Der Ausnahmbauer
von: Peter Hazivar
novum pro Verlag, 2014
ISBN: 9783990382868
Sprache: Deutsch
194 Seiten, Download: 294 KB
Format: EPUB
2
Am Abend rief ich Kommissar Berger erneut an. Die Gattin des Beamten meldete sich.
Sie bedauerte, daß ihr Ehemann soeben in der Badewanne liege, und wollte wissen, ob sie ihm etwas ausrichten solle.
„Ja, bitte! Sagen Sie ihm, daß ich neue Fakten herausgefunden habe und ihn bitte, mich umgehend zu kontaktieren“, ersuchte ich sie.
Der Anruf ließ nicht lange auf sich warten. Ich hatte mich soeben mit einem Buch in den Lehnstuhl gesetzt, als der Kommissar anrief. Ich gab Berger einen kurzen Überblick über das, was ich ermittelt hatte. Mein Gegenüber schwieg sekundenlang. Dann fragte er:
„Ist es für Sie heute bereits zu spät, um mich noch einmal zu treffen?“
„Grundsätzlich nicht!“ entgegnete ich. „Aber, ich gebe zu, ich habe keine große Lust, jetzt abermals in die Stadt zu fahren. Bestimmt ist morgen immer noch Zeit, um Herrn Brenner zu entlasten.“
Im stillen dachte ich bei mir, daß es Karl keinesfalls schaden konnte, eine kurze Zeitlang gesiebte Luft zu atmen. Vielleicht würde ihm dieser Schock helfen, sein Leben auf eine neue Bahn zu bringen.
Berger blieb beharrlich:
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, so würde ich Sie doch gerne noch heute sprechen. Ich kann mit einem Polizeiwagen hinaus zu Ihnen kommen!“
„Ade, ruhiger Leseabend“, dachte ich bei mir. Laut aber sagte ich, resignierend:
„Gut, Herr Kommissar. Ich erwarte Sie!“
Ich hatte es mir bereits bequem gemacht und trug meinen Schlafrock. Widerwillig zog ich mir nochmals meine Kleider an.
Es klopfte an der Tür. Berger konnte es noch nicht sein. Seit seinem Anruf waren gewiß noch nicht mehr als zehn Minuten vergangen. Auch wenn er sich beeilte, brauchte er mindestens fünfzig Minuten, um hierherzukommen.
Auf meine Aufforderung, hereinzutreten, öffnete Barbara die Tür, blieb aber auf der Schwelle stehen.
„So komm doch herein!“ forderte ich sie auf. „Schläft Michael schon?
Sie schüttelte den Kopf und schien ganz verzagt zu sein:
„Er ist gar nicht zu Hause. Heute schläft er zum ersten Mal bei seinen Großeltern.“
Sie seufzte:
„Hoffentlich muß ich ihn nicht bei Nacht und Nebel holen, weil er nach mir weint. Er hat noch nie eine Nacht ohne mich verbracht!“
„Da würde ich mir keine großen Sorgen machen“, beruhigte ich sie. „Frau Maria kann sehr gut mit ihm umgehen und Michael hängt inzwischen schon mit ganzem Herzen an seinen Großeltern.“
„Ja, weil sie ihn nach Strich und Faden verwöhnen!“ klagte die junge Mutter.
„Ja, das habe ich auch schon bemerkt“, stimmte ich ihr lächelnd zu. „Du solltest das aber nicht überbewerten. In einer Zeitschrift habe ich den Kommentar eines Kinderpsychologen zu diesem Thema gelesen: Ein Kind wird zu Hause zwar liebevoll, aber nach strengen Regeln erzogen; seiner Tante hingegen erlaubt dem Kind weit mehr, als es zu Hause tun darf.
Tatsächlich erkennt es trotz seiner Jugend rasch den Unterschied und akzeptiert beide Erziehungssysteme und verhält sich der jeweiligen Umgebung angepaßt.
„Hoffentlich!“ Barbara klang nicht überzeugt. Sie druckste herum. Schließlich faßte sie sich ein Herz und fragte:
„Ich wollte Dich nur ersuchen, ob Du mich notfalls fahren würdest, wenn ich Michael abholen müßte? Ich habe sonst keine Möglichkeit, hinaus zum Schlagbauerhof zu kommen.“
„Das ist doch überhaupt keine Frage. Ich muß nur noch einmal weg. Es wird aber nicht sehr lange dauern. Sobald ich zurück bin, kannst Du mich jederzeit holen.“
Getröstet ging sie wieder nach unten.
Nur wenige Minuten später läutete es an der Eingangstür. Zu meiner großen Überraschung war der Kommissar bereits hier. Er hatte, wie er mir erzählte, einen Streifenwagen angefordert und den Fahrer angewiesen, mit Blaulicht so schnell wie möglich zu fahren.
Ich schüttelte verwundert den Kopf:
„Eine Nacht mehr oder weniger in Untersuchungshaft würde Brenner gewiß nicht schaden!“
„Es geht doch überhaupt nicht um diesen Herrn“, belehrte mich Berger.
