Die Frau, die Nein sagt - Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso

Die Frau, die Nein sagt - Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso

von: Malte Herwig

Ankerherz Verlag, 2015

ISBN: 9783940138842

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 18684 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Frau, die Nein sagt - Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso



VALLAURIS, 23. SEPTEMBER 1953

DIE FRAU, DIE NEIN SAGT

Picasso tobte. Beladen mit Koffern, zwei Kindern und einer jungen Frau fuhr das Taxi vor der Villa La Galloise in Vallauris an. Bald war der Wagen nur noch eine Staubwolke auf der südfranzösischen Landstraße in Richtung Paris, und Picasso stampfte wütend zurück in das leere Haus. Sie hatte es tatsächlich getan, hatte Wort gehalten und war mit den beiden Kindern − seinen Kindern! − fortgefahren für immer. Es war ein Unding, nicht vorgesehen und nicht vorhersehbar im Lebensplan des alten Meisters.

Die Frau im Wagen blickte nicht zurück. Aber sie konnte sich lebhaft ausmalen, wie sich Picasso gerade aufführte. Zehn Jahre lang waren sie ein Paar gewesen, die junge Françoise und der alte Pablo. Sie kannte ihn wie kaum ein zweiter Mensch, kannte seine zärtlichen und seine fürchterlichen Seiten. Aber sie wusste auch, dass sie und die Kinder zugrunde gehen würden, wenn sie weiter bei Pablo blieben. Françoise betrachtete Claude und Paloma, die neben ihr saßen. Sie liebte Pablo immer noch, aber die Kinder liebte sie mehr.

„Keine Frau verlässt einen Mann wie mich“, hatte Pablo ihr noch vor wenigen Wochen erklärt und sie mit seinen dunkel leuchtenden Basiliskenaugen fixiert. Einen Mann, so reich und berühmt, wie er es war, der bekannteste Maler der Welt, ein König der Kunstwelt, ja, eine Art Gott. Noch in 500 Jahren würde man sein Werk bewundern und Bücher über ihn schreiben. Sie aber würde eine Fußnote sein im Schatten seines Genies. Er hielt sich für unersetzlich und unwiderstehlich. Wenn er auch mal unausstehlich war, hatten das seine Mitmenschen gefälligst in Kauf zu nehmen als Preis für die Gnade seiner Gegenwart.

Und sie? Hatte schallend gelacht und ihm entgegnet, dann sei sie eben die erste Frau, die es fertigbrächte, ihn zu verlassen. Er hatte dieses helle, freie Lachen immer geliebt an ihr, aber diesmal ging es ihm auf die Nerven. Ja, es machte ihm Angst. Ihn verlassen? Was gab es da zu lachen! Es war ihm todernst. Ihr aber offensichtlich auch.

Sie wolle von nun an mit ihrer eigenen Generation und den Problemen ihrer eigenen Zeit leben, hatte sie ihm erklärt und damit wieder einmal seinen Zorn erregt. Gewiss, zwischen ihnen lagen 40 Jahre, aber was hatte das schon zu bedeuten! Gehörte die Gegenwart nicht immer noch ihm, dem ewigen Kind? Er war in seinem Schaffen jünger und kräftiger geblieben als alle ihre Altersgenossen. Und sie hatte es gewagt, sein Alter zum Thema zu machen? Es war eine unglaubliche Gotteslästerung.

