Kurzlehrbuch Gynäkologie und Geburtshilfe
von: Regine Gätje, Christine Eberle, Christoph Scholz, Marion Lübke, Christine Solbach
Georg Thieme Verlag KG, 2015
ISBN: 9783131678621
Sprache: Deutsch
536 Seiten, Download: 24957 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
1 Gynäkologische Anatomie und ihre Störungen
C. Eberle
1.1 Klinischer Fall
Leas Fehlbildung
Unterbauchschmerzen
Lea E. sitzt nüchtern im Wartebereich der gynäkologischen Abteilung der Uniklinik. Die 32-Jährige war vor einigen Tagen wegen Unterbauchschmerzen zu ihrer Frauenärztin gegangen, die völlig überraschend eine Fehlbildung ihrer Gebärmutter festgestellt hatte. Dass sie eine solche Fehlbildung hat, wusste Frau E. bis dahin noch gar nicht. Eine exakte Diagnose hatte ihre Gynäkologin, Frau Dr. Gärtner, noch nicht gestellt, sie wollte erst die Untersuchungsbefunde der ambulanten Uterus- und Bauchspiegelung in der Klinik abwarten, für die sie gleich einen Termin vereinbart hatte.
Während Lea wartet, grübelt sie über ihren bis jetzt leider noch unerfüllten Kinderwunsch. Dass ihre Gebärmutter fehlgeformt ist, beunruhigt sie doch sehr ...
Gebärmutter mit zwei Hörnern
Einige Zeit später liegt Lea narkotisiert im OP. Dr. Sandig, der Oberarzt, erklärt dem PJler, was er bei seiner Untersuchung tastet: „Der Uterus ist normal antevertiert und anteflektiert und misst ca. 10 cm.“ Die nachfolgende Hysteroskopie zeigt, dass die Eileitereingänge auf beiden Seiten einzusehen sind, die Verdachtsdiagnose eines Uterusseptums wird jedoch bestätigt. Es handelt sich zwar nicht um eine vollständige „Zwischenwand“, aber um eine Einziehung im Bereich des Fundus, die etwa 6 cm in das Uteruskavum hineinragt. Dr. Sandig wendet sich an den PJler und fragt, wann sich eine solche Fehlbildung des Uterus typischerweise ausbilde. „Beim Heranwachsen im Mutterleib, wenn die embryonalen Geschlechtsgänge, also die Müller-Gänge, miteinander verschmelzen“, antwortet der PJler – erleichtert, dazu etwas zu wissen. Der Oberarzt fügt hinzu: „Richtig, wenn es bei dieser Verschmelzung zu Fehlern kommt, ist die Entstehung von Gebärmutterscheidewänden in unterschiedlicher Ausprägung möglich.“ Auch bei der nachfolgenden Laparoskopie bestätigt sich der Befund des sog. Uterus bicornis. Mithilfe einer Chromopertubation prüft Dr. Sandig noch, ob die Eileiter durchgängig sind, was sich bestätigt, auch wenn der Farbaustritt auf der linken Seite nur etwas verzögert sichtbar wird.
Kein Grund zur Besorgnis
Schon kurze Zeit nach der Untersuchung fühlt sich Lea wieder relativ fit und möchte wissen, was bei dem Eingriff herausgekommen ist. „Wir konnten sehen, dass Ihre Gebärmutter in der Mitte durch eine von oben hineinragende Wand unterteilt wird. Die Eierstöcke sind aber normal ausgebildet und auch die Eileiter sind erfreulicherweise durchgängig“, erklärt ihr Dr. Sandig. Lea fragt, welche Auswirkungen dies auf ihren Kinderwunsch habe. „Es gibt auf jeden Fall Möglichkeiten, da kann ich Sie schon einmal beruhigen. Sprechen Sie darüber am besten in Ruhe mit Ihrer Frauenärztin, die Sie dann auch während der möglichen Schwangerschaft betreuen würde“, schlägt der Arzt ihr vor.
