Praxisbuch EEG - Grundlagen, Befundung, Beurteilung und differenzialdiagnostische Abgrenzung

Praxisbuch EEG - Grundlagen, Befundung, Beurteilung und differenzialdiagnostische Abgrenzung

von: Ingmar Wellach

Georg Thieme Verlag KG, 2015

ISBN: 9783131752925

Sprache: Deutsch

388 Seiten, Download: 17094 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Praxisbuch EEG - Grundlagen, Befundung, Beurteilung und differenzialdiagnostische Abgrenzung



2 Elektrophysikalische Grundlagen


2.1 Übersicht


Die Kenntnis der theoretischen physikalischen und technischen Grundlagen erleichtert das Verständnis der verschiedenen elektrophysiologischen Methoden. Insbesondere die Phänomene der Entstehung der Potenzialschwankungen und deren Fortleitung an die Kopfoberfläche erfordern ein Grundwissen zu dieser Thematik, welches in den ersten Kapiteln dieses Buches zusammenfassend dargestellt wird.

Neben den neurophysiologischen Aspekten der Signalentstehung (Generierung) sind aber auch die apparativ-technischen Bedingungen der Signalmessung (Registrierung) für die Interpretation der Wellen und Muster eines EEG von besonderer Bedeutung. Auch hierzu werden die erforderlichen Grundlagen aufeinander aufbauend beschrieben.

In der Elektrophysiologie stehen für klinisch-neurologische und wissenschaftliche Fragestellungen unterschiedliche Methoden zur Verfügung:

  • Elektroneurografie (ENG),

  • Elektromyografie (EMG),

  • evozierte Potenziale (EP),

  • Elektroenzephalografie (EEG).

Diese Verfahren messen die physiologischen Zustandsänderungen von Komponenten des Nervensystems, wie z.B. Spannungs- und Ladungsänderungen von Membranen, Potenzialabläufe sowie elektromagnetische Felder und Kräfte. Gemessen werden die Veränderungen an einem Messort (z.B. Zellmembran oder Zellinneres) gegenüber einem Bezugspunkt anhand von Potenzialen (bzw. Potenzialschwankungen) innerhalb eines definierten zeitlichen Verlaufs. Dargestellt werden diese Potenzialschwankungen letztlich durch unterschiedliche Wellenformen, die dem Potenzialverlauf an der Messelektrode entsprechen (z.B. Membran- oder Aktionspotenzial).

Gegenüber den anderen Methoden liegt die besondere Schwierigkeit der Elektroenzephalografie bezüglich der Interpretation der Potenzialschwankungen in der starken räumlichen und zeitlichen Überlagerung der Wellen. Da die theoretischen Grundlagen der Elektroenzephalografie beim Erlernen der Methode in der Praxis oft in den Hintergrund geraten, sollen sie in den ersten Abschnitten propädeutisch hervorgehoben und ausführlich erläutert werden.

Zunächst werden die grundlegenden physikalischen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der oben genannten elektrophysiologischen Vorgänge (z.B. Ladung und Ladungstransport, elektrische Kräfte und Felder etc.) gemäß ihrer Bedeutung für das EEG besprochen. Darauf aufbauend werden die für das Verständnis des EEGs wichtigsten neurophysiologischen Phänomene – wie Ionenverteilungen und Entstehung von Potenzialdifferenzen, Grundlage der Signalverarbeitung im Zentralnervensystem (ZNS) – beschrieben. Neben den Grundlagen und Begriffsdefinitionen folgen auch Erläuterungen der wichtigsten neuroanatomischen Zusammenhänge (z.B. EEG-relevante Strukturen innerhalb des ZNS). Innerhalb eines jeden Abschnitts wird versucht, einen konkreten praktischen Bezug zum klinischen Alltag des EEG-Anwenders herzustellen.

2.2 Potenzialgenerierung


Die Potenzialgenerierung basiert im Wesentlichen auf Wechselwirkungen elektrischer Ladungen und auf dem resultierenden Ladungstransport mit einer Spannungsänderung über eine räumliche Distanz bzw. über biologische Membranen. Die Spannungsänderung wiederum setzt in biologischen Systemen (z.B. an Synapsen) oft eine Kaskade von Veränderungen der Membranen in Gang, die zu einer Fortleitung des elektrischen Impulses führen. Das durch eine plötzliche Spannungsänderung gegenüber einem Nullpunkt entstandene Potenzial (sei es das Potenzial einer Nervenzelle, einer Synapse oder einer Muskelzelle) kann einen negativen oder einen positiven Ausschlag aufweisen. Das resultierende Potenzial entspricht den Ladungsverschiebungen über und entlang des beteiligten Membranabschnitts in einem bestimmten Zeitverlauf (▶ Abb. 2.1).

Abb. 2.1 Plötzliche Entladung einer gegenüber außen negativ geladenen Membran (durch einen Kaliumaus- und Natriumeinstrom). Gegen die Zeit aufgetragen sind Ruhepotenzial, Schwellenpotenzial und Aktionspotenzial.

Merke

Polaritätskonvention

In der Elektrophysiologie besteht die willkürlich festgelegte Regel, dass Potenziale mit einem Ausschlag nach oben als negativ und Potenziale mit einem Ausschlag nach unten als positiv definiert werden (Polaritätskonvention).

2.3 Elektrische Ladung


Voraussetzung für elektrische Phänomene ist die Tatsache, dass physikalische Körper überhaupt Ladungen aufnehmen und abgeben bzw. transportieren können. Körper, die Ladungen aufnehmen können (z.B. Ionen), werden auch alsLadungsträger bezeichnet.

Ladungsträger können je nach Medium unterschiedlich geladen sein (Metalle, Flüssigkeiten, Elektrolytlösungen). Elektronen sind negativ, Protonen sind positiv geladen. Bei den in Lösung befindlichen Ladungsträgern (Ionen) unterscheidet man Anionen (negativ geladen) und Kationen (positiv geladen). Anionen bewegen sich zum Pluspol und Kationen zum Minuspol. Dabei wird elektrische Ladung transportiert (▶ Abb. 2.2). Der jeweilige Ladungstransport folgt der Polarität und den wirkenden Kräften innerhalb eines definierten Raumes (z.B. eines elektrischen Feldes). Gesetzmäßig folgt der Ladungstransport dem Ziel, einen Ladungsausgleich und damit Elektroneutralität herzustellen.

Definition

Elektrische Ladung

Elektrische Ladung entsteht z.B. bei einem Elektronenüberschuss (negative Ladung) bzw. einem Mangel an Elektronen (positive Ladung). Durch den Ladungsausgleich zwischen ungleichen Ladungen entsteht elektrischer Strom (Ladungsbewegung).

Elektrische Ladungen üben Kräfte aufeinander aus, und zwar

  • anziehende Kräfte, wenn sie ungleichnamig (+/- bzw. -/+) sind und

  • abstoßende Kräfte, wenn sie gleichnamig (+/+ bzw. -/-) sind.

Sind Ladungen frei, so bewegen sie sich von gleichnamigen Ladungen weg bzw. auf ungleichnamige zu (▶ Abb. 2.2). Das Formelzeichen für die elektrische Ladung ist Q. Die SI-Einheit (Internationales Einheitensystem) der Ladung ist Coulomb (C), wobei ein Coulomb einer Amperesekunde (As) entspricht. Eine elektrische Ladung kann in ihrer direkten Umgebung ein elektrisches (bzw. elektromagnetisches) Feld generieren (Kap. ▶ 2.4). Die Kraft eines Feldes F ist abhängig von seiner Ladung Q. Ein weiterer Faktor ist der räumliche Abstand der beiden Ladungen voneinander.

Abb. 2.2 Ladungsdifferenz und Ladungsausgleich. Werden 2 voneinander räumlich getrennte Ladungsquellen bei vorhandenem Ladungsunterschied (Spannung) mit einem elektrischen Leiter (Kap. ▶ 2.5) verbunden (geschlossener Stromkreis), so kommt es zu einem (kompensatorischen) Ladungsausgleich und es fließt elektrischer Strom. Die Höhe des elektrischen Potenzials (Spannung) nimmt mit zunehmendem Abstand vom Generator ab.

2.3.1 Praktischer Bezug


Die Entstehung und der Transport von Ladung sind also Grundvoraussetzung der Signalübertragung und -fortleitung an Nervenzellen. Ohne sie wären eine Erregbarkeit von...

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