Pilsen / Plzen - Kleine Stadtgeschichte

Pilsen / Plzen - Kleine Stadtgeschichte

von: Tobias Weger

Verlag Friedrich Pustet, 2015

ISBN: 9783791760551

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 4722 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mehr zum Inhalt

Pilsen / Plzen - Kleine Stadtgeschichte



Eine Höhensiedlung wandert ins Tal


Natürliche Gegebenheiten


Pilsen befindet sich etwa 80 Kilometer südwestlich der tschechischen Hauptstadt Prag, inmitten des so genannten Pilsner Beckens, das von Höhenzügen eingerahmt wird. In dieser Region vereinen sich vier Flüsse: 1. die Mies/Mže (Länge: 106 km), deren Quelle im Griesbacher Wald auf bayerischem Gebiet liegt, 2. die Radbusa/Radbuza (Länge: 112 km), die im Böhmischen Wald entspringt, 3. die Úhlava (Länge: 108 km), die bei Böhmisch Eisenstein im Böhmerwald ihre Quelle hat und im südlichen Stadtgebiet Pilsens in die Radbuza mündet, sowie 4. die Úslava (Länge: 94 km), die im Blattener Hochland im südwestlichen Böhmen austritt. Ab dem Zusammenfluss von Mies und Radbuza wird der weitere Flussverlauf seit dem 17. Jahrhundert Berounka genannt. Sie mündet südlich von Prag bei Zbraslav in die Moldau.

Das Stadtzentrum Pilsens liegt auf etwa 310 Metern über dem Meeresspiegel, doch weist das heutige Stadtgebiet mit 293 Metern am Ufer der Berounka und bis hin zu 452 Metern bei der Burgruine Radyně erhebliche Höhenunterschiede auf. Das Pilsner Becken ist mit Rohstoffen gesegnet: Neben Silber- und Kaolinvorkommen sowie den als Schmucksteinen beliebten Granaten, rötlichen Silikatkristallen, waren früher insbesondere die reichen Kohleflöze der Region ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Diese Region wurde vom Menschen seit der Altsteinzeit – seit etwa 9000 v. Chr. – besiedelt, vor allem die fruchtbaren Gegenden entlang der Flussläufe. Funde aus der Bronzezeit und aus der Eisenzeit deuten auf eine rege prähistorische Aktivität im Bereich der späteren Großstadt hin. Auf die Kelten folgten germanische Stämme und nach der Völkerwanderung schließlich im 7./8. Jahrhundert Slawen, die von Osten eingewandert waren. Bereits vor der Christianisierung und der Errichtung des Herzogtums Böhmen legten sie im Pilsner Becken feste Siedlungen an.

Alt-Pilsen – eine mittelalterliche Burgsiedlung


Am Knotenpunkt wichtiger Handelsstraßen entstand im 9./10. Jahrhundert auf dem von der Úslava umflossenen Hügel Hůrka eine Höhenburg und in deren Schutz eine darunter gelegene Stadt. Die Verkehrsverbindungen führten im Osten über Rokycany und Beroun nach Prag und weiter nach Mähren, Schlesien und Kleinpolen, im Südwesten über Bischofteinitz und Taus nach Regensburg und im Norden in Richtung Erzgebirge und nach Sachsen. Später kam noch eine westliche Route über Pfraumberg und Tachau nach Nürnberg hinzu.