Er hatte sie beredet und beschworen, hatte an ihr Pflichtgefühl appelliert. Schon wegen der Kinder müsse sie bei ihm bleiben. Dann hatte er ihr gedroht: „Du bildest dir wohl ein, dass sich die Leute für dich interessieren? Niemals, und schon gar nicht um deiner selbst willen. Auch wenn du denkst, die Leute mögen dich, wirst du nichts als Neugier für einen Menschen finden, dessen Leben sich mit meinem so sehr berührt hat. Und du wirst von allem nur einen bitteren Nachgeschmack haben. Für dich ist die Realität zu Ende − hier, an diesem Punkt, endet sie. Wenn du versuchst, auch nur einen Schritt aus meiner Welt zu machen, die die deine geworden ist, weil ich dich entdeckte, als du noch jung und unentschieden warst, und alles um dich her verbrannt habe, dann gehst du geradewegs in die Wüste.“ *

Es sollte eine Warnung sein, aber auch ein Fluch: Ohne mich bist du nichts mehr. Ich bin die Sonne, das Licht und das Leben. Ohne mich vertrocknest du, kleine Blume, du verschwindest im Nichts. Ich habe dich schon gemalt, bevor du geboren wurdest! Ich habe dich geliebt, weil du meiner Liebe bedurftest, und du verdienst es nicht, geliebt zu werden, wenn nicht von mir.

Doch diesmal half alles nichts. Sie wolle lieber in der Wüste leben als weiter in seinem Schatten, hatte sie gesagt. Ihr Ich wiederfinden, wie sie sich ausdrückte. Als ob es so etwas widerlich Sentimentales wie Glück gäbe. Was für einen modernen Unfug so eine Frau denkt! Wo waren heute die römischen Mütter − ein Ausdruck, den er gerne benutzte −, die ihr Leben klaglos für Mann und Kinder opferten?

Françoise lächelte. Was für naives Zeug selbst ein Genie so von sich geben konnte. Aber sie wusste, dass Picassos Prahlerei ihr gegenüber weniger dazu diente, sie zu überzeugen. Er wollte sich vor allem von seiner eigenen Angst ablenken, allein zu sein. Die junge Frau erwischte sich dabei, wie sie fast Mitleid mit dem tyrannischen Genie bekam, das sie soeben für immer verlassen hatte. Sie stellte sich vor, wie der große Picasso jetzt dasaß, allein und fassungslos. Wie er um sich blickte in dem Haus, in dem sie seit fünf Jahren lebten, das er in rastloser Produktivität mit seinen Keramiken gefüllt hatte und das ihm ohne sie plötzlich leer erschien.

Er blickte umher auf die Pinsel, Flaschen und Fundstücke, die sich auf dem Fußboden und in Regalen stapelten, und auf einmal überkam ihn ein nie gekanntes Gefühl. Die heillose Unordnung, die ihn sonst bei seiner Arbeit beflügelte, irritierte ihn nun. Wo war der ruhende Gegenpol zu seinem wilden Leben? Das staunende, liebende Publikum für sein gewaltiges Ich?

„Merde!“

Missmutig setzte sich Picasso an den Küchentisch und zündete sich eine Zigarette an. Er sollte Sabartés, seinem treuen Sekretär, nach Paris schreiben und ihn beauftragen, ihr nachzuforschen. Hatte sie etwa einen Liebhaber? Er selbst hatte nie viel dabei gefunden, sich auf Seitensprünge zu begeben. Gewiss, manchmal musste er nachhelfen. Es gab Frauen, die sich künstlich zierten und so taten, als ginge es ihnen nur darum, von ihm gemalt zu werden. Als sei es nicht genug, damit gewissermaßen schon zu Lebzeiten in die Unsterblichkeit einzutreten. Der Rest war aus seiner Sicht eine Frage der Dankbarkeit, eine bloße Formalität, ein Nachspiel zu seinem Vergnügen. Sie hatten ihm wohl nie etwas bedeutet, und wenn doch, dann nur für eine kurze Zeit, nach der er sich ihrer wieder zu entledigen wusste.

Einmal hatte er, noch am Anfang seiner Karriere und auf der Suche nach Zugang zu besseren Kreisen, den schweren Fehler gemacht, eine Frau zu heiraten. Doch Olga war ihm schon lästig geworden, als er Marie-Thérèse entdeckte und schwängerte. Dann kam Dora, und er machte sich eine Zeit lang sein Vergnügen daraus, beide Frauen gegeneinander auszuspielen.

