Wer den Wind sät - Was westliche Politik im Orient anrichtet

Wer den Wind sät - Was westliche Politik im Orient anrichtet

von: Michael Lüders

Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN: 9783406677502

Sprache: Deutsch

175 Seiten, Download: 3883 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Wer den Wind sät - Was westliche Politik im Orient anrichtet



Putsch in Teheran: Der Sündenfall


Der Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Premierminister Irans, Mohammed Mossadegh, war minutiös geplant und über Monate vorbereitet worden. Nichts hatten die CIA («Operation TPAJAX») und der britische Geheimdienst MI 6 («Operation Boot») dem Zufall überlassen. Das Ziel war klar: «Kampagne zur Installierung einer pro-westlichen Regierung im Iran», heißt es in einem kürzlich freigegebenen Dokument der CIA von 1953. Und weiter:

«ZIEL Premierminister Mossadegh und seine Regierung.

METHODEN DER DURCHFÜHRUNG Legale und quasilegale Methoden zum Sturz der Mossadegh-Regierung und ihre Ersetzung durch eine pro-westliche Regierung (…)

CIA AKTION Der Plan wurde in vier Phasen durchgeführt:

1. [Zensiert] (…) den Schah darin zu bestärken, dass er seine verfassungsgemäßen Rechte ausübt und jene Dekrete unterzeichnet, die die gesetzeskonforme Entfernung Mossadeghs als Premierminister ermöglichen.

2. Jene politischen Fraktionen im Iran zusammenzuführen und deren Unternehmungen zu koordinieren, die Mossadegh gegenüber feindselig eingestellt sind, einschließlich des einflussreichen Klerus, um ihre Unterstützung zu gewinnen, auf dass sie jedwede legale Aktion des Schahs zur Entfernung Mossadeghs aus dem Amt befürworten.

3. [Zensiert] (…) die iranische Bevölkerung zu desillusionieren hinsichtlich des Mythos von Mossadeghs Patriotismus, indem seine Zusammenarbeit mit Kommunisten in den Vordergrund gerückt wird sowie seine Manipulation der ihm von der Verfassung verliehenen Autorität aus Gründen persönlichen Machthungers.

[4.] Gleichzeitig gilt es, einen ‹Nervenkrieg› gegen Mossadegh zu führen. Mit dem Ziel, ihm und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, dass sie mit Wirtschaftshilfe nicht rechnen sollten und die USA Mossadeghs Politik mit größter Sorge betrachten:

a) Eine Reihe öffentlicher Statements von hochrangigen US-Beamten, die klarstellen, dass Mossadegh keinen Anlass habe, zusätzliche US-Hilfen zu erwarten.

b) Artikel in US-Zeitungen und Magazinen, die ihn und seine Methoden kritisieren und

c) [Zensiert] (…) Abwesenheit des amerikanischen Botschafters, was den Eindruck unterstreicht, dass die USA ihr Vertrauen in Mossadegh und seine Regierung verloren haben (…)

Die Entfernung Mossadeghs von der Macht wurde am 19. August 1953 erfolgreich vollzogen (…)»

Auf den Tag genau 60 Jahre später, am 19. August 2013, stellte das National Security Archive der George-Washington-Universität in Washington die unter dem «Freedom of Information Act» erlangten damaligen CIA-Dokumente ins Internet, soweit sie nicht weiterhin als «streng geheim» unter Verschluss gehalten werden. Die umfangreiche Lektüre ist beeindruckend, weil sie von bemerkenswerter Kaltschnäuzigkeit, aber auch von beängstigender Professionalität zeugt. Im Zuge der Veröffentlichung sah sich die CIA veranlasst, erstmals öffentlich einzuräumen, dass der amerikanische Geheimdienst federführend am damaligen Staatsstreich beteiligt war.

Dieser ist keineswegs allein von historischem oder akademischem Interesse. Bei den Atomverhandlungen mit dem Iran etwa spielt er unterschwellig eine wichtige Rolle. Für Teheran geht es dabei um die Frage, ob den USA zu vertrauen sei, ob sie tatsächlich iranische Souveränität zu respektieren gelernt haben oder aber ein weiteres Mal auf Regimewechsel setzen. Wie sehr jenes Ereignis, das dem kurzlebigen demokratischen Experiment im Iran ein Ende setzte und die Diktatur des Schahs begründete, der seinerseits 1979 von der Islamischen Revolution hinweggefegt wurde, in der Gegenwart fortwirkt, zeigt auch die Rede Präsident Obamas an die islamische Welt 2009 in Kairo. Darin räumte er ein: «Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung.» Ein Satz nur, bewusst vage, doch wird er sich darüber im Klaren gewesen sein, dass der 19. August 1953 im kollektiven Gedächtnis nicht allein der Iraner, sondern vieler Araber und Muslime mindestens dieselbe Bedeutung hat wie der 17. Juni 1953 in Deutschland.