„So wie es jetzt aussieht, hat der oder haben die wahren Täter durch mein Versäumnis ohnehin bereits einen unverantwortlichen Vorsprung. Jede versäumte Stunde kann die weiteren Ermittlungen erschweren.
Nachdem wir ursprünglich von einem Unfall ohne Fremdbeteiligung ausgegangen sind, wurden natürlich die Tatortspuren nicht erhoben. Dann, als das Geld fehlte, sah es so aus, als wäre Brenner der Täter. Das schien so plausibel zu sein, daß ich es verabsäumte, ein Zeitdiagramm aufzustellen. Spätestens dadurch hätten wir erkennen müssen, daß unser Verdächtiger unschuldig ist. Jetzt sind wir gezwungen, Hunderte Leute zu befragen, ob ihnen in der Zeit zwischen acht und neun Uhr jemand in der Nähe des Tatortes aufgefallen ist.“
Selbstanklagend bemerkte der Kommissar:
„Wie ein Anfänger bin ich wie ein Elefant im Porzellanladen herumgestiefelt.
Ich stehe mit leeren Händen da und suche wieder einmal nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.“
Manchmal hat man eine Eingebung und weiß danach nicht einmal, warum man auf eine solche Idee gekommen ist. Das passierte jetzt auch mir.
Ich fragte Berger unvermittelt nach einer möglichen Verkehrsüberwachung.
„Wie meinen Sie das?“ wollte er wissen.
„Ich …“ meine Stimme klang belegt und ich räusperte mich, ehe ich weitersprach:
„Sagen Sie, Herr Kommissar: bei der Ortseinfahrt in die Stadt steht doch so eine fixe Radaranlage. Besteht die Möglichkeit bzw. können Sie in Erfahrung bringen, ob jemand zwischen acht Uhr zehn, nein, besser wir fangen früher an, sagen wir, um sieben Uhr fünfundvierzig bis neun Uhr, in die Radarfalle getappt ist?“
Berger sah mich verständnislos an:
„Sicher, da gibt es genaue Aufzeichnungen im Computer der Verkehrspolizei. Aber warum wollen Sie das wissen?
„Ganz einfach!“ führte ich aus. „An diesem Tag habe ich Frau Reiterer und ihr Kind aus der Stadt abgeholt. Nach fünf Kilometern hatte es zu regnen begonnen und wir mußten die Ladung, soweit sie sich auf dem Anhänger befand, vor der Nässe schützen.“
„Lobenswert“ warf Berger ein, „aber wie soll mir das weiterhelfen?“
„Seien Sie nicht so ungeduldig und hören Sie weiter!“ tadelte ich ihn.
„Als wir dann wieder im Wagen saßen und uns zu trocknen suchten, fiel mir ein Wagen auf, der trotz des gräßlichen Wetters mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbeiraste.
Ich glaube zu wissen, wessen Pkw das war; doch mit Gewißheit kann ich es nicht sagen“, ergänzte ich.
„Dann nützt uns das auch nicht“, meinte der Kommissar. „Ohne präzise Angaben komme ich dem Täter unmöglich auf die Schliche.“
„Eben deshalb habe ich Sie nach der Verkehrsüberwachung gefragt.“
Der Ermittler zog fragend die Augenbrauen hoch. Ich fuhr fort:
„So, wie dieser Lenker trotz des strömenden Regens gefahren ist, halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß er seine Geschwindigkeit auch nach dem Ortsschild, bei der Einfahrt in die Stadt, noch nicht genügend reduziert hatte. Mit ein klein wenig Glück haben wir dann die Nummer dieses Autos.
Sollte sich mein Verdacht bestätigen, so entlarven Sie damit wahrscheinlich jemand, der direkt in die ganze Angelegenheit verwickelt ist und auch ein Motiv hätte, die Tat zu begehen. Aber, wie gesagt, genauere Angaben kann ich erst machen, wenn wir Glück haben.“
Berger klatschte mit dem Handrücken der rechten Hand auf die Handfläche der Linken:
„Nun muß ich Sie aber dennoch dringend bitten, mitzukommen. Ich muß die Radarbilder sofort sichten und Sie sind der einzige, der weiß, wonach wir suchen müssen.
Selbstverständlich werde ich Sie auch wieder zurückbringen lassen.“
Gottergeben wuchtete ich mich aus meinem bequemen Sessel hoch und schlüpfte in meinen Mantel.
Vor dem Haus wartete der Streifenwagen. Bevor ich im Fond Platz nahm, bedingte ich mir aus, daß in meiner Gegenwart nicht geraucht werden dürfe. Berger nickte, unwillig zwar, da er, wie ich wußte, diesem Laster verfallen war. Schon preschten wir im Höllentempo Richtung Stadt los.
Die zweiundvierzig Kilometer hatten wir in Rekordzeit zurückgelegt.
Im Hof der Polizeizentrale angekommen, sprang der Kommissar aus dem Auto und lief beinahe die Stiege hoch. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen.
In seinem Büro bat er mich, kurz zu warten und telephonierte mit einem gewissen Simon, wahrscheinlich einem Beamten der Verkehrsüberwachung.
Es dauerte nur eine knappe Minute, bis jemand mit einer Mappe unter dem Arm...