Was deine Wut dir sagen will: überraschende Einsichten - Das verborgene Geschenk des Ärgers entdecken. Gewaltfreie Kommunikation: Die Ideen & ihre Anwendung

Was deine Wut dir sagen will: überraschende Einsichten - Das verborgene Geschenk des Ärgers entdecken. Gewaltfreie Kommunikation: Die Ideen & ihre Anwendung

von: Marshall B. Rosenberg

Junfermann, 2015

ISBN: 9783955710484

Sprache: Deutsch

64 Seiten, Download: 483 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Was deine Wut dir sagen will: überraschende Einsichten - Das verborgene Geschenk des Ärgers entdecken. Gewaltfreie Kommunikation: Die Ideen & ihre Anwendung



Schritte zum Umgang mit unserer Wut und unserem Ärger


Schritt eins und zwei


Wenn wir mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation lernen wollen, mit unserer Wut umzugehen, dann ