Komplizen - Wie können Hacker und Journalisten, Piraten und Kapitalisten, Amateure und Profis zusammenarbeiten?
von: Magdalena Taube, Krystian Woznicki
iRights Media, 2014
ISBN: 9783944362205
Sprache: Deutsch
165 Seiten, Download: 2866 KB
Format: EPUB
Mehr zum Inhalt
Komplizen - Wie können Hacker und Journalisten, Piraten und Kapitalisten, Amateure und Profis zusammenarbeiten?
Was Komplizenschaft von Zusammenarbeit in Teams, Allianzen, Netzwerken und mafiösen Strukturen unterscheidet
Gesa Ziemer
Wir alle kennen diese Situation: Wir sitzen in einer Konferenz, auf der Entscheidungen zu treffen und Ressourcen zu verteilen sind. Wir beteiligen uns aktiv an der offiziellen Debatte – redegewandt und mit guten Argumenten. Parallel zu dieser offiziellen Kommunikation findet aber auch eine informelle Kommunikation statt: Wir sehen in die Runde und nutzen Blickkontakte, Mienenspiele und Gesten, um uns innerhalb der Gruppe nach Bündnispartnern umzusehen, die uns bei der Durchsetzung unserer Interessen helfen könnten. In vielen Fällen ist diese Art der Kommunikation viel wichtiger als die offizielle, denn die Entscheidungen fallen überwiegend auf der informellen Ebene.
In einem größeren Zusammenhang sind uns auch Situationen geläufig, in denen Gruppen von engagierten Menschen plötzlich im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Das gesellschaftspolitische Engagement der Bürger nimmt immer mehr zu. In den letzten Jahren gelang es einer Reihe von kollektiven Bewegungen, öffentlich mit wirksamen Aktionen auf sich aufmerksam zu machen: Große kollektive Kunstprojekte, Bürgerinitiativen, mobile Akademien, kreativer, künstlerischer Aktivismus, die Commons-Bewegung und die Occupy-Bewegung sind nur einige solcher Beispiele. Auffallend ist, dass diese Gruppen in ihrer Zusammensetzung extrem heterogen sind und dass sich die Menschen trotz aller Differenzierungen für einen begrenzten Zeitraum und mit einem klaren Ziel kurzfristig zusammentun. Ihr Engagement bringt häufig eine gewisse Unzufriedenheit gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen zum Ausdruck, die sich jedoch nicht primär in antagonistischem Protest äußert, sondern in fantasievollen, spielerischen und konstruktiven Formaten. Die Gruppen agieren pragmatisch, flink und ideenreich und praktizieren soziale Verknüpfungen, für die es in der Wissenschaft noch kaum treffende Begriffe gibt.
Derartige Beispiele haben mich dazu bewogen, eine bestimmte Form sozialer Bindung zu untersuchen, auf der solche kleinen und effektiven Kollektive basieren. Diese Bindungsform nenne ich Komplizenschaft. Komplizitäre Praxis ist an eine Entwicklungslinie geknüpft, die eine steigende Individualisierung innerhalb unserer Gesellschaft beschreibt bei gleichzeitigem Festhalten an kollektiven Bedürfnissen. Fluide Formationen mit wechselnden und sogar gegensätzlichen Akteuren zeichnen eine extrem fragile Form von Sozialität nach, die am Rande dessen liegt, was man klassischerweise unter Gesellschaft versteht. Das Verhältnis von Abstand und Nähe wird in verschiedenen Theorien zu diesem Thema in Worte gefasst. Als Standardwerk dieser Debatte kann Jean-Luc Nancys „Die undarstellbare Gemeinschaft“ (1988) genannt werden, in dem der Philosoph die Mit-Teilung des Getrennt-Seins menschlicher Wesen beschreibt, womit der ideologisch besetzte Gemeinschaftsbegriff eine Heterogenisierung erfährt.
Gemeinschaftskonzeptionen sind in der aktuellen Theoriediskussion „vielmehr als paradoxale Verflechtung von Ein- und Ausschluss, Teilhabe und Trennung, Nähe und Distanz“ (Neuner 2007, S. 4) zu verstehen. Bündnisse werden als locker, oft zeitlich begrenzt und sozial heterogen besetzt und doch funktionsfähig beschrieben. Flüchtigkeit rückt somit als soziale Figuration ins Zentrum und wird zu einer wirkungsvollen Qualität innerhalb der Komplizenschaft, da sie Aktionsspielräume eröffnet. Von Georg Simmel bis zu Bruno Latour kann man diese Entwicklung als einen Weg vom Kollektiv zum Konnektiv nachzeichnen. Während Kollektivtheorien das Miteinander analysieren, zeugt der Begriff Konnektiv von dem Spannungsfeld der Verbundenheit und Unverbundenheit von Menschen in Gruppen. Im Hinblick auf Komplizenschaft ist Latours grundlegende Kritik am herkömmlichen Begriff des Sozialen, der mit der Einführung des Konnektivs einsetzt, hervorzuheben. Latours Einsatz besteht nun darin, die Bedeutung von „sozial“ zu erweitern und nicht homogene, sondern heterogene Gruppierungen zu beschreiben. Deshalb stellt er der Soziologie des Sozialen eine Soziologie der Assoziation gegenüber. Vor dem Horizont der Komplizenschaft vereint die Kunst des Assoziierens vor allem Menschen mit unterschiedlichen sozialen und disziplinären Herkünften und wird auf dieser Ebene im Herstellen überraschender Verbindungen sichtbar, die zwar nicht logisch erscheinen, aber trotzdem eine hohe unerwartete Evidenz erzeugen. Nicht die Stärke von Bindungen steht hier im Zentrum, sondern die Schwäche, die jedoch trotzdem oder gerade durch ihre dynamische Qualität und Verbindungspotenz effektiv ist. Diese Flüchtigkeit muss also kein nachteiliger Ausnahmezustand, sondern kann ebenso eine Lebensrealität sein, die alternative Kollektivbildung erst ermöglicht.
In meiner Forschung gehe ich der Frage nach, worin das Geheimnis dieser tatsächlich informellen, aber dennoch zielgerichteten und immer nur temporären, kollektiven Aktivität liegt. Diese Beziehungen zeichnen sich gleichzeitig durch eine hohe Intensität und eine Temporalität aus. In qualitativer Hinsicht werden eine schnelle Kontaktaufnahme mit rascher Intensitätserzeugung und eine ebenso hohe Kompetenz zum schnellen Abschied erwartet.
Wie definiert sich Komplizenschaft?
Komplizenschaft heißt Mittäterschaft und definiert sich aus dem Strafrecht heraus als Dreischritt von Entschlussfassung, Planung und Durchführung einer Tat. Komplizen fassen also gemeinsam einen Entschluss, planen miteinander eine Tat und führen diese zusammen aus (vgl. Donatsch/Rehberg 2001, S. 140). Klassische Komplizen durchlaufen diese drei Phasen als Gruppe gemeinsam und werden nach dem Prinzip der Kollektivschuld strafrechtlich verfolgt. Während die Entschlussfassung noch stark im visionären Bereich angesiedelt ist, werden während der Planungsphase mögliche reale Gegebenheiten abgewogen und Entscheidungen getroffen. Die Ausführung schließlich setzt die Planung in die Tat um und ist durch und durch praktisch. Komplizen sind entsprechend nicht nur Mitdenker, sie sind immer Mittäter. Das Besondere an Komplizenschaft ist, dass jeder auch für die Handlungen der anderen Verantwortung übernehmen muss.
Der Begriff Komplizenschaft bezieht sich auf illegales Verhalten und wird fast ausschließlich mit dieser negativen Konnotation versehen. Die Frage ist, ob die Merkmale dieser Beziehung auf legale, kreative Kontexte übertragbar sind, denn auch im Zusammenhang mit kollektiver Autorschaft geht es um gemeinschaftliche Verantwortung: Die Gruppe wird für das Resultat gelobt oder kritisiert, sie hat Erfolg oder Misserfolg, nicht nur der einzelne Autor. Komplizenschaft – so meine These – ist eine spezifische Arbeitsform, die von einer destruktiven in eine konstruktive, lustvolle Arbeitsweise umgedeutet werden kann und die dazu führt, dass alternative Strukturen entwickelt werden, die (wiederum) zu Innovationen führen. Das wirft allerdings weitere Fragen auf: Gibt es überhaupt echte Komplizenschaften ohne verbrecherische Absicht? Kann das konspirative Moment und die kriminelle Energie des Begriffes als Potenzial erhalten bleiben, auch wenn der Prozess auf legale, innovative Ziele hin gesteuert wird?
Der Soziologe Robert K. Merton hat schon seit den 1960er Jahren soziale Strukturen untersucht, die ein von der Norm abweichendes Gruppenverhalten zur Folge hatten, das nicht zwangsläufig destruktiv, sondern ebenso konstruktiv sein konnte. Seine Schlüsselfrage ist, welche sozialen Strukturen welches Verhalten befördern. Dabei unterscheidet der Autor kulturelle Ziele, die eine Gruppe für sich definiert und verwirklichen möchte, und sozial strukturierte Wege, auf denen diese Ziele erreicht werden können. Kulturelle Ziele richten sich nach Absichten, die eine Gruppe für sich festlegt und in einer Wertehierarchie einordnet. Diese Ziele können sich nun von denjenigen unterscheiden, welche die jeweilige Kultur als Norm akzeptiert, und sind deshalb nur durch Abweichungen zu verwirklichen. Das Erreichen kultureller Ziele ist deshalb auf legalem Wege oft nicht möglich, weil institutionelle Normen den Aktionsspielraum eines Kollektivs zu stark einengen. In einem solchen Fall gibt es keine sozial vorstrukturierten Wege, denen die Gruppe folgen könnte. Wenn kulturelle und soziale Strukturen zu stark auseinanderklaffen, kommt es zum Zusammenbruch der Normen (Anomie) und die Gruppe greift für die Durchsetzung ihrer Ziele zu illegitimen Mitteln. Individuen reagieren...