Die andere Seite der Liebe - Ärger, Wut und Zorn: Wie 'negative' Gefühle zur positiven Kraft werden

Die andere Seite der Liebe - Ärger, Wut und Zorn: Wie 'negative' Gefühle zur positiven Kraft werden

von: Gary Chapman

Brunnen Verlag Gießen, 2014

ISBN: 9783765571534

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 1113 KB

 
Format:  EPUB

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Die andere Seite der Liebe - Ärger, Wut und Zorn: Wie 'negative' Gefühle zur positiven Kraft werden



1. Kapitel


Warum werden wir ärgerlich, wütend oder zornig?


Bill saß an einem heißen Sommertag in meinem Büro. Er war gut angezogen, an seinem rechten Fuß aber hatte er keinen Schuh, sondern eine Bandage. Bald erfuhr ich den Grund dafür.

„Dr. Chapman, ich brauche Hilfe“, begann er. „Ich weiß schon lange, dass ich meinen Ärger nicht unter Kontrolle habe, aber am Samstag bin ich völlig ausgerastet. Ich habe fünfzehn geschlagene Minuten lang versucht, meinen Rasenmäher in Gang zu bringen. Dann habe ich nachgeschaut, ob das Benzin oder Öl ausgegangen war, hab‘ eine neue Zündkerze eingesetzt, doch es tat sich nichts. Schließlich war ich so ärgerlich, dass ich ausholte und dem dummen Gerät einen Fußtritt versetzte. Dabei habe ich mir dann zwei Fußzehen gebrochen, und in einer dritten habe ich eine Schnittwunde. Nachher saß ich auf der Treppe, hielt mir den schmerzenden Fuß und dachte: Das war einfach blöd!

In diesem Augenblick wusste ich noch nicht einmal, dass ich mir die Zehen gebrochen hatte. Später, in der Praxis des Arztes, musste ich das wieder denken: Das war wirklich blöd! Und jetzt sitze ich mit verbundenen Zehen hier bei Ihnen. Das Ganze ist mir ziemlich peinlich. Ich kann ja keinem sagen, was wirklich passiert ist. Also erzähle ich: ‚Ich hatte einen Unfall mit einem Rasenmäher‘. Die meisten denken wohl, ich hätte mich irgendwie am Rasenmäher geschnitten, und sie bemitleiden mich. Ich sage lieber nicht, was wirklich passiert ist. Mir ist es lieber, dass ich ihnen leidtue, als dass sie über mich lachen … Mir ist es auch peinlich, jetzt Ihnen die Wahrheit zu sagen. Aber ich weiß, dass ich ehrlich sein muss, wenn ich Hilfe haben will. Und das mit dem Rasenmäher war nicht das erste Mal, dass ich die Beherrschung verloren habe“, sagte Bill. „Ich habe meiner Frau und den Kindern schon ziemlich hässliche Sachen an den Kopf geworfen. Ich hab sie zwar nie körperlich misshandelt, aber ich war schon öfter nahe dran …“

Im Verlauf unseres Gesprächs erfuhr ich, dass Bill ein gebildeter Mann war. Er hatte Betriebswirtschaft studiert, war verheiratet, hatte zwei Kinder, ein hohes Einkommen und ein schönes Haus am Stadtrand. Bill arbeitete in seiner Gemeinde mit und war ein „ehrenwerter Mann“. Doch er verlor immer wieder die Beherrschung.

Tausende von Männern werden sich mit Bill identifizieren können. Sie haben oft genug ähnlich wie Bill reagiert. Leider sind viele nicht so ehrlich wie Bill, und noch weniger sind bereit, das Problem anzugehen. Und natürlich ist „die Beherrschung verlieren“ nicht nur ein Thema für Männer. Das sehen wir an Anne.

Anne, eine attraktive dreiunddreißig Jahre alte Mutter von zwei Kindergarten-Kindern, liebte ihren Mann Glen, einen aufstrebenden Anwalt. Die beiden waren seit acht Jahren verheiratet. Anne war Buchhalterin, hatte aber beschlossen, mit ihrem Beruf zu pausieren, solange die Kinder noch nicht in der Schule waren.

„Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht“, sagte sie mir. „Ich glaube nicht, dass ich eine gute Mutter abgebe. Ich habe mir immer Kinder gewünscht, aber jetzt, wo ich welche habe, gefällt es mir gar nicht, wie ich mit ihnen umgehe. Und mir gefällt es nicht, was sie mit mir machen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals richtig wütend war oder die Beherrschung verloren habe, als ich noch keine Kinder hatte. Ich habe immer geglaubt, ich hätte meine Gefühle unter Kontrolle. Aber bei den Kindern … ich muss zugeben, dass ich da die Beherrschung schon oft verloren habe. Ich hasse mich selbst dafür. Und ich weiß, dass es den Kindern nicht guttut.“

„Was passiert, wenn Sie bei den Kindern die Beherrschung verlieren?“, fragte ich nach.