Er hatte sich immer darauf verstanden, die weniger unwichtigen Frauen in seinem Leben finanziell abhängig und damit zu seiner Verfügung zu halten. Vor anderen tat er trotzdem gerne, als ob sie ihm nichts mehr bedeuteten und ihr bloßes Fortleben eine Ruhestörung für ihn sei: „Jedes Mal, wenn ich eine neue Frau nehme“, drohte er gerne, „sollte ich ihre Vorgängerin verbrennen. Dann wäre ich sie los.“ In Wirklichkeit steckte mehr hinter seiner Prahlerei. Die Vorstellung, dass ihn eine seiner viel jüngeren Frauen überleben könnte, machte ihn rasend, und er, der abergläubischen Ideen nie abgeneigt war, glaubte, durch den Tod der anderen vielleicht seine Jugend zurückgewinnen zu können. Wenn er vor der Umsetzung des scheußlichen Gedankens auch zurückscheute, ließ er es sich doch nicht nehmen, seinen Geliebten zu prophezeien, er werde sie überleben − so oder so. Auch Françoise hatte er gedroht: „Du wirst nicht so lange leben wie ich.“ Aber sie hatte nur gelacht und ihm entgegnet: „Das werden wir ja sehen.“ Sprach man so mit ihm? Was bildete sie sich ein? Nicht umsonst hatte er sie „Die Frau, die Nein sagt“ genannt. Aber das war als harmloser Scherz gemeint.

Und nun hatte sie tatsächlich ihre Drohung wahr gemacht und ihn sitzen lassen. So etwas war noch nie vorgekommen. Für einen winzigen Augenblick nistete sich der Gedanke in Picassos Herz ein, dass es vielleicht doch ein Fehler gewesen war, immer nur an sich zu denken und die Geduld seiner Mitmenschen mit seinen Eskapaden als selbstverständlich vorauszusetzen. Schnell verscheuchte er diesen Gedanken wieder wie ein lästiges Insekt und fand zurück zur ihm gemäßen Form des gerechten Zorns.

Was hatte es schon zu bedeuten, dass er ihr nicht immer treu gewesen war! Treu hatte er nur der Kunst zu sein, und nur ihr gegenüber fühlte er sich verantwortlich. Ihr opferte er alles, wenn nötig auch die Menschen, die ihm am nächsten standen, und immer auch sich selbst. Sie hatte das von Anfang an gewusst und ihm durch ihre stille Duldung seiner Extravaganzen, Seitensprünge und Wutanfälle auch zu verstehen gegeben, dass sie ihn so akzeptierte, wie er war. Sogar die Rolle der Mutter hatte sie angenommen, wenn auch nach langem Zögern und nur auf sein Drängen hin. Er hatte schließlich darauf bestanden, dass sie ihm Kinder gebären solle, denn er wollte sie ganz an sich binden. Sie hatte ihm erst Claude, dann Paloma geschenkt, und er hatte Mutter, Sohn und Tochter immer wieder gemalt.

Die Vorstellung, dass jetzt ein anderer Mann an seine Stelle treten sollte, war ihm unerträglich und machte ihn zornig. Er war der Meister, sie die Muse. Er hatte sie entdeckt, als sie 22 Jahre alt war, jung und unbeeinflusst, jungfräulich wie eine weiße Leinwand, die zu füllen ihn reizte.

Es wäre nicht zu viel gesagt, glaubte er, dass ihr Leben erst mit ihm begonnen hatte. Er hatte sie geschaffen und in den zehn Jahren ihrer Liebe wie eine Keramik zu dem geformt, was sie heute war. Sie war unter seinen Händen durch das Feuer gegangen, er hatte ihr das „Brandmal seiner Unruhe“ aufgedrückt, wie er sich gerne ausdrückte, und sie damit für immer gezeichnet. Er liebte solche Ausdrücke, denn sie halfen ihm, das Chaos der Welt in Bahnen...

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