Die Burganlage dürfte der Herrschaftsausübung und der Sicherung des westlichen Landesteils Böhmens zur Zeit der frühen Přemysliden-Herzöge gedient haben. Zwar liegen reichhaltige archäologische Befunde vor, die seit 1891 in mehreren Grabungsphasen zutage gefördert worden sind. Die schriftlichen Zeugnisse zu diesem Ort beschränken sich jedoch auf wenige Quellen: Der Chronist Thietmar von Merseburg bringt dieses erste Pilsen mit einem Sieg des tschechischen Herzogs Boleslav II. über ein bayerisches Heer im Jahre 976 in Verbindung (»iuxta Pilisini urbem«), das in den Diensten Kaiser Ottos II. stand. Die Legende des heiligen Bischofs Adalbert berichtet des Weiteren davon, dass jener bei seiner Rückkehr aus Rom im Jahre 992 darüber verwundert gewesen sei, dass in Pilsen am Sonntag, dem Tag des Herrn, ein Markt abgehalten worden sei. Bei der Ortschaft Doubravka, an der Einmündung der Úslava in die Berounka, gründete Adalbert bei diesem Anlass für zehn Benediktinermönche ein vorläufiges Kloster, das später jedoch in Břevnov bei Prag seinen endgültigen Standort erhielt. Die Georgskirche in Doubravka soll im Kern auf diese frühe Klostergründung zurückgehen.

Doch zurück nach Alt-Pilsen, wie die Stadt zur Unterscheidung von dem später gegründeten »Neu-Pilsen« (Pilsna Nova) nachträglich bezeichnet worden ist. Vor dem Jahr 1012 befand sich dort unter dem böhmischen Herzog Jaromír eine Münzstätte, deren Prägungen die Beschriftung pzizen civo trugen. 1134 verhandelten in Pilsen der deutsche König Lothar III. von Supplinburg und der böhmische König Soběslav I. im Beisein des Bischofs Petrus I. aus dem transsilvanischen Alba Iulia. Der geistliche Würdenträger war ein Gesandter des ungarischen Königs Béla II., eines Schwagers Soběslavs, der ihn diplomatisch gegen Ansprüche aus Polen stärkte. Pilsen hatte damals bereits den Status eines Erzdekanats, das dem Bistum Prag unterstand. Insgesamt acht Kirchen umfasste die Stadt. Ihr Zentrum bildete die Burg oberhalb der Úslava mit einem Herzogspalast und der Hauptkirche St. Laurentius im nordöstlichen Bereich, die vermutlich im 11. Jahrhundert erbaut worden war. Die weiter östlich gelegene Heilig-Kreuz-Kirche umgab ein Friedhof. Die ebenfalls befestigte Vorburg besaß eine eigene Kirche mit dem Patrozinium Mariä Geburt. Vom Burggelände selbst ist heute neben einigen Wallanlagen nur noch die romanische St.-Peters-Rotunde erhalten, die früher gerne ins 10. Jahrhundert datiert und damit für eines der ältesten Gebäude Böhmens gehalten wurde. Neuere Forschungserkenntnisse sprechen eher für einen Bau aus dem späten 11. oder frühen 12. Jahrhundert, der als Pfarrkirche gedient haben soll, aber neben der erwähnten Herzogskirche St. Laurentius eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat.

Abb. 1: Die mittelalterliche St.-Peters-Rotunde in Starý Plzenec, 2011

Am linken Ufer der Úslava hatte sich das niedriger gelegene Suburbium, eine unbewehrte Handwerker- und Kaufmannssiedlung, entwickelt. Dort wurden bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts bereits regelmäßige Parzellen auf rechtwinkligem Grundriss angelegt. Vier Kirchen dienten der Seelsorge der dort lebenden Menschen – St. Martin, St. Wenzel, St. Johannes der Täufer und St. Blasius.

Zwischen 1213 und 1216 ist Děpolt III. aus einer Nebenlinie der Přemysliden-Dynastie als Burggraf in Pilsen nachweisbar, vor 1224 fungierte der spätere König Václav I., ein Sohn König Přemysl Otakars I., als »dux pliznensis et budesensis« (Herzog von Pilsen und Bautzen). In der Folge scheint die Stadt jedoch an Bedeutung verloren zu haben, denn Václavs I. Sohn, König Přemysl Otakar II., übertrug am 22. Juni 1266 die insgesamt acht Kirchen in Alt-Pilsen dem Prämonstratenserkloster Chotieschau. Dieser Rechtsakt deutet auf einen Niedergang der städtischen Siedlung hin, die zu einer unfreien Kammerstadt degradiert wurde. Seit dem 15. Jahrhundert ist für sie die Bezeichnung »Starý Plzenec« (Alt-Pilsen) in Gebrauch.

