Turrinis Leber - Kriminalroman

Turrinis Leber - Kriminalroman

von: Franz Friedrich Altmann

Haymon, 2015

ISBN: 9783709936368

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 3701 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Turrinis Leber - Kriminalroman



I


Ewig schad um den Damenspitz! Wirklich eine elegante Umschreibung, wenn du nicht direkt sagen willst, dass eine Frau ein bisserl einen Rausch hat. Euphemismus nennt man so eine Umschreibung. Hab ich mir sagen lassen. Von einem G’studierten. Heißt nix anderes, als dass man was schönredet. In dem Fall den Rausch. Indem man ihn in einen charmanten Damenspitz verwandelt. Eine gnädige Umschreibung der Wirklichkeit, könnte man sagen.

Besser gesagt: Hat man sagen können. Weil ja der Damenspitz praktisch schon ausgestorben ist. Wird heutzutags nur mehr von ein paar vertrottelten Hofräten in den Mund genommen. Wenn die Frau Hofratsgattin wieder einmal schon am Vormittag eine ganze Flasche Eierlikör ausgesoffen hat.

Steht der Damenspitz also ziemlich weit oben auf meiner Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter. Den werd ich bald einmal strei­chen müssen, den Damenspitz. Lang wird er es nämlich nimmer dermachen. Und was wird dann nachkommen? Das Komahasi, das Komagirlie oder die Komatussi?

Warum ich überhaupt mit dem Damenspitz angefangen hab? Weil genau jetzt ein Wunder geschieht. Anders kann man es nicht sagen: Eine Auferstehung von den Toten fällt eindeutig unter Wunder! Weil jetzt – wir schreiben den 19. Dezember 2012, es ist früher Nachmittag – weil jetzt, genau in dem Moment – weil jetzt der entzückende Satz fällt: „Ja, hast du leicht gar einen Damenspitz?“

Was für eine Sternstunde der Wörter-Wiederbelebung! Kriegt der Damenspitz, der praktisch schon in den letzten Zügen liegt, einen Defibrillator auf die Brust geknallt. Hopp – oder tropp! Und was passiert? Ein ordentlicher Stromstoß, dass es den Damenspitz nur so reißt – da schlägt er auch schon die Augen auf und erwacht zu neuem Leben.

„Einen Damenspitz? Ich hab zwei Damenspitz, meine Liebe!“, lautet nämlich die Antwort auf die vorhergehende Frage.

Jetzt muss ich vielleicht doch ein bisserl was erklären. So­zusagen das Drumherum von unserem Damenspitz-Dialog. Sonst kennt sich womöglich kein Schwein aus – und dann heißt es zum Schluss: „Der verzählt lauter Schwachsinn daher!“

Also: Wann sich die Geschichte abspielt, hab ich eh schon erwähnt. Bleibt noch das Wo: nicht etwa in der Seniorenresidenz Nachsommer in Bad Gstettn, wo sich die Hofratswitwen das Warten auf den Tod mit Eierlikör versüßen, sondern in der Redaktion der Mühlviertler Nachrichten in Freistadt. Und dann noch das Wer – das ist das Allerwichtigste – Wer hat da den Damenspitz in den Mund genommen?

„Ja, hast du leicht gar einen Damenspitz?“, hat die Renate Heiligenbrunner gefragt. Das ist die Redaktionssekretärin. Die Antwort aber ist von der Renate ihrer Chefin gekommen. Von der Frau Redaktionsleiterin Mag. Gudrun Wurm. Die spar ich mir aber jetzt, die Antwort. Wird sich doch hoffentlich ein jeder dermerkt haben!

Und –? Was können wir aus diesem Dialog herauslesen? Eine ganze Menge! Die Mitarbeiter der Mühlviertler Nachrichten pflegen einen ziemlich vertrau­lichen Umgangston. Erstens: weil sie miteinander per Du sind. Und zweitens: weil die Sekretärin ihre Chefin offen drauf anspricht, dass die während der Arbeitszeit angesoffen ist.

So weit – so klar. Die Antwort der Frau Mag. Wurm bleibt aber weiterhin ein Rätsel. Was soll denn das heißen: zwei Damenspitz? Heißt das am End, dass Damenspitz eine anerkannte Maßeinheit für Rauschzustände ist? Sagen wir einmal: ein Damenspitz ist harmlos, zwei Damenspitz ist ein ordentlicher Rausch, vier Damenspitz aber ist ein Vollrausch?

Die gute Renate denkt anscheinend auch ganz in diese Richtung. Sonst tät sie nach einem unauffälligen Kontrollblick über den Schreibtisch der Frau Mag. Wurm nicht sagen: „Aber geh, du hast doch praktisch eh nix getrunken!“

Und wirklich – mehr als sechs leere Bierflaschl stehen da nicht herum. Warum sitzt die Frau Magister dann nicht am Schreibtisch, sondern liegt rücklings auf dem Teppichboden? Und macht so komische Bewegungen? Irgendwie direkt unanständig?

Immerhin haben wir jetzt wenigstens unser erstes Warum geklärt. Warum die Renate gefragt hat: „Hast du leicht gar einen Damenspitz?“

Fehlt uns nur noch das zweite Warum: Wie kann man zwei Damenspitz haben?

Aber das lassen wir lieber gleich die Frau Mag. Wurm selber erklären. Die muss das ja können: was so watscheneinfach erklären, dass es ein jeder Depp versteht. Für was arbeitet sie denn sonst bei einer Regional­zeitung?

