System Depression - Ganzheitliche Therapie: Bewegung, Ernährung, Stärkung des Familiensystems

System Depression - Ganzheitliche Therapie: Bewegung, Ernährung, Stärkung des Familiensystems

von: Peter Dold

Klett-Cotta, 2015

ISBN: 9783608107784

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 5102 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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System Depression - Ganzheitliche Therapie: Bewegung, Ernährung, Stärkung des Familiensystems



1 Einführung


1.1 Depressive und erschöpfte Systeme


Man möchte meinen, das Phänomen Depression sei auch ohne eine systemische Betrachtungsweise schon komplex genug: zu viel der Literatur, zu viel der Thesen, verifiziert oder nicht. Desgleichen überbieten sich Therapieformen mit wirksamen Methoden aus unterschiedlichen Positionen. Bei der Vielfalt an Phänomenen wird eines deutlich: Nur Medikamente, nur Psychotherapie, nur körperorientiertes Arbeiten genügen nicht, um Heilung zu erreichen. Werden die therapeutischen Ansätze keiner ganzheitlichen Orientierung unterstellt, gibt es keine Heilung. Nur in einem vernetzten Angehen und im Integrieren der Methoden kann ein Bemühen um Veränderungen zum Ziel führen. Ob nun eine Einzelperson, ein Paar oder eine Familie behandelt wird: Immer fordert uns ein ganzheitliches Arbeiten dazu auf, alle Lebens- und Erlebenswelten, die individuellen Persönlichkeitsanteile und das Systemische einzubeziehen und die Sinnbezüge herzustellen.

Dabei hat sich eines bestätigt, der Weg über den Körper mit wahrnehmbaren Veränderungen, was Vitalität, Beweglichkeit, Körperempfindungen, energetische Ausstrahlung usw. anbelangt, ist wie der Steilpass für eine vertiefende Arbeit in einem System. Dem Sinn von Krankheit und Gesundheit zu folgen, führt zum Nachdenken über die persönliche wie über die familiäre Existenz und deren fortwährenden Wandel.

Der direkte Weg zu Veränderungen im System geht über den Körper.

Trauer und Schwermut: Poesie und Alltag

Eine der wichtigsten Vermeidungsreaktionen im Alltag ist uns bekannt: Wir fliehen vor unangenehmen äußeren und inneren Reizen. Meist geht es dabei um Gefühle von Wertschätzung, Liebe, Besitz, Scham, d. h. um Gefühle von Unterlegenheit, Trennung, Verlust und Tod. Der bewusste Umgang mit diesen Gefühlen zwingt dazu, Fluchtwege zu meiden, nicht mehr auszuweichen. Es gibt keine Entwicklung und Bereicherung im Persönlichen, Partnerschaftlichen oder Familiären ohne die Auseinandersetzung mit diesen elementaren Grundkonflikten. »Der schwermütige Mensch hat wohl die tiefste Beziehung zur Fülle des Daseins. Ihm leuchtet heller die Farbigkeit der Welt; ihm tönt inniger die Süßigkeit des inneren Klanges … Der Schwermütige ist es, aus dessen Wesen das Übermaß der Lebensflut bricht und der die Unabhängigkeit allen Daseins zu erfahren vermag … Die Herzkraft der Schwermut ist der Eros; das Verlangen nach Liebe und Schönheit.« (Guardini 1949, 45)

Poetische Worte über Depression und Schwermut klingen an, meist fern dem Alltag und von konkreten häuslichen Situationen, ähnlich den Formulierungen, die auf Studien verweisen (Bodenmann 2009, 79, 83), von denen keine einzige einen Hinweis darauf erkennen lässt, ob jemals eine Küche, ein Ess- oder Arbeitszimmer, ein Wohn- und Schlafzimmer in Augenschein genommen wurde. Gerade dort findet ein Großteil unseres Lebens statt. In Räumen leben wir nicht nur unterschiedliche Gefühle, wir stellen unserem Organismus, auch dem sozialen Organismus, notwendige Lebensbedingungen zur Verfügung. Aus den »Kochtöpfen« stammen 70 % unserer Krankheiten, wohl auch diejenigen, die wir immer noch als psychisch bezeichnen. Inzwischen haben wir gelernt, dass alle Krankheiten auch organischer Natur sind, verbunden mit unserer Biologie. Wir können uns deswegen von den rein psychischen Krankheiten verabschieden. Wenn Medikamente zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, hat das eine Wirkung auf unser ganzes biologisches System. Biologie und Gesundheit haben wir in den Kochtöpfen, wenn vielseitige Kost angeboten wird. Einseitigkeit ruft nach Ergänzung, denn mangelhafte Nahrung wirkt sich auf den ganzen Organismus aus. Und Paare und Familien, die sich gleicher Nahrung bedienen, ernähren sich entweder gesund oder mangelhaft. Auf Mängel und Ausfälle treffen wir im Energiefluss in unseren Körpern in Form vielfältiger Blockierungen. Auch sie übertragen sich auf ein Familiensystem. Sie sind von bedrückender Wirkung auf einen interagierenden ganzheitlichen Organismus. Bewegung, Berührung, räumliche, körperliche Nähe und Distanz und die nicht zu überschauende Dynamik, die sich daraus ergibt, führen uns zu den Wirkfaktoren, die Hell (in Rüffer, Hg., 1999, 122 f.) als die unspezifischen bezeichnet. Zu diesen Faktoren gehören, so Hell, allgemein menschliche Bedingungen wie das Gefühl, sich einer kompetenten Person mitteilen zu können, von einer Person verstanden oder entlastet zu werden. Für eine erfolgreiche Depressionstherapie sind Zuwendung, Vertrauen, adäquate Ent- und Belastung ebenso wichtig wie die spezifischen Wirkfaktoren: Medikamente, psychotherapeutische Methoden, Lichttherapie, Schlafentzug und Elektrokrampftherapie. Der Behandlungseffekt mit diesen Methoden macht allerdings nur einen Teil des Erfolgs aus, nämlich 2o – 30 %; 40 – 50 % sind unspezifischen Behandlungsfaktoren zuzurechnen.

