Schweres Wasser - Kriminalroman

Schweres Wasser - Kriminalroman

von: Hajo Heider

Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN: 9783839246207

Sprache: Deutsch

308 Seiten, Download: 2763 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Schweres Wasser - Kriminalroman



Panik


Ein kalter Windstoß wehte das blonde Haar über ihr Gesicht, als sie das Fenster öffnete. Der Anruf brach ab. Die junge Frau strich mit ihren langen Fingern die flatternden Strähnen hinter die Ohren. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und las den Zettel, der darauf lag. Der Zeigefinger folgte den Zeilen von rechts nach links.

Eine halbe Stunde später wählte sie die Nummer erneut. Diesmal sprach sie über eine stabile Verbindung mit dem Mann, dessen Stimme sie wiedererkannte. Sie notierte seinen Namen und schob den Zettel mit der Telefonnummer in ihre Handtasche.

Schritte näherten sich im Flur. Sie klappte hastig ihr Handy zusammen, dass es wie eine Kastagnette klackte. Das Gespräch war abgeschnitten. Die junge Frau legte die linke Hand auf das Handy und schaute durch halb gesenkte Wimpern zur Tür, die sich geräuschlos öffnete. Doktor Schneemüller stand dort, schaute auf seine Armbanduhr, wobei er ungläubig aber wohlwollend den Kopf schüttelte. Der enge Türrahmen machte ihn kleiner und massiger, als er eigentlich war, 90 Kilo auf eine Länge von 1,74 Metern verteilt. Er nannte es spöttisch sein Privileg, als Erster in die Firma zu kommen, was eindeutiger Tadel für die später Kommenden war.

Er wünschte Frau Rotbeck einen guten Morgen und betrat das Büro des Controllings. Der jungen Frau begegnete er gern allein. Bisher widerstand sie seinen Annäherungsversuchen mit eleganten Abwehrtechniken, was ihn anspornte, in seinem Bemühen fortzufahren. Ihr Gesicht strahlte an diesem Morgen fast transparent.

Er hatte Bianka vor einem halben Jahr von der Einkaufsabteilung abgeworben. Seither beobachtete er sie aufmerksam, dass ihm die kalkige Blässe sofort auffiel.

»Fühlen Sie sich unwohl?«, fragte er besorgt. Er registrierte die aufkommende Nervosität, bemerkte die zitternde Hand, die ein Blatt in einen offenen Ordner legte. Die andere Hand gab ein bisher verborgenes Handy frei. Ein Sekundenblick genügte, dass er den Ordner erkannte. Das zitternde Blatt bedeckten arabische Schriftzeichen.

»Der Wetterumschwung macht mir zu schaffen.«

»Ich dachte, sie hätten die Zwischenkalkulation abgeschlossen.«

»Der Zettel lag heute Morgen auf meinem Schreibtisch. Er könnte zu dem Vorgang gehören.«

Die Stimme kratzte. Er nahm kleinste Kleinigkeiten wahr – er spürte die Anspannung, betrachtete die Mitarbeiterin mitfühlend. Sie wurde verlegen, als er ihre himmelblauen Augen ergründete. Ihre Lippen zitterten leicht, aber dann schien sie sich zu beruhigen, als er mit ihrem Dekolleté sprach.

»Sie müssen sich schonen.«

»Es ist alles in Ordnung.«

Sie schob das Handy in die Schublade, brachte den Ordner ans Regal und schloss auf dem Weg dorthin das Fenster. Er beobachtete, wie sie die Arme hob, dass sich der Busen streckte, vom dünnen Pullover umspielt – zu dünn für die Jahreszeit, dass er den Schatten eines blauen BH erkannte. Sie stand auf Zehenspitzen, um das oberste Regal zu erreichen. Er bewertete die glatt gezogenen Jeans.

»Schlank wie eine Gazelle«, flüsterte er, als wollte er vermeiden, dass sie sein Säuseln hören konnte. Sie ging kommentarlos zu ihrem Schreibtisch zurück. Schneemüller wünschte gutes Schaffen. Sie erwiderte den Gruß und stierte auf die Tischplatte.

Noch fügten sich Schneemüllers Beobachtungen zu keiner stabilen Einheit. Die erste Richtung seiner Gedanken war von der eigenen Natur vorbestimmt. Er hoffte, die junge Frau sei genauso vernarrt wie er selbst. Aber ihre Nervosität hatte vermutlich eine gänzlich unerotische Ursache, aber der nahe liegende Gedanke war noch zu weit entfernt. Für ihn war arabische Schrift unleserlich und er traute keiner schönen Frau des Westens zu, diese Schrift entziffern zu können.

Er rätselte und gab ihrer Nervosität und Blässe eine tiefere Bedeutung, die anscheinend etwas mit dem Blatt zu tun hatte. Dann war noch das Handy, das sie unter ihrer Hand versteckte. Das Klickgeräusch – ein abgeschnittenes Gespräch? Sein Gehirn biss sich an den Einzelheiten fest. Er ging nachdenklich zu seinem Büro und wünschte sich die junge Frau wie einen frischen, klaren Bach, den er mit einem Blick ergründen konnte.

Als wichtiges Dokument der Menschwerdung galt ihm die Personalakte. Er schlenderte durch sein Vorzimmer, setzte sich hinter seinen Schreibtisch, nahm einen Merkzettel und schrieb: ›Rotbeck‹.

Als die Schritte sich am Ende des Flurs auflösten, wählte die junge Frau eine Nummer im Ortsnetz. Der Ruf ging fünfmal durch, bis sich die Sprachbox meldete.

»Mutter, ruf mich schnellstens an.«

Danach zog sie den Ordner, entnahm das Blatt und übersetzte den Text ins Deutsche. Die Übersetzung steckte sie gefaltet in ihre Handtasche. Der Hinweis ›Übernahme der Ware in Kali Limenes‹ – Kali Limenes mit lateinischen Buchstaben geschrieben – war eigentlich unspektakulär, aber ein sonderbares Gefühl hatte sie zurückgehalten, den referenzlosen Zettel in den Papierkorb zu werfen.

Sie sinnierte, weshalb der Zettel auf ihrem Schreibtisch lag. – Die Putzfrau könnte zwischen den Regalen einen eingeklemmten Zettel befreit haben, den sie, mangels einer besseren Ablage, auf ihren Schreibtisch platzierte.

Die Google-Suche führte an die Südküste Kretas, wo eine Umkehrosmose der modernsten Generation aufgebaut werden sollte. Trinkwasser, Kochsalz, Solebadanlage, Energie-Rückgewinnung. Sie durchblätterte die Kreta-Akte. Unter der Rubrik ›Export‹ war eine Einbauerklärung sowie eine Herstellererklärung eingeheftet. Das Material unterlag den Einschränkungen für Dual-Use, wie sie aus der internen Checkliste erkannte. Aber auch hier musste sie zuerst Wikipedia konsultieren, um die Hintergründe zu verstehen. Sie war keine Spezialistin für Materialien oder Exportbestimmungen, dass sie den Ordner ohne schlechtes Gewissen hätte schließen können.

›Übernahme der Ware in Kali Limenes‹ konnte harmlos sein.

»Weshalb ist die Anweisung arabisch geschrieben?«, fragte sie leise.

Die junge Frau hätte, anstelle ihrer Mutter, ihre Schwester Sylvia anrufen sollen, die an der Uni Kaiserslautern im Fachbereich Hydraulik promovierte. Sie war Spezialistin für Materialien und ihre Verwendung im Bereich der Hydraulik.

Doktor Schneemüller schob den Zettel von links nach rechts über seinen lackierten Eichenschreibtisch, überlegte und schob ihn zurück. Er nahm den Telefonhörer, legte auf und verließ sein Büro.

»Ich gehe in die Personalabteilung«, sagte er seiner Sekretärin im Vorbeigehen.

Die rundliche Frau mit den gesunden Wangen schaute ihm irritiert nach. »Das könnte ich doch für Sie machen«, flüsterte sie.

Schneemüller ging über den Hof, an der langen Glaswand der Kantine entlang. Zwei Frauen wischten Tische und rückten Stühle. Sein Ziel war der zweckmäßige Flachbau vor den Wohnhäusern, die sich jenseits des Zauns anschlossen.

Die Schneedecke war dünn. Gegen den schneidenden Wind hüllte er sich in seinen Wintermantel, hielt den hochgestellten Kragen mit einer Hand vor seine Nase. Sein schwarzes Haar federte wie ein Antennenwald. Platanen, die aus der Zeit der ersten Firmengründung stammten, reckten blattloses Geäst in die Kälte. Während die Firma dreimal Namen und Produktion gewechselt hatte, waren sich die Bäume treu geblieben. Jetzt nannte sich der Betrieb ›Wasser Anlagen (WASAN) – Werk Mannheim‹.

Mit dem Betreten des Personalbüros sank der Geräuschpegel auf Flüsterniveau. Zwei Damen schauten hilfsbereit von ihrer Arbeit auf, er wandte sich an die ältere.

»Kann ich einen Blick in die Personalakte von Frau Bianka Rotbeck werfen?« Als Erklärung fügte er hinzu: »Ich glaube, dass die junge Dame viel Potenzial hat.«

Die Mitarbeiterin ging an einen Schrank, in dem, hinter abschließbaren Glastüren, Ordner in alphabetischer Reihe standen. Sie zog den Ordner ›Ri bis Rz‹ und trug ihn an ihren Arbeitsplatz. Sie reichte Schneemüller die entsprechende Akte. »Soll ich eine Kopie machen?«, bot sie an.

Er blätterte die wenigen Seiten um. »Ein Blick genügt.« Als er die Akte schloss, war er unzufrieden. »Lebenslauf, Sprachkenntnisse?«, fragte er mit mürrischem Ton. »Da fehlen wichtige Informationen.«

Die Kollegin schaute flehend zu der Jüngeren, die das Gespräch verfolgte. »Ist da was abgespeichert?«

Die jüngere Kollegin tippte mit flinken Fingern auf ihr Tastenbrett. Schneemüller umrundete den Doppelschreibtisch und betrachtete den Bildschirm.

»Geboren in Tripolis? Das finde ich sehr erstaunlich. Ist Frau Rotbeck Libyerin oder Griechin?«

»Sie ist geschieden«, meinte sie, weil sie keine bessere Erklärung parat hatte.

»Ich sollte sie aus ihrer Depression holen.«

Die beiden Damen waren unsicher, welche Antwort erwartet wurde, deshalb schwiegen sie. Ihren Mädchennamen wollte er nicht wissen.

»Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch – das hört sich doch sehr gut an!« Schneemüller bedankte sich überschwänglich und ging zurück. Unter einem ausladenden Platanenast blieb er stehen und telefonierte mit seiner Sekretärin.

»Verbinden Sie mich bitte mit Frau Rotbeck.«

Er wartete.

»Schneemüller!«, meldete er sich mit einer Stimme, die Hochgefühl ausstrahlte. »Haben Sie Lust mit mir im Casino zu essen?«

Bianka willigte ein, weil sie sein Überschwang irritierte. Sein Auftritt im Büro war nur ein Morgenbesuch gewesen, aber sie war...

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