„Das ist unterschiedlich“, meinte sie. „Manchmal schreie ich sie an. Oder ich versohle sie kräftig. Neulich habe ich Tina gepackt und sie durchgeschüttelt. Das hat mir richtig Angst gemacht. Gerade am Tag vorher hatte ich im Fernsehen einen Bericht über eine Mutter gesehen, deren Kind an so etwas später gestorben ist. Ich will meinen Kindern nicht wehtun. Ich liebe sie, aber ich verliere manchmal einfach die Beherrschung. Ich wollte, Glen würde sich mal um die Kinder kümmern, damit ich mich mal erholen könnte. Aber er steht beruflich derart unter Stress, dass er meint, nicht auch noch die Kinder verkraften zu können. Manchmal denke ich, dass ich wieder arbeiten sollte und eine Tagesmutter für die Kinder suchen sollte.“

Im Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass Anne sich nicht nur über das Verhalten ihrer Kinder ärgerte, sondern auch über Glen, der sie so wenig unterstützte. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie ihren Beruf aufgegeben und sich für die Mutterrolle entschieden hatte. Und sie war auch wütend auf Gott, weil er zugelassen hatte, dass sie Kinder bekam. „Er hätte doch wissen müssen, dass ich dieser Situation nicht gewachsen bin“, sagte sie.

Jetzt flossen bei Anne die Tränen. Und mir war auch nach Weinen zumute, als ich an die Hunderte von Müttern dachte, die im Laufe der vergangenen dreißig Jahre in mein Büro gekommen sind, weil sie mit ihrer Weisheit am Ende waren.

Bill mit seinen gebrochenen Zehen und Anne mit ihrem gebrochenen Herzen lebten in ganz verschiedenen Welten. Aber sie hatten eines gemeinsam: die menschliche Erfahrung, heftigen Ärger oder Wut zu empfinden, und die Hilflosigkeit, damit umzugehen. Beiden war klar, dass ihre Gefühle sie zu unangemessenem Verhalten verleitet hatten, aber keiner wusste, was er dagegen tun konnte. Und so litten sie körperlich und seelisch an ihrer destruktiven Art, auf diese Gefühle zu reagieren. Auch ihre Familien litten unter den Folgen dieses negativen Verhaltens.

Ärger, Wut, Zorn: eine universelle Erfahrung


In späteren Kapiteln werde ich beschreiben, wie Bill und Anne lernten, besser – nämlich konstruktiv – mit ihren Gefühlen umzugehen, aber zunächst müssen wir an den Anfang zurückgehen. Wir müssen eine Antwort auf die Fragen finden: Was ist Ärger, und wo liegt der Ursprung für dieses Empfinden?

Anthropologen haben herausgefunden, dass Ärger eine allgemeine menschliche Erscheinung ist, das heißt, dass diese Empfindung in allen Kulturen auf der ganzen Welt vorkommt. Wenn ich also über die Ursachen von Ärger spreche, meine ich damit nicht die Gründe, weshalb ein bestimmter Mensch an einem bestimmten Tag ärgerlich ist. Ich gehe vielmehr der Frage nach: Warum ist Ärger eine universelle Erfahrung, also eine Erfahrung, die alle Menschen machen? Was ist der Grund dafür, dass der Mensch Ärger empfindet?

Das Gefühl von Ärger ist in keiner Kultur auf eine bestimmte Personengruppe beschränkt. Menschen aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten empfinden Ärger. Marianne, eine unverheiratete Frau, ärgert sich über ihre Mutter, die ihr Verhalten beeinflussen will. Bert, ein Schüler, ist zornig über seinen Lehrer, der ihm im Zeugnis eine schlechte Note gegeben hat. Die fünfzehnjährige Inga ist sauer; sie hat das Gefühl, dass ihre Eltern sie wie eine Zehnjährige behandeln. Barbara, eine 85-jährige Großmutter, ärgert sich über ihren ältesten Sohn, der sie nur selten besucht. Sie reagiert aber auch eingeschnappt gegenüber ihrer Tochter, die zwar jeden Tag zu ihr kommt, aber ihrer Meinung nach nie lange genug bleibt. Martin, ein Pastor, ärgert sich über die Ältesten seiner Gemeinde, die seine besten Ideen abschmettern. Beatrice ist gerade drei Jahre alt und sie hat einen Wutausbruch, weil die Mutter ihr das Lieblingsspielzeug weggenommen hat.

Was ist Ärger?


Zunächst einmal gilt es zu klären, was wir unter Ärger verstehen. Merriam-Webster‘s New Collegiate Dictionary beschreibt „Anger“ (im Amerikanischen der gemeinsame Begriff für Ärger, Wut und Zorn / Anm. d. Ü.) als „eine starke Leidenschaft oder Empfindung des Unbehagens und in der Regel der Feindseligkeit, die durch ein Gefühl der Kränkung oder Beleidigung hervorgerufen wurde.“ Bei dem Begriff Ärger denken wir normalerweise an ein Gefühl; es handelt sich dabei jedoch um mehr als ein Gefühl. Ärger betrifft die Gefühle, den Körper, den Geist und den Willen, die allesamt durch ein Erlebnis im Leben des Betreffenden in Bewegung geraten sind.

Ärger wird immer durch irgendein Erlebnis hervorgerufen. Wir setzen uns nicht hin und sagen: „Ich glaube, jetzt empfinde ich mal richtig Ärger.“

Ärger ist eine Reaktion, die wir als Gereiztheit, Enttäuschung, Schmerz oder ein anderes Gefühl des Unbehagens spüren können.

Auslöser dieser Reaktion können ganz unterschiedliche Erlebnisse in unserem Alltag sein: Er kommt spät nach Hause; sie hat versäumt, eine Scheckzahlung...

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