Eine Neugründung im Tal


Um 1295 legte ein Lokator namens Heinrich auf Initiative des böhmischen Königs Václav II. die Siedlung Neu-Pilsen (Pilsna Nova) am Zusammenfluss der Flüsse Mies und Radbusa an. Dieser Akt fiel in eine Periode zahlreicher Stadtgründungen in den Böhmischen Ländern. Jener Heinrich war ein mittelalterlicher Unternehmer: Seine künftigen Mitbürger zahlten an ihn eine bestimmte Geldsumme und erwarben somit das Bürgerrecht und eine Parzelle zum Bau eines Hauses. Für Neu-Pilsen hat sich zwar kein Gründungsdokument erhalten, doch lassen sich der Sachverhalt und das ungefähre Gründungsjahr aus späteren Quellen erschließen. Nach neueren Erkenntnissen hatte allerdings wohl bereits König Přemysl Otakar II. in den Jahren 1266 bis 1273 Initiativen zu einer Stadtgründung unternommen. Die Translokation Pilsens an einen neuen, möglicherweise als geeigneter empfundenen Ort war in den Böhmischen Ländern und überhaupt in Zentraleuropa im 13. Jahrhundert übrigens kein Einzelfall. »Pilsna Nova« erhielt den Status einer Königsstadt (urbs regia), der ihren Bürgern einen herausgehobenen Status gegenüber den Bewohnern anderer Städte garantierte. Das Bürgerrecht konnte durch den Erwerb eines Hauses, durch längere Anwesenheit, durch Einheirat und aufgrund eines ehrbaren Lebenswandels erworben werden. Es beruhte auf einem formalen Rechtsakt. Als Königsstadt gehörte Pilsen zum unveräußerlichen königlichen Besitz. Sie war mit einem großen städtischen Grundbesitz ausgestattet, in Böhmen dem zweitgrößten nach demjenigen der Hauptstadt Prag.

 

HINTERGRUND

 

Eine Gründungslegende

Der Pilsner Gelehrte Josef Stanislaus Zauper edierte 1835 unter dem Titel Alte Chronik von Pilsen die deutsche Übersetzung eines Manuskripts von P. Johannes Tanner SJ aus dem 17. Jahrhundert, die mit einer verbreiteten Gründungslegende begann. Demnach sei die Stadt Alt-Pilsen im Jahre 775 von einem legendären Radouš, der zuvor mit Bediensteten und Vieh nach Westen gezogen sei, gegründet und von einem seiner Nachfolger ins Tal verlegt worden. In dem Text wurde auch versucht, den Namen Plzeň etymologisch herzuleiten – nämlich von der Vokabel plž (Schnecke). Tanners etymologische Hypothese, die in der frühen Literatur sehr verbreitet war, gilt längst als überholt. Heute leiten Sprachwissenschaftler die Bezeichnung Plzeň eher von dem alttschechischen Wort plz her, mit dem ein feuchter Untergrund charakterisiert wurde. Plzeň wurde übrigens bis ins 16. Jahrhundert im Tschechischen männlich gebraucht; seither hat der Städtename ein weibliches Genus. Die deutsche Form Pilsen ist eine Ableitung aus dem Tschechischen.

 

Das ursprüngliche Stadtgebiet Pilsens ist im planmäßigen Grundriss der Altstadt noch heute gut erkennbar. Es umfasste 20 Hektar und besaß die Form eines Rechtecks mit leicht abgerundeten Ecken. Das Zentrum der aus 15 Gassen bestehenden Stadt bildete ein viereckiger, 139 x 193 m messender Marktplatz oder Ringplatz. Er reiht sich damit ein in eine Serie großflächiger hoch- und spätmittelalterlicher Ringplätze in Böhmen – zum Vergleich...

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