Geld jenseits «unserer kühnsten Träume»


In Großbritannien ist die Beteiligung am Staatsstreich offiziell bis heute kein Thema. In den 1970er Jahren überredeten ranghohe britische Beamte Washington, keine Dokumente zu veröffentlichen, die für London «überaus peinlich» wären. Einzig der britische Außenminister Jack Straw räumte 2009 als Reaktion auf Obamas Rede in Kairo ein, dass es im 20. Jahrhundert «viele Einmischungen» Großbritanniens in iranische Angelegenheiten gegeben habe. Die Veröffentlichungen des National Security Archive kommentierte das Außenministerium in London mit den Worten, man könne eine Beteiligung am Putsch «weder bestätigen noch dementieren».

Der Grund für diese vornehme Zurückhaltung dürfte wohl sein, dass die Initiative für den Umsturz von London ausging. Die Briten besaßen das Monopol auf die iranische Ölindustrie seit deren Anfängen im Jahr 1909. Aus der Anglo-Persian Oil Company wurde 1935 die Anglo-Iranian Oil Company, AIOC, 1953 schließlich British Petroleum, BP. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren etwa 800 Millionen Pfund Sterling Gewinn nach Großbritannien geflossen, während der Iran lediglich 105 Millionen Pfund erhielt. Premierminister Winston Churchill bezeichnete die AIOC als einen «Preis aus einem Märchenland, jenseits unserer kühnsten Träume». Gleichzeitig herrschte in der Ölförderstadt Abadan am Persischen Golf, de facto eine britische Kolonie, ein Apartheid-System. «Nicht für Iraner», hieß es etwa an den Trinkwasserbrunnen. Die schlechten Arbeitsbedingungen führten immer wieder zu Protesten und Streiks, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Ende der 1940er Jahre formierte sich der politische Protest, forderte eine Gruppe von Parlamentariern die Explorationsverträge mit Großbritannien neu auszuhandeln. Ihr Wortführer war der in Frankreich und der Schweiz ausgebildete Rechtsanwalt Mohammed Mossadegh. Er und seine Mitstreiter gründeten die Nationale Front, um die britische Vorherrschaft zu beenden und die Autokratie des Schahs zu bekämpfen. Unter anderem forderten sie Pressefreiheit, freie Wahlen ohne Wahlfälschungen und eine konstitutionelle Monarchie.

Der Schah: 1921 hatte Reza Chan, ein Offizier der Kosakenbrigade, ursprünglich eine Elitetruppe aus russischen und ukrainischen Reiterverbänden im Sold Teherans, die seit 1796 herrschende Qadscharen-Dynastie gestürzt, sich selbst 1926 zum «Schah» (Herrscher) krönen lassen und damit die Pahlevi-Dynastie begründet. «Pahlevi», ein anderes Wort für Mittelpersisch, war die Sprache des Sassanidenreichs, des zweiten persischen Großreichs der Antike (224–641). 1941 wurde er wegen seiner guten Beziehungen zu Nazi-Deutschland von den Alliierten zum Rücktritt gezwungen, sein Sohn Mohammed Reza beerbte ihn als Schah und blieb es bis zur Islamischen Revolution 1979. Mit Hilfe des Schahs und dessen loyaler Gefolgschaft, die aufgrund von Wahlmanipulationen im Parlament stark vertreten war, suchten die Briten, den politischen Aufstieg der Nationalen Front zu verhindern. Dennoch wurde sie bei den Parlamentswahlen 1950 eine der stärksten Parteien und unterbreitete der AIOC einen Vorschlag zur angemesseneren Aufteilung der Erdöleinnahmen. Die aber lehnte Verhandlungen ab, woraufhin es landesweit zu Protesten und Streiks kam. Weite Teile der Bevölkerung verlangten nunmehr die Verstaatlichung der Erdölindustrie. Die Nationale Front, die sich von Großbritannien provoziert fühlte, schloss sich dieser Forderung an, wie auch ein Großteil der einflussreichen Geistlichen.

Als Mohammed Mossadegh im März 1951 Premierminister wurde, erkannten seine Gegner den Ernst der Lage. Die britische Regierung war entschlossen, an ihrer Ausbeutung der iranischen Ressourcen festzuhalten: Rund 90 Prozent des damals in Europa gehandelten Erdöls stammten aus der Raffinerie in Abadan. Die US-Regierung unter Präsident Truman vertrat eine vorsichtige Linie gegenüber Mossadegh und hoffte, das bröckelnde Empire auch im Iran als Hegemonialmacht beerben zu können. Die Verstaatlichung der iranischen Erdölindustrie löste in Washington zunächst keine größeren Irritationen aus. Die amerikanische Zeitschrift «Time» kürte Mossadegh 1951 gar zum Man of the Year und sah in ihm einen mutigen Reformer.

Doch Premierminister Churchill und sein Außenminister Anthony Eden, die frühzeitig den Plan gefasst hatten, Mossadegh zu stürzen, waren dabei zwingend auf die Unterstützung Washingtons angewiesen. Dort zeigte man sich allerdings erst 1953, nach der Amtsübernahme der Eisenhower-Administration, für Londons Pläne empfänglich. Mehr noch, die Amerikaner übernahmen selbst die Federführung des Putsches. Hatte der Demokrat Truman noch gewarnt, eine gewaltsame Lösung des Irankonfliktes würde «eine Katastrophe nach sich ziehen», sahen die Republikaner in Mossadegh in erster Linie einen «Kommunisten», in der Verstaatlichung selbst einen gefährlichen...

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