„Meinen ersten Damenspitz verdank ich sechs wohltemperierten Flaschln Freistädter Ratsherrentrunk, meinen zweiten Damenspitz aber verdank ich mir selber. Weil ich keine Tussi bin, sondern eine Dame. Ist der Turrini also kein Tussispitz, sondern ein Damenspitz!“

Und wirklich! Kaum hat der Turrini, der genauso wie die Frau Magister Wurm auf dem Rücken liegt und alle Viere von sich streckt – kaum hat also der Turrini seinen Namen gehört, springt er auch schon auf die Beine und wedelt eifrig mit dem Schwanz. Grad vorher noch ein undefinierbares Wollknäuel, jetzt aber, mit dem gedrungenen Körper und dem buschigen Schwanz: eindeutig ein reinrassiger Spitz!

Wer noch nie einen Spitz gesehen hat: Das ist so ein Hund, wie ihn die Witwe Bolte bei Max und Moritz gehabt hat. Nur dass der Spitz, wie ihn der Wilhelm Busch gezeichnet hat, weiß ist, der Turrini aber schwarz. Besser gesagt: Er war einmal schwarz und wird mit zunehmendem Alter immer grauer. Steht ihm aber wirklich gut, das Grau. Praktisch ein Hund in den besten Jahren, der Turrini!

Kaum haben wir aber das mit dem Damenspitz endlich geklärt, taucht auch schon die nächste Frage auf: Wie ist denn die Frau Mag. Wurm auf die blöde Idee gekommen, dass sie ihren Hund Turrini tauft? Ist doch kein Hundename!

Gibt es aber auch eine Erklärung. Das war so: Wie die Frau Magister noch keine Frau Magister war, sondern noch Publizistik und Theaterwissenschaft studiert und gerade ihre Diplomarbeit geschrieben hat – Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini hat die geheißen –, da hat ihr der Leo Höllerer einen Hund angedreht. Und weil der Hund dem Theaterdichter wirklich total ähnlich geschaut hat – eher kleiner, eher fester, eher ein trauriges Gschau –, hat er auch schon Turrini geheißen.

Also – hab ich das in Gottes Namen auch noch erklärt. Aber jetzt ist wirklich Schluss mit der ganzen Erklärerei – jetzt wird endlich einmal erzählt!

Warum die Frau Magister am Boden herumkugelt, ergibt sich ja eh aus der Geschichte. Weil die Renate jetzt fragt: „Was machst du eigentlich da am Fußboden, Gucki?“

„Rückengymnastik. Wegen meinem Kreuz. Mach ich normalerweis in der Früh. Hab ich aber heut auslassen müssen. Hätt ich mich garantiert angespieben.“

„Oh-keh, das ist jetzt klar, das mit dem Am-Boden-Herumliegen!“, wird man sagen. „Aber was heißt Gucki?“

Das ist aber wirklich das allerletzte Mal, dass ich was erklär! Weil eigentlich könntet’s ihr da selber draufkommen, dass Gucki eine Abkürzung von Gudrun ist. Hat der Gucki ihr Opa aufgebracht. Wie sie noch ganz klein war. Aber wirklich berechtigt. Weil die kleine Gucki die große Welt gar so neugierig aus ihren dunklen Augen angeguckt hat.

Ist ja heute noch das Allererste, was dir an der Gucki auffallt. Dieser neugierige Blick aus den großen bernsteinbraunen Augen. So ein unergründliches Braun wie das Wasser der Aist! Wobei man ehrlicherweise dazusagen muss, dass den meisten Männern an der Gucki zuerst der üppige Busen ins Aug sticht oder der prachtvolle Arsch oder die elendslangen Haxen.

Obwohl man also wirklich nicht behaupten kann, dass sich die Männer für der Gucki ihre inneren Werte interessieren – den Frauen fallen an der Gucki noch äußerlichere Äußerlichkeiten auf: der gachblonde Bürstenhaarschnitt und das kohlrabenschwarze Gewand. Aber kein elegantes Schwarz – mehr so ein aggressives. Kommt praktisch daher wie ein Mann, dieses Weib!

Brauchen wir ja nur einmal schauen, was sie heute anhat, die Gucki. Was sehen wir da? Hautenger Rollkragenpullover, hautenge Lederhose, dicke Wollsocken. Und alles miteinander schwarz wie die Nacht!

„Was soll denn an dem so männlich sein?“, wird man jetzt fragen.

Kommt schon noch. Unter dem Schreibtisch schwere Schnürstiefel, auf der Sessellehne eine abgewetzte Lederjacke. Beides eindeutig Männersachen! Noch dazu aus den Beständen der Deutschen Wehrmacht. Weil der Gucki ihr Opa wenigstens diese zwei Erinnerungsstücke an seine schöne Zeit bei der Deutschen Luftwaffe retten hat können. Seine Fliegeruhr haben ja eh die Scheiß-Russen kassiert.

In derana Kluft kommt die Gucki dann schon daher wie ein Mann. Eher sogar wie ein wilder Hund! Eh klar, dass sie dann auch raucht und sauft und flucht und spuckt und stänkert und rauft. Wie ein richtiger Mann halt!

Momentan aber nicht. Momentan liegt sie herum wie eine Schildkrot auf dem Rücken: Weil das Tarockieren gestern wieder einmal gar so...

Kategorien

Service

Info/Kontakt