Wollen wir den Empfehlungen Virginia Satirs (1978, 203) folgen, können wir depressive Menschen in ihren Familien, in den Wohnungen, beim Essen, bei der Arbeit im Büro, in der Freizeit antreffen. Der räumliche Kontext ist ein bedeutsamer Faktor bezüglich Interaktion und Beziehung.

Die Lebensräume sind Systemräume. »Der Ort ist flexibel und veränderlich.« (Satir)

Gesundheit und Krankheit begegnen wir dort, wo wir wohnen, essen und arbeiten.

Bezüglich der medikamentösen Behandlung werden Segal, Williams und Teasdale (2008, 33) sehr deutlich, wenn sie festhalten, wie die Wirkung der Antidepressiva kurzfristig nur die Unterdrückung der Symptome zum Ziel hat, langfristig aber keine Heilung bringt. Und die gleichen Autoren führen uns eindrücklich vor Augen, wie die Depression als die weltweit am meisten verbreitete Krankheit nur bei 12 % der Erkrankten dazu führt, Hilfe bei Spezialisten in Anspruch zu nehmen. Die Zahl der depressiv Erkrankten, die keine fachmännische Hilfe in Anspruch nimmt, ist weitaus größer. Hell (2011, 175) geht davon aus, dass 10 bis 15 Prozent bei den Männern und 20 bis 30 Prozent bei den Frauen mindestens einmal im Leben an einer mehrwöchigen Depression leiden. Er schreibt: »Solche Zahlen lassen darauf schließen, dass die Depression eine den Menschen offenstehende Möglichkeit darstellt, auf belastende Situationen zu reagieren – oder mit anderen Worten, dass die Anlage zur depressiven Reaktionsweise den meisten Menschen in unterschiedlicher Ausprägung mitgegeben ist.«

Kaum eine Familie bleibt, orientieren wir uns an den Statistiken, von dieser Krankheit verschont.

Die Aufmerksamkeit auf bestimmte Lebensbereiche und Behandlungsformen zu richten, ohne bei einer systemischen Betrachtung ein multidimensionales Geschehen bereits auch als auslösend zu sehen, würde von einer ganzheitlichen Betrachtung wegführen. Bei den unterschiedlichsten Erscheinungsformen, den vielfältigen Symptomen, den differenziertesten Ursachenforschungen und therapeutischen Ansätzen bleibt eines unabdingbar: alle Teilaspekte einer ganzheitlichen Betrachtung zu unterstellen.

Es gibt kaum eine Familie ohne depressive Erfahrungen, aber jedes Familiensystem verfügt über Voraussetzungen für deren Heilung.

1.2 Zwei Modelle für die systemische Betrachtung der Depression


Nachfolgende Darlegungen zum Thema Depression, Körper und System verweisen zunächst einmal auf das Lehrmodell Satirs (1978, 200 ff.). Sie sieht den grundlegenden Prozess, der in jeder Beziehung stattfindet, als eine Begegnung zwischen zwei Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt. In ihrem Modell wird ein Prozess als eine dynamische Bewegung definiert. Bewusstsein, Körper, die sinnenhaften Informationen wie auch die Interaktion zwischen Geist und Körper und die Interaktion mit anderen sozialen Beziehungen sind zentral. Wir treffen auf ein integratives Konzept, das als Modell durchaus »nichts Heiliges an sich hat«. Zeit und Ort sind flexibel und veränderlich, ebenso bieten der Einsatz von Körperübungen, Drama und Spielen Familien Gelegenheit, um unterschiedlichste Erfahrungen auf den Gebieten der Berührung, des Sehens, Hörens, Fühlens und Zum-Ausdruck-Bringens zu machen (Satir 1978, 203). Auch Techniken und Hilfsmittel sind in diesem Modell flexibel und veränderlich.

Diesem differenzierten systemischen Modell, das einem vielschichtigen Beschwerdebild wie der Depression in Familien vorzüglich dienlich sein kann, wird ein vergleichbares Modell gegenübergestellt, das einen ebenso ganzheitlichen Ansatz vertritt. So ist der ganzheitliche Ansatz in der Psychotherapie von Y. Maurer (2006) allen eine Hilfe, wenn es darum geht, eine Symptomatologie, ein Beschwerdebild, eine Krankheit, eine systemische Dysfunktion in einem mehrdimensionalen Modell einzuordnen. Das bedeutet: Ein Störungsbild kann unter Berücksichtigung von sechs Lebensdimensionen eingeordnet werden. Es sind dies die körperlichen, psychischen, sozialen, räumlichen, zeitlichen und spirituellen Dimensionen. Alle Dimensionen sind mit den anderen wechselseitig verbunden. Ein weiterer Vorteil dieses Modells besteht darin, Eigenschaften, Qualitäten, Ressourcen, Belastungen in einem System polar zu sehen und sich deren Vorteile zunutze zu machen. So kann eine Person in einer Familie Mühe im Umgang mit bestimmten Gefühlen aufweisen, während eine andere Person in der gleichen Familie diesbezügliche Bewältigungsmechanismen entwickeln konnte.

Einzelpersonen und Familien können sich ein Beschwerdebild nach den Phänomenen mitteilen, wie sie sie erleben. Werden die Lehrmodelle Satirs und...

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