Abhörstaat Deutschland (Telepolis) - Die SIGINT-Landschaft seit 1945 in Ost und West
von: Gerhard Piper
Heise Zeitschriften Verlag, 2015
ISBN: 9783957880284
Sprache: Deutsch
650 Seiten, Download: 1988 KB
Format: EPUB
Mehr zum Inhalt
Abhörstaat Deutschland (Telepolis) - Die SIGINT-Landschaft seit 1945 in Ost und West
Standortproblematik
Die vorliegende Auflistung legt ihr Schwergewicht auf die Dislozierung der Abhörstationen der Nachrichtendienste und militärischen Fernmeldeaufklärungstruppen. So werden die bekannten Führungszentren der Fernmeldeaufklärungstruppen, ihre Abhör- und Peilstellen sowie die Unterkunftsquartiere der Soldaten erfasst. Der Erfassungszeitraum beginnt mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945.
Die Stationen sind unter dem heutigen Gemeindenamen registriert. In dem ein oder anderen Fall änderte sich dieser Ortsnamen im Lauf der letzten Jahrzehnte. Dies betrifft insbesondere die frühere DDR, wo nach der deutschen Wiedervereinigung mehrere kommunale Verwaltungs- und Gemeindereformen durchgeführt wurden und vormals selbstständige Dörfer durch benachbarte Städte eingemeindet oder mehrere Ortschaften zu einer Gesamtgemeinde zusammengefasst wurden. In diesen Fällen ist das fragliche Objekt unter dem heutigen Gemeindenamen aufgeführt; ergänzend ist der ältere Ortsname mit einem entsprechenden Querverweis aufgelistet.
Die Erfassungs- und Peilstellen waren oftmals Einödstandorte in der deutschen "Pampa", die im Kreis der dort stationierten Soldaten unter eigentümlichen Bezeichnungen bekannt waren. Dies betrifft insbesondere Berggipfel und Höhenzüge. Auch in diesen Fällen wurde pragmatisch vorgegangen und der Stellungsname und die betreffende Gemeinde mit passendem Querverweis gesondert aufgeführt.
Allerdings konnte – im Rahmen dieser Arbeit – der genaue Standort nicht immer ermittelt werden. So konnte für das Fernmeldenahaufklärungsbataillon 130 des I. Korps des Feldheeres der Bundeswehr kein Standort ausgemacht werden. Außerdem fehlen gekaderte EloKa-Mob-Einheiten des Territorialheeres. Desweiteren fehlt eine belgische EloKa-Aufklärungsstation, die sich in den fünfziger und sechziger Jahren im Raum Köln befunden haben soll. Auf Seiten des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes lassen sich folgende Dependancen nicht lokalisieren: FORSTHAUS, SENNHÜTTE, STEMMBOGEN, GIPFELKREUZ. Außerdem findet sich in der Literatur der Hinweis auf eine unbekannte Gemeinde mit dem angeblichen Namen "Vehrse".
Von folgenden möglichen NSA-Stationen in Westdeutschland ist zwar der Codename, nicht aber der Standort bekannt geworden: "US-987L", "US-987L1", "US-987L2", "US-987L3", "US-987L4" und "US-987L5". Gleiches gilt für eine USAFE-Niederlassung aus den Jahren 1957/58: "USA-514". Weitere unbekannte Niederlassungen der deutschen oder alliierten Streitkräfte befanden sich auf dem Ravenberg und dem Torfhaus im Harz, etc..
Bezüglich der ostdeutschen Nationalen Volksarmee (NVA) konnte nicht in allen Fällen einer Fernmeldeaufklärungseinheit ein Standort zugeordnet werden. So fehlt z. B. die Funkaufklärungsgruppe 5 (FAG 5) (Deckname: KUNSTFERTIGKEIT) des Militärbezirkes V. Auf osteuropäischer Seite fehlen zudem die Kompanien für funkelektronischen Kampf, die jeweils den einzelnen sowjetischen Divisionen als Divisionstruppen zugeteilt waren. Außerdem sind von mehreren Niederlassungen zwar der Codename, nicht aber der entsprechende Stationierungsort bekannt. Auf Seiten des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) fehlen folgende Niederlassungen entlang der innerdeutschen Grenze – von Nord nach Süd: "Hoher Schönberg", "Kreuzberg", "Bockholzberg", "Utrecht", "Granziner Heidberge", "Alter Sessel", "Stadtberg", "Die Höhe", "H211.1", "Rodenberg", "Buchberg", "Weinberg", "Butterberg", "Hilgenberg"; "Heuberg" und "H 345,1".
Außerdem sind nur "reguläre" Standorte, die - zumindest vorübergehend - als permanente Erfassungs- oder Peilstellen genutzt wurden, erfasst. Damit fallen alle temporären Aufbauplätze weg, egal ob diese bloß für Test- oder Übungszwecke dienten oder für den Kriegsfall vorgesehen waren.
Solche Bundeswehr-Aufstellplätze befanden sich auf dem Almberg, Altenschneeberg, Ameisenberg, Bad Steben, Berg, Dachsriegel, Dahme, Dickfeitzen, Eisenberg, Esbeck, Eschenberg, Heidelstein, Giessenberg, Goch (Baaler Bruch), Grosser Arber, Großer Falkenstein, Jerxheim, Kicklingen, Kittlitz, Kleeberg, Köln-Ostheim, Kostenberg, Lappwald, Linnich, Linter, Meigelsried, Mellrichstadt, Mölln, Müssingen, Neumünster-Boostedt, Nordhalben, Oberfahrenberg, Offenbach, Philippsreuth, Poppenreuther Berg, Radenbeck, Ravensberg, Reichenbach, Schienberg, Schutschur (= Höhe 108), Steinbach, Steinberg, Sulzberg, Wartberg, Wasserkuppe, Weingartenfels, Wittingen, ...
