Amors Gift - Kriminalroman

Amors Gift - Kriminalroman

von: Bärbel Böcker

Gmeiner-Verlag, 2014

ISBN: 9783839244685

Sprache: Deutsch

345 Seiten, Download: 5803 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Amors Gift - Kriminalroman



2. Kapitel


Bis dass der Tod euch scheidet. Dieser Satz galt in Deutschland schon lange nicht mehr, und aus diesem Grund hatte Florian Halstaff eine TV-Sendung zum Thema Späte Scheidungen geplant. Mit steigender Tendenz reichten Paare auch nach jahrzehntelanger Ehe die Scheidung ein, betroffen waren nicht nur prominente Politiker, Schauspieler oder Sänger, sondern ganz normale Menschen. Anlass genug, darüber eine Sendung zu machen.

Florian, normalerweise gut gelaunt und voller Elan, hatte heute einen schlechten Tag. Er lehnte sich frustriert in seinem Bürostuhl zurück und sah, ohne sie wirklich wahrzunehmen, aus dem Fenster in die herbstlich gefärbten Wipfel der Bäume auf der gegenüberliegenden Seite des Hansarings, die sich leicht im Wind wiegten, und spielte mit einem Kugelschreiber, den er zwischen beiden Händen hin und her drehte. Die gestrige Sendung hätte ein voller Erfolg werden können, davon war er überzeugt, aber es hatte ein Quotendesaster gegeben. Sie hatten nur 10,2% Marktanteil statt der durchschnittlichen 16% erzielt, und er machte sich Vorwürfe. Der Chef der journalistischen Unterhaltung beim Sender hatte ihn, seine Chefin Regine Liebermann und Curt Kasten, den Redaktionsleiter, am Nachmittag zu sich bestellt, und Florian wurde flau in der Magengegend, wenn er nur an das Gespräch dachte. Curt, sein direkter Vorgesetzter, würde Regine wahrscheinlich in diesem Moment mit Kritik an seinen redaktionellen Fähigkeiten in den Ohren liegen, und er gestand sich ein, dass er dieses eine Mal alles Recht der Welt dazu hatte. Die Art und Weise jedoch, wie er ihn am Morgen in der Redaktionsküche zurechtgewiesen hatte, war unerträglich gewesen. Er war laut geworden und hatte ihn als unfähigsten Redakteur von Profi Entertainment bezeichnet, und nachdem Curt in sein Büro gerauscht war, hatte Patricia, die Sekretärin, ihm mitleidvoll ein paar Kekse angeboten. Immerhin hatte er da wieder gelacht.

Vor Barrick jedoch würden sie an einem Strang ziehen und versuchen, stichhaltige Gründe für den miserablen Marktanteil ins Feld zu führen. Sie würden den Quotenverlauf analysieren und den Misserfolg der Sendung auf das starke Gegenprogramm schieben, außerdem würden sie darauf hinweisen, dass es völlig unvorhersehbar war, dass der stärkste Talkgast, Lisa Spangenberg, nicht zur Sendung erschienen war und sie würden dies als großes Pech bezeichnen. Regine, Curt und er würden als Einheit auftreten, doch er würde sich fühlen wie ein Falschmünzer, ein zu Unrecht vor dem Auftraggeber Geschützter, und Curt würde nur deswegen gute Miene zum bösen Spiel machen, weil die Chefin es so erwartete. Ihnen allen war klar, dass Florian versagt hatte, doch sie würden dem Sender gegenüber kein Wort darüber verlieren. Zu viel stand für Profi Entertainment auf dem Spiel. Außerdem würden sie Barrick versichern, dass der nächste Diens-Talk wieder normale Werte, vielleicht sogar eine Spitzenquote erzielen würde.

Florian biss sich auf die Lippen. Der Gedanke, welche Konsequenz die missratene Sendung für ihn innerhalb der Redaktion haben konnte, bereitete ihm Unbehagen, und so schob er ihn rasch wieder beiseite.

Warum war Lisa Spangenberg nicht erschienen? Es war unerklärlich. Die Frau, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, weil sie so charmant wie intelligent über die Gründe reden konnte, weshalb sie nach mehr als 30-jähriger Ehe die Scheidung eingereicht hatte. Beim Casting hatte sie sich selbstsicher und sympathisch gegeben, sie war redegewandt, sogar humorvoll aufgetreten, und er würde noch jetzt darauf schwören, dass die Fernsehzuschauer gestern an ihren Lippen gehangen hätten, wenn sie denn erschienen wäre. Vor laufender Kamera sollte sie wortreich darüber berichten, wie Frust und Langeweile in ihr Eheleben Einzug gehalten hatten, ein schleichender Prozess.

Er dachte daran, dass die 72-Jährige eine saubere Trennung, eine Scheidung ohne den üblichen Rosenkrieg wollte, und sie und ihr Mann schienen tatsächlich fair und freundschaftlich miteinander umzugehen. Florian hatte Victor Spangenberg nicht kennengelernt, was er bedauerte, doch es gab keinen Grund, an Lisas Ausführungen zu zweifeln. Sie war wirtschaftlich unabhängig, als pensionierte Lehrerin bezog sie eine ansehnliche Rente, und so würde sie ihrem Mann nach der Scheidung keine finanziellen Probleme bereiten. Optimale Voraussetzungen. Er sah sie vor sich, hochgewachsen, mit ihrem grauschwarzen halblangen Haar und den wallenden langen Kleidern, die ihr trotz ihres Alters eine feminine Ausstrahlung verliehen. Ihm gefiel, dass sie im Herbstsemester mit einem Studium der Kunstgeschichte beginnen wollte.

Florian rollte mit den Schultern, um einer spürbaren Verspannung entgegenzuwirken, und legte den Kugelschreiber zurück auf den Schreibtisch. Sie hatte so klar und eindeutig auf ihn gewirkt, so verlässlich, aber warum war sie gestern nicht zur Sendung erschienen?

Hatte er sich derart in ihr getäuscht? Oder, ihm stockte für einen Moment der Atem, war sie etwa dement und hatte den Sendetermin schlichtweg vergessen?

Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Durch das geöffnete Fenster drang lautes Hupen in sein Büro. Ein Autofahrer schien bei der Ampelumschaltung von Rot auf Grün nicht schnell genug Gas gegeben und damit andere Fahrer verärgert zu haben.

So etwas wie gestern war ihm in den Jahren, in denen er für Profi Entertainment arbeitete, noch nicht passiert, und es hätte ihm auch nicht passieren dürfen. Die anderen zwei Talkgäste waren zu wenig reflektiert gewesen, und er hätte dies alles bereits beim Casting bemerken müssen. In Kombination mit Lisa Spangenberg hätten sie vermutlich gut funktioniert, aber man sollte sich nie auf einen einzigen Talkgast als Zugpferd verlassen. Jörn Carlo, dem Moderator, war es nicht gelungen, sie aus der Reserve zu locken, obwohl er sich redlich Mühe gegeben hatte, dem Gespräch eine spannende, vielleicht sogar böse Note zu geben, die dem Ganzen Kraft verliehen hätte. Stattdessen hatte er zunehmend genervt auf die Gäste reagiert, und nach der Sendung war er sauer auf die Redaktion gewesen, vor allem natürlich auf ihn. Florian schloss für einen Moment die Augen. Er hatte als verantwortlicher Redakteur in wesentlichen Aspekten versagt, daran gab es keinen Zweifel.

Seine Gedanken wanderten zum Thema der Sendung Späte Scheidungen, und wie schon oft in letzter Zeit fragte er sich, ob die Ehe nichts weiter war als eine unzeitgemäße Form der Partnerschaft, doch auch heute fand er keine eindeutige Antwort darauf. Warum heirateten Menschen, und warum trennten sie sich wieder? Bei ihrem ersten Treffen hatte Lisa Spangenberg ihm erzählt, dass sie und ihr Mann in den letzten Jahren nur noch wenig miteinander geredet hätten, oder besser gesagt, dass sie zwar miteinander geredet, aber sich nicht mehr viel zu sagen gehabt hätten, vor allem Victor habe sich ihr entzogen, behauptete sie. Außerdem habe er im Laufe der Jahre immer weniger auf sein Äußeres geachtet und jede Bitte, etwas daran zu ändern, habe Anlass zu Streitigkeiten gegeben. Mit 72 Jahren fühle sie sich jedoch längst noch nicht zu alt, um einen Mann zu begehren, hatte sie erklärt, doch wenn die Voraussetzungen dafür fehlten, habe die Liebe keine Chance. Sie hatte hinzugefügt, dass die meisten Männer von ihren Frauen doch auch erwarteten, dass sie sich ansehnlich kleideten und bis ins hohe Alter attraktiv blieben, und dann hatte sie den Kopf in den Nacken geworfen und ihn mit einem Augenzwinkern bedacht. Das Leben sei mit 72 längst nicht vorbei, hatte sie gesagt, und sie könne sich nur schwer vorstellen, die letzten Lebensjahre ohne Spannung zu verbringen. »Wie heißt es so schön?«, hatte sie gefragt. »Lieber allein als gemeinsam einsam?«

Irgendwann hatte sie wissen wollen, ob er auch verheiratet sei, und er erzählte ihr, dass er eine Freundin hatte, die wie er bei Profi Entertainment arbeite, jedoch nicht in der Redaktion, sondern als EDV-Profi. Lisa Spangenberg hatte gelacht. »Denken Sie daran, nichts ist schlimmer für eine Frau als ein Mann, der im Laufe der Jahre keinen Wert mehr auf sein Äußeres legt und sich zu wenig für sie interessiert. Wenn Sie mit Ihrer Jana alt werden wollen, sollten Sie nicht müde werden, sich um sie zu bemühen.«

Das war eine Binsenweisheit, und Florian weigerte sich, etwas darauf zu erwidern.

»Wann haben Sie aufgehört, Ihren Mann zu lieben?«, hatte er stattdessen wissen wollen.

Sie knetete ihre langen Finger und blinzelte ihn an: »Im Grunde liebe ich ihn immer noch.«

»Und trotzdem wollen Sie sich von ihm trennen?«, fragte er erstaunt.

Sie nickte. »Victor respektiert meinen Scheidungswunsch.«

»Liebt er Sie denn noch?«

»Ich glaube schon.«

Florian sah Lisa Spangenberg wieder vor sich, die plötzlich gebeugten Schultern, ihre mit einem Mal fahl wirkende Haut, und er zuckte leicht zusammen, als es an seiner Bürotür klopfte. Vor ihm stand Regine Liebermann, seine Chefin. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm, dazu eine helle Seidenbluse und Schuhe mit hohem Absatz. Zu ihrem blonden Haar kontrastierte Blau perfekt. Sie hatte Frust in den Augen und machte diese eine Bewegung, die er schon oft an ihr gesehen hatte, wenn sie mutlos war und voller Sorge um die Zukunft ihrer Sendereihe. Regine legte die Hand an die Stirn und verdeckte damit das halbe Gesicht. Es war eine Geste, die ihn seltsam berührte.

»Ich bin nicht hier, weil ich nochmal mit dir über das Resultat des gestrigen Abends reden will, das haben wir bereits ausgiebig getan....

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