Orte - Fabriken - Geschichten - 188 historische Industriebauten in Vorarlberg
von: Barbara Motter, Barbara Grabherr-Schneider
Haymon, 2014
ISBN: 9783709935750
Sprache: Deutsch
336 Seiten, Download: 56523 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
Bregenz
1 Wollgarnspinnerei Schoeller Mariahilfstraße 29
1a Schoeller Arbeiterwohnhäuser Radbahngasse 3 – 14, Mariahilfstr. 17 und 19, Gilmgasse 3, Heldendankstraße 25, Mariahilfstraße 31
1b Schoeller Beamtenwohnhäuser und Villen Mariahilfstraße 27, Eragasse (Mitte), Riedergasse 46, Josef-Huter-Straße 34, Augasse 10
1c Schoeller Villa Liebenstein Arlbergstraße 66
2 Nutzung Kloster Mehrerau Mehrerauerstraße 66
3 Zichorienfabrik Druckergasse 5
4 Rotfärberei Gysi Mehrerauerstraße 70 a
5 Wirkwarenfabrik Benger Mehrerauerstraße 3, 3a und 5
6 Knorr Quellenstraße 22
7 Maggi Areal Broßwaldengasse 12
7a Maggi Beamtenvilla Josef-Huter-Straße 36
8 Strickwarenfabrik Altmann Arlbergstraße 117
8a Wohnhäuser Altmann Josef-Huter-Straße 15, 28 – 30, 32
9 Goldwarenfabrik Standort nicht eruierbar
9a Palais Thurn und Taxis Gallusstraße 10
9b Villa Grunental Gallusstraße 2
10 Elektra Bregenz Brielgasse 27
11 Kraftwerk Bregenz Rieden Weidachstraße 6
12 Ansitz Kronhalde Kronhaldenweg 19
13 Kaiser Bonbons Scheffelstraße 12
14 Seidenbandfabrik Trüdinger & Consorten Bahnhofstraße 53, Klostergasse 30
15 Gebrüder Schmied & Co Bahnhofstraße 47, Klostergasse 30
DIE LANDESHAUPTSTADT MIT dem Blick auf den See schien lange Zeit mehr etwas für Romantiker als für Industrielle zu sein und war zum Beispiel im Vergleich zu Dornbirn nicht das, was man hinsichtlich der vorhandenen Industrie in der Phase der Frühindustrialisierung gemeinhin als große Nummer bezeichnen würde. Später hingegen bedeutete die Seenähe wegen der Luftfeuchtigkeit für die Wollgarnverarbeitung einen Standortvorteil.
Kolorierte Ansicht der Bregenzer Bucht, um 1910
Im 18. Jahrhundert ist die Errichtung einer Baumwollweberei durch Carl Bernhard Caspar von der Trave dokumentiert, der 1767 eine Manufaktur in der Oberstadt eröffnete, welche offenbar aufgrund von Zollvergehen schon wenige Jahre nach der Gründung wieder von der Bildfläche verschwand. Im 19. Jahrhundert kam es im Zuge der Frühindustrialisierung zu zaghaften Gründungen in bereits bestehenden Gebäuden. So zum Beispiel auf dem Ansitz Kronhalde in Rieden, auf welchem die Unternehmer Schertler und Krüsy einen Spinnereibetrieb mit etwa zehn Beschäftigten führten.
Als bestehende Gebäude boten sich auch die Räumlichkeiten des 1806 säkularisierten Klosters Mehrerau an. 1829 erwarben „Feuerstein Josefs Erben“, die ursprünglich in Bezau auf Tabakerzeugnisse spezialisiert waren, Teile des Klosters im Bereich des heutigen Bauhofs und errichteten eine Produktion für Steingut- und Porzellanerzeugnisse. 1842 verpachteten sie die Gebäude für zwölf Jahre an Christian Trampler, der eine „Zichorien- und Modekaffeefabrik“ gründete und bis zu 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigte, ehe der Betrieb von Gruber und Kiene aus Lochau übernommen wurde. Auf dem Areal des Klosters selbst erwarb der Zürcher Unternehmer Konrad Gysi, der in Fußach eine bedeutende Baumwollspinnerei besaß, 1838 die Klostermühle und installierte eine Schönfärberei sowie eine Druckerei für die eigenen Produkte. 1850 erhielt er die Genehmigung für die Erweiterung des Betriebs um ein Trockengebäude, ein Farbhaus sowie eine Rotfärberei, deren Überreste bedauerlicherweise im Sommer 2013 dem Erdboden gleichgemacht wurden. Gysi beschäftigte teilweise bis zu 100 Personen am Standort Bregenz-Vorkloster. 1896 wurde die Anlage von F.M. Hämmerle übernommen.
Die verhältnismäßig geringe Dichte hinsichtlich der Textilindustrie bot Chancen für Nischen, die Mitte des 19. Jahrhunderts beispielsweise der Unternehmer Karl Güllich aus Pforzheim zu nutzen versuchte, welcher gemeinsam mit Gallus Schwärzler um 1840 die Errichtung einer Schmuckwarenerzeugung beantragte und somit einen Ableger der Pforzheimer Goldwarenindustrie installierte. 1845 waren in deren Fabrik 72 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt. Heute sind nur noch die imposanten Bezugsbauten, das Palais Thurn und Taxis sowie die Villa Grunental, die auf Güllich und Schwärzler zurückgehen, vorhanden.
