Die Scheich-AG - Wie unsere Unternehmen vom Wirtschaftswunder am Golf profitieren
von: Michael Backfisch
Campus Verlag, 2011
ISBN: 9783593410470
Sprache: Deutsch
254 Seiten, Download: 5030 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
|15|1. Die arabische Wachstumsmaschine
Paradies für deutsche Exportunternehmen
Jagd auf Nobelmarken: Der Daimler- und der Porsche-/VW-Coup
Spätestens 2009 hat man in Deutschland begriffen, dass arabische Akteure in unserer Wirtschaft ganz groß mitmischen. Im März 2009 kaufte die staatliche Investmentgesellschaft Aabar aus dem Öl-Emirat Abu Dhabi einen Anteil von 9,1 Prozent am Parade-Unternehmen Daimler.1 Mit einem Schlag waren die Scheichs der gewichtigste Einzelaktionär bei der Weltfirma mit dem Stern. Wenn es nach Khadem Al Qubaisi geht, dem smarten Vorsitzenden von Aabar mit dem stets akkurat gestutzten Dreitagebart, soll der Anteil bald auf 15 Prozent hochgeschraubt werden. Wenige Monate nach dem Daimler-Deal zog die Gashochburg Katar nach: Der Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) erwarb 10 Prozent der Stammaktien an der Porsche Automobil Holding SE und beteiligte sich mit 17 Prozent an Volkswagen. Die Jagd auf die deutschen Premiumhersteller der Autobranche hatte ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.2 Die Nobelmarken »made in Germany« stehen bei gut betuchten Arabern für Status, technologische Spitzenqualität und verlässlichen Profit. Und anders als etwa im Fall staatlicher Anleger aus Russland oder China waren die »Retter aus dem Morgenland«3 in Deutschland höchst willkommen: Politik, Öffentlichkeit und die Betriebsräte der betroffenen Firmen jubilierten. Nach den drastischen Absatzeinbrüchen im Zuge der globalen Finanzkrise verschafften die frischen Kapitalspritzen den Konzernen eine Atempause. Vor allem aber stehen arabische Investoren in dem Ruf, zumindest bei Anlagen in Deutschland weniger |16|an kurzfristiger Gewinnmaximierung als an einer guten langfristigen Rendite interessiert zu sein.4 Zudem nimmt man in Deutschland den Arabern das Bekenntnis ab, keine politische Einflussnahme anzustreben.5
Der arabische Exportmarkt steht bei deutschen Unternehmen hoch im Kurs:
Bereits Platz 4 hinter den USA, China und Russland
Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Denn umgekehrt entdecken deutsche Unternehmen zunehmend den Nahen Osten als Exportparadies. So haben die Ausfuhren auf die Arabische Halbinsel 2010 schätzungsweise rund 15 Milliarden Euro in deutsche Kassen gespült, mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren.6 Wenn in diesem Buch von der Arabischen Halbinsel die Rede ist, umfasst dies die sechs Staaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Kuwait, Bahrain und Oman. Das sind die Länder des Golf-Kooperationsrates, eines lockeren politischen Zusammenschlusses. Rein geografisch zählt auch der Jemen zur Arabischen Halbinsel, doch wirtschaftlich fällt das Armenhaus Arabiens kaum ins Gewicht. Der beliebteste Exportmarkt sind aus deutscher Sicht die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihren beiden Metropolen Dubai und Abu Dhabi, die Saudi-Arabien den Rang abgelaufen haben. Die Emirate lagen im ersten Halbjahr 2010 mit einem Volumen an deutschen Importen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro nur knapp hinter der Wachstumslokomotive Indien, das auf 4,3 Milliarden Euro kam. Insgesamt ist die Arabische Halbinsel für Deutschland der viertgrößte Überseemarkt nach den USA, China und Russland.7
Die Bedeutung der Region wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Es ist eine einfache Gleichung: Die Preise für Öl und Gas liegen relativ hoch, die nationalen Haushalte schwimmen in Geld, die Bevölkerung ist jung und wächst, verglichen mit westlichen Industrienationen, überproportional. Der Bedarf an Straßen, Flug- und |17|Seehäfen, Eisenbahnlinien, Häusern, Schulen, Krankenhäusern und Kraftwerken ist enorm. Im Oktober 2010 waren auf der Arabischen Halbinsel Infrastrukturprojekte im Wert von rund 2,3 Billionen Dollar im Bau oder in der Planung. Das sind 2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.8 Die Region verfügt über 37 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven und 23 Prozent der globalen Gasvorkommen.9 Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait sind gewichtige Öl- und Gasimperien, das Rohstoff-Reservoir von Oman und Bahrain ist deutlich geringer. Nach Berechnungen des in Washington ansässigen Institute of International Finance (IIF) strich der Sechser-Club 2010 Brutto-Exporteinnahmen von 419 Milliarden Dollar ein, für 2011 werden sogar 457 Milliarden Dollar geschätzt.10 Das sorgt zumindest bei den fossilen Großmächten für luxuriös ausgestattete Budgets. So prognostizierte die Emirates Industrial Bank (EIB) in Abu Dhabi den Staaten der Arabischen Halbinsel für 2010 ein Etatplus von rund 50 Milliarden Dollar.11 Und das trotz opulenter staatlicher Ausgabenprogramme.
