Freiburg aus in fünfundvierzig Minuten, Zürich in zwei Stunden, Mailand in fünf. Wer zum Skifahren in die Alpen will, ist in zwei Stunden da, im Mittelmeer baden kann man in fünf. Der Schwarzwald hat den Ruf, Reiseziel alter Omas und biederer Kurgäste zu sein, die mit sonntäglichen Kurkonzerten und einem bunten Heimatabend zufriedenzustellen sind. Wirklich was erleben könne man nur in Antalya oder Palma und nicht in Bad Teinach oder Hinterzarten. Skiurlaub bucht man sowieso in den Alpen, wo es längere Pisten und Schneesicherheit gibt – unvorstellbar, dass 1992 ein Schwarzwaldprospekt noch mit einer Schneehöhe von zwanzig Zentimetern warb, die an hundert Tagen im Jahr sicher vorzufinden seien. Der Senegalese Souleyman Sané, der in den Achtzigern einer der ersten schwarzen Spieler in der Fußballbundesliga war, kam von Frankreich nach Donaueschingen, von wo er zum Sport-Club Freiburg wechselte. Als der Sportler las, dass es da im Winter minus zehn Grad hat, sagte er nur: »Leck mich am Arsch.«

Diese schneesicheren Zeiten sind unwiederbringlich vorbei; die Skiliftbesitzer können lange Lieder über schneelose Winter singen. Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Die Hochfirstschanze bei Titisee-Neustadt ist die größte Naturschanze Deutschlands. Die Anlage gilt als weltcuptauglich, obwohl es keine Aufstiegshilfen gibt und die Springer mit Kleintransportern zum Anlauf gebracht werden müssen. Neuerdings wird der Schnee dort gehortet. Tausende Kubikmeter werden an kalten Wintertagen mit der Beschneiungsanlage produziert, zusammengetragen und eingemottet. Der Schnee übersommert unter einer Siloplane aus Kunststoff und kann im nächsten Winter termingerecht wieder ausgepackt werden. Hier soll nie mehr ein Skispringen wegen Schneemangel ausfallen.

Trotzdem oder gerade deshalb erlebt der Schwarzwald derzeit eine Renaissance. Die Menschen scheinen lange genug in der Weltgeschichte herumgeflogen zu sein und entdecken den Reiz des Regionalen, Wahren und Authentischen wieder. Die Welt da draußen ist so unübersichtlich und bedrohlich geworden, dass sich viele auf die schönen und friedlichen Ecken ihrer Heimat besinnen. Globalisierung und Mobilität, lange Zeit die Feinde des Schwarzwaldtourismus, entpuppen sich jetzt als seine guten Freunde. Gerade weil man überall hinfliegen und erreichbar sein kann, gewinnt das Nahe wieder an Wert. (Und wenn die Prognosen von Zukunftsforschern stimmen und wir uns wegen Inflation und Altersarmut in ein paar Jahrzehnten keine fernen Reisen mehr werden leisten können, wird der Schwarzwald bestimmt wieder eine führende Ferienregion.)

Die Besucherzahlen gehen seit ein paar Jahren wieder nach oben. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland. Auch bei Russen, Amerikanern, Israelis, Letten und Chinesen wird der Schwarzwald immer beliebter. Fast ein Drittel der Besucher kommen mittlerweile aus dem Ausland, Tendenz steigend. Angeführt werden sie mit weitem Abstand von Schweizern und Franzosen. Neben der Schönheit der Natur schätzen die vor allem die qualitativ hochwertige Küche zu vergleichsweise günstigen Preisen.

Im Durchschnitt bleiben die Gäste 2,8 Tage. Das war vor vierzig Jahren noch anders. Meine Eltern bekamen regelmäßig Besuch von Verwandten, die sich für zwei Wochen und mehr in ihrem Wohnzimmer einmieteten. Meine Eltern hatten drei kleine Kinder und wohnten in einer winzigen Drei-Zimmer-Wohnung. So was würde man heute auch niemandem mehr zumuten.

Der Trend geht zurück zur Natur, zu Ruhe und Langsamkeit, zur selbst gemachten Marmelade und zum Hofladen, für den der Bauer...

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