Einige Tage später sitzt Lea nervös ihrer Gynäkologin gegenüber – eine Sache liegt ihr besonders am Herzen: „Bin ich vielleicht wegen dieser Fehlentwicklung noch nicht schwanger geworden?“ Dr. Gärtner informiert Lea darüber, dass bei einem Uterus bicornis die Gefahr einer Frühgeburt oder eines Abortes zwar größer, ein Kind auszutragen aber möglich sei. Da der Kinderwunsch der Patientin schon mehrere Jahre besteht und der eine Eileiter etwas eingeschränkt durchgängig ist, schlägt die Ärztin eine In-vitro-Fertilisation vor. Die Frauenärztin erklärt Frau E. den genauen Ablauf der Methode, während diese allerdings etwas mit den Gedanken abschweift – sie ist sehr erleichtert, dass sie trotz der Fehlbildung den innigen Wunsch nach einem eigenen Kind erst mal nicht aufgeben muss.
1.2 Anatomie von Becken und weiblichen Geschlechtsorganen
Key Point
Das weibliche Becken und das weibliche Genitale verändern sich im Leben einer Frau je nach Lebensphase. Die größten Veränderungen finden während einer Schwangerschaft statt. Die genaue Kenntnis der Anatomie hilft, diese Veränderungen besser zu verstehen.
1.2.1 Knöchernes Becken
Das knöcherne Becken (▶ Abb. 1.1a) ist ein aus drei Knochen zusammengesetzter Ring: Zwei Ossa coxae, die ventral an der Symphyse (Schambeinfuge) zusammenstoßen, und das Os sacrum (Kreuzbein), welches in das terminale Os coccygis (Steißbein) übergeht. Das Kreuzbein liegt dorsal zwischen den Hüftbeinen und ist mit diesen über die Iliosakralgelenke verbunden.
Jedes Hüftbein besteht aus drei Knochenanteilen, die in der Hüftgelenkspfanne (Azetabulum) aufeinandertreffen: Os ileum (Darmbein), Os ischii (Sitzbein) und Os pubis (Schambein). Der knöcherne Beckenring ist in sich unbeweglich und wird kaudal muskulär bzw. bindegewebig vom Beckenboden abgeschlossen. In der Schwangerschaft nimmt die Beweglichkeit der Symphyse und des Steißbeins ▶ hormonabhängig zu.
Die Linea terminalis (▶ Abb. 1.1b) verläuft vom Promontorium (= Übergang vom Os sacrum zur Lendenwirbelsäule) bogenförmig über das Os coxa, das Os ileum (Linea arcuata) und das Os pubis (Pecten ossis pubis) zum oberen Rand der Symphyse und unterteilt das knöcherne Becken in das große und das kleine Becken:
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großes Becken: enthält den unteren Teil der Baucheingeweide und bildet den Boden der Bauchhöhle;
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kleines Becken: trägt die Beckeneingeweide und dient bei der Frau als Geburtskanal.
Merke
Form und Maße des knöchernen Beckens sind entscheidend für den ▶ Verlauf einer Geburt. Von besonderer Bedeutung für die Geburtshilfe ist die Conjugata vera des Beckeneingangs, da sie den kleinsten Durchmesser des Beckens darstellt (▶ Abb. 1.1b).
Abb. 1.1 Knöchernes Becken. a Ansicht von ventral-kranial auf das weibliche Becken mit farbig hervorgehobenem Beckenring. b Ansicht von medial auf die rechte Beckenhälfte: Besonders gekennzeichnet sind die Linea terminalis, die inneren Beckenmaße sowie die Winkel der Beckenein- und -ausgangsebene.
(Schünke, M., Schulte, E., Schumacher, U., Voll, M., Wesker, K.: Prometheus Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Thieme, 2011)
1.2.2 Beckenboden
Der Beckenboden schließt als System von Muskel- und Bindegewebsplatten den Rumpf nach kaudal ab. Durch dehnbare Öffnungen treten Vagina, Urethra und Rektum hindurch (▶ Abb. 1.2).
Abb. 1.2 Beckenbodenmuskulatur. Ansicht von kaudal auf das weibliche Becken.
(Schünke, M., Schulte, E., Schumacher, U., Voll, M., Wesker, K.: Prometheus Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Thieme, 2011)
Der Beckenboden wird von folgenden Strukturen gebildet, deren anatomischer Aufbau anschließend noch genauer dargestellt wird:
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Diaphragma pelvis (innere Schicht)
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