Experten gehen davon aus, dass die Konjunktur im Nahen Osten unter Dampf bleibt. »Wir glauben, dass der Weltwirtschaft 2011 eine robuste Erholung bevorsteht«, bekräftigt Kamran Butt, Chefökonom des Schweizer Bankhauses Credit Suisse in Dubai. »Die Nachfrage nach Rohstoffen und insbesondere das unverändert starke Wachstum in Asien unterstützen die Volkswirtschaften am Golf.«12 Für 2011 prognostiziert Butt den Staaten der Arabischen Halbinsel ein durchschnittliches Wachstum von 4 bis 5 Prozent. Das Gasimperium Katar lege hingegen aufgrund der Errichtung neuer Industrieanlagen zwischen 13 und 15 Prozent zu.13 Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt der Region Nordafrika, Nahost und Pakistan für 2011 ein Plus von 4,8 Prozent voraus.14
Die Chancen, dass deutsche Unternehmen ein möglichst großes Stück von diesem Kuchen abbekommen, stehen gut. Deutsche Produkte und Qualität genießen im Nahen Osten traditionell einen exzellenten Ruf. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Deutschland aufgrund seiner fehlenden Kolonialvergangenheit in dieser Region keine politische |18|Hypothek mit sich herumschleppt wie etwa England oder Frankreich.
Wettrennen um Milliardenaufträge: Deutsche Firmen in den Startlöchern
Bei einigen Mega-Vorhaben in der Region haben sich deutsche Firmen bereits eine hervorragende Startposition gesichert. So ist die Deutsche Bahn an der Planung eines 17 Milliarden Euro teuren Schienennetzes im Emirat Katar beteiligt.15 Dort drücken etliche deutsche Unternehmen der Bahn die Daumen und bauen auf einen Huckepackeffekt. Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS ist bereits gut im Geschäft. Die Münchner entwickeln für Saudi-Arabien eine elektronische Grenzsicherung mit einem Auftragsvolumen von 3 Milliarden Euro.16
Kein Wunder, dass sich die Stimmung der Industriekapitäne beim Thema Nahost immer weiter aufhellt. Viele Firmen haben in der Region in den vergangenen Jahren ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 10 bis 15 Prozent per annum erzielt.17 Selbst im Krisenjahr 2009, als die Exportzahlen in Europa und den USA ins Bodenlose stürzten, erzielten einige in Arabien zumindest ein einstelliges Plus. Für 2011 und 2012 bauen die Topmanager wieder auf zweistellige Raten. »Die Fundamentaldaten der Region sind stark: Die Bevölkerungszahlen steigen, die Länder sind reich an Rohstoffen, das Geld wächst nach«, fasst der Nahost-Chef eines DAX-Unternehmens zusammen.18 Auch Siemens ist optimistisch, in den kommenden Jahren beim Umsatz auf der Arabischen Halbinsel zweistellig zuzulegen. »Der Nahe Osten zählt für uns weltweit genauso zu den wichtigsten Wachstumsregionen wie die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China«, erläutert Joachim Kundt, Siemens-CEO für die Untere Golfregion.19 Der Konzern ist mit rund 3500 permanent beschäftigten Mitarbeitern der größte deutsche Arbeitgeber zwischen Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Die Münchner erwarten vor allem im Bereich Energie, |19|der fast zwei Drittel ihrer Einnahmen in der Region ausmacht, Milliardenaufträge. Allein ein einziges Gas- oder Öl-Kraftwerk spielt mehrere Hundert Millionen Euro ein. Auch Stromleitungen von Siemens stehen bei den Scheichs ganz oben auf der Wunschliste. Dahinter folgen Industrieprojekte wie Flughäfen oder Gepäckverarbeitungssysteme sowie der Sektor Medizintechnik.
Allein der Gesundheitsmarkt am Golf steht vor einer massiven Expansion. Nach Angaben der US-Forschungsgesellschaft Acorn Research werden in den kommenden Jahren neue Krankenhäuser, medizinische Forschungsstätten und Labors gebaut, die Höhe der Aufträge soll sich auf 57 Milliarden Dollar summieren.20 Derzeit werden die Gesundheitsausgaben auf 15 bis 18 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Die in Abu Dhabi erscheinende Zeitung The National schätzt, dass sich das Volumen in den nächsten 15 Jahren vervier- oder verfünffachen könnte.21
Für den Chemieriesen Bayer liegt der Nahe Osten beim Umsatzwachstum bereits auf Platz 3 – nach Asien und Südamerika. Das größte Geschäft macht die Firma in den Bereichen Gesundheit und Chemie. Auf dem Pharmasektor verkauft sie insbesondere Präparate für Herz-Kreislauf- und Thromboseerkrankungen, zur Krebsbekämpfung und Empfängnisverhütung. Letzteres, so die Einschätzung in Branchenkreisen, werde auch als gesellschaftliches Thema immer wichtiger. »Die Liberalisierung der Frau findet statt, auch wenn man dies nicht unbedingt auf der Straße erkennt«, sagt ein Konzernmanager.22
Mit Blick auf die Chemiesparte setzt Bayer große Hoffnungen in »grüne« Bautechniken. So stellt das Unternehmen in Nahost eine steigende Sensibilisierung für Energieeffizienz und ökologische Verfahren fest. »Die Kunden sind interessierter...