Neben bemannten Standorten werden – in Einzelfällen – auch unbemannte bzw. ferngesteuerte Stationen aufgelistet. Es fehlen allerdings alle Spionagesonden: Die US-Regierung hatte schon während des Vietnamkrieges getarnte Sonden entwickelt und eingesetzt (Operation IGLOO WHITE). Sie wurden danach weiterentwickelt und seit Ende der siebziger Jahre in der Nähe von Militärobjekten in der DDR (Finowfurt, Ifersgrün bei Reichenbach, bei Leipzig, Schneeberg bei Beeskow, etc..) platziert, um den fließenden Militärverkehr zu überwachen. Manche sahen aus wie ein Schuhkarton, den man in dreißig Zentimeter Tiefe vergraben hatte, andere waren als Ast getarnt. Verantwortlich dafür zeichneten der amerikanische Geheimdienst INSCOM und die NATO (Projekt ARVID GUARDIAN). Diese Sensoren hatten eine Reichweite von 20 km und konnten durch Satelliten ferngesteuert abgefragt werden. Außerdem setzten die USA gegen die DDR z. T. ortsfeste, aber automatische Anlagen ein (Projekt TROJAN). Das Ministerium für Staatssicherheit bezeichnete diese Sonden als "Technisches Automatisches System" (TAS) und startete zur deren Bekämpfung das Projekt PYRAMIDE/KEGEL. Außerdem dienten die MfS-Aufklärungsflüge RELAIS V mit An-26, Il-20 und Mi-8MT der Entdeckung der Sensoren; parallel dazu führten die Sowjets die Luftoperationen HAMSTER (mit Mi-8MT) und WETKA durch.
Es werden hier nur Abhörstationen mit "transnationaler" Ausrichtung erfasst: BND und NSA gegen MfS und GRU, westdeutsche Elektronische Kampfführung (EloKa) gegen den ostdeutschen Funkelektronischen Kampf (FEK). Alle Abhörmaßnahmen zur Überwachung der eigenen Bevölkerung durch die Sicherheitsdienste oder Cybercops fallen also prinzipiell heraus! Die "Höcherl-Telefonaffäre" (1963), die Wessel-Affäre (1968), die "Wallraff-Affäre" (1968), der "Fall Klaus Traube" (1977), die "Schleyer-Entführung" bzw. "Stammheim-Affäre" (1977), die "CDU-Parteispendenaffäre" (ab 1991, aufgedeckt 1999), die Journalisten-Bespitzelung durch den BND (2006) oder der "Bundestrojaner" in Westdeutschland, aber auch die notorische Diskriminierung der ostdeutschen Bevölkerung durch das Ministerium der Staatssicherheit oder die umstrittenen EU-Programme CARPER, IndECT oder PROACTIVE werden im Rahmen dieser Übersicht nicht (!) behandelt.
Allerdings sind Inland und Ausland nur geographisch streng getrennte Begriffe; im Intelligence-Bereich sind die Übergänge fließend. So können bei der Inlandsüberwachung auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse über das Ausland anfallen, und manchmal liefert die Auslandsüberwachung Informationen über staatsgefährdende Umtriebe im eigenen Land. Viel zu oft nutzt ein ausländischer Nachrichtendienst seine Erkenntnisse aus der Auslandsüberwachung, um sich in die Innenpolitik dieses fremden Staates einzumischen. So wurde die Kohl-Biedenkopf-Abhöraffäre (1974/75) tatsächlich vom Ministerium für Staatsicherheit inszeniert. Die MfS-Abteilung III hatte das Gespräch aufgezeichnet, anschließend spielte die Desinformations-Abteilung X der Hauptverwaltung Aufklärung das Abhörprotokoll dem Hamburger Magazin "Stern" zu, das den Text im Juni 1975 veröffentlichte. Der Vorgang beschäftigte später auch den Bundesgerichtshof. Gleiches gilt für die Abhöraffäre Strauß-Scharnagel. Das Telefongespräch vom 28. September 1976 war durch die MfS-Abhörstation in Berlin-Friedrichshagen (Müggelseedamm 214) mitgeschnitten worden. Es wurde erst am 14. Januar 1978 öffentlich, als die "Süddeutsche Zeitung" aus dem vertraulichen Gespräch zitierte. Auch hier zog die MfS-Abteilung X im Hintergrund die Fäden (Operation GÄNSEBRATEN), um den alten Lockheed-Skandal aufzuwärmen. In einem internen MfS-Dokument hieß es dazu:
»Aktion Dschungel XV/2139/67, hier: Gänsebraten. Es wird vorgeschlagen, ein fiktives Abhörprotokoll zu erarbeiten und im Operationsgebiet BRD anonym postalisch zu verschicken. Der Inhalt betrifft ein Gespräch zwischen F. J. Strauß und W. Scharnagl (beide CSU) aus dem Jahre 1976 über die Lockheed-Akten und Gestaltung des Bayernkurier im Bundestagswahlkampf. Als Zielobjekt wird die Süddeutsche Zeitung vorgeschlagen. Hier beschäftigt sich das Bonner Redaktionsmitglied …, der Strauß gegenüber kritisch eingestellt ist, besonders intensiv mit dem Abschluss der Untersuchungen zur Lockheed-Schmiergeld-Affäre in der BRD. Ziel dieser Maßnahme: die Dienste (BND) mit einer vorgetäuschten G-10-Abhörmaßnahme zu belasten und den bevorstehenden Abschluss der Lockheed-Untersuchungen durch den Ausschuss in Frage zu stellen und eventuell eine Fortführung zu provozieren.«
In der vorliegenden Studie geht es allein um die...