In der Bahnhofstraße beim St. Anna Kloster gründeten die Gebrüder Schmied & Co 1866 eine mechanische Seidenweberei und statteten ihren Betrieb gleich mit dem ersten „Gaswerk“ Vorarlbergs aus. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde das Gebäude, in welchem zu Blütezeiten bis zu 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt waren, von der Stadt Bregenz übernommen. Ein Hintergedanke dabei war offensichtlich, entlegene Teile der Stadt über das Gaswerk mit Energie zu versorgen. Im Gebäude selbst hielt 1896 das Bregenzer Gymnasium Einzug. Noch erhalten sind jene Teile der Fabrik, in denen ab 1908 die Fachschule für gewerbliches Zeichnen eingerichtet wurde. Heute ist das Gebäude mit dem Sheddach Heimat des Jugendhauses „Between“. Einen weiteren Meilenstein der Energiegewinnung stellt das Kraftwerk Bregenz Rieden der Vorarlberger Kraftwerke (VKW) im Weidach dar. Der Methusalem unter den Kraftwerken Vorarlbergs, in welchem um 1900 bis zu 60 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt waren, ist im Gegensatz zum Gaswerk der Gebrüder Schmied teilweise noch erhalten. In einem Schauraum am Firmengelände, dem sogenannten Krafthaus, ist die Geschichte der Vorarlberger Kraftwerke für Besucher und Besucherinnen aufbereitet.
Historische Ansicht des Stadtteils Vorkloster mit den Firmen Benger, Maggi und Trüdinger
Ehemaliger Standort der Firma Knorr, 2013
Einen Schub hinsichtlich Betriebsansiedlungen löste die österreichisch-ungarische Monarchie mit ihren Schutzzollbestimmungen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch in Bregenz aus. Firmen wie die Textilbetriebe Benger, Schoeller und Trüdinger oder die Nahrungsmittelhersteller Maggi, Knorr oder Kaiser wählten die Landeshauptstadt für ihre Zollgründungen, um den großen Vielvölkerstaat mit ihren Produkten beliefern zu können. Im sogenannten Vorderfeld, dem heutigen Vorkloster, wurde die Schoeller Wollgarnspinnerei zum dominierenden Betrieb, der mit seiner intensiven Wohnbautätigkeit im Umkreis der Fabrik den ganzen Stadtteil räumlich bis heute prägt. Während sich Benger, Maggi, Schoeller oder Trüdinger für längere Zeit etablierten, war das Gastspiel von Knorr eher von kurzer Dauer. Die Firma produzierte auf dem heutigen Areal der Firma Kiechel und Hagleitner ab 1889 Suppenwürfel, Hafererzeugnisse und Kindernahrung und übernahm 1900 die kurz zuvor gegründete Kuchenfabrik Köstlin, ehe der Nahrungsmittelriese seine Produktion 1906 aus marktstrategischen Gründen nach Oberösterreich verlagerte.
Etwas süßer roch die Luft in der Oberstadt und später rund um den Neubau in der Scheffelstraße, was wohl der Firma von Theodor Kaiser aus Waiblingen bei Stuttgart zu verdanken war, der seine „Kaiserbonbons“ ab 1894 in Bregenz produzierte. Bis heute sind die drei Tannen auf den Brustkaramellen eine bekannte Marke.
Nicht ganz so angenehm war vermutlich die Mischung unterschiedlicher Industriedüfte im heutigen Stadtteil Vorkloster. Luftgüte war im 19. Jahrhundert noch kein Thema, aber deren Wert den Unternehmern durchaus bewusst. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Beamtenwohnhäuser und Villen der leitenden Angestellten am Hügel über dem Vorkloster gebaut wurden. Zahlreiche „gehobene“ Wohnbauten der Firmen Schoeller, Altmann und Elektra Bregenz befanden sich entlang der Arlbergstraße, Josef-Huter-Straße und Riedergasse. Die herrschaftlich anmutende Strickwarenfabrik Altmann in der Arlbergstraße ist eine der wenigen Produktionsanlagen in diesem Stadtgebiet.
Wohn- und Geschäftspark schoeller 2Welten, 2013
Wollgarnspinnerei Schoeller
Mariahilfstraße 29
Besichtigung: Areal frei zugänglich
Datierung: 1897
Wirtschaftszweig: Textilindustrie
Ein Jahr nach der Errichtung der Kammgarnspinnerei in Hard wurde 1897 eine weitere Niederlassung der Schweizer Industriellenfamilie Schoeller in Vorarlberg gegründet. Im sogenannten Bregenzer Vorderfeld, dem heutigen Stadtteil Vorkloster, wurde eine Handstrickgarnspinnerei errichtet. Bekannt wurde das Unternehmen mit seiner Marke „Spinnerin Wolle“.
Der erste Fabriksbau bestand aus einem Wohn- und Verwaltungsgebäude im englischen Neotudorstil und, direkt daran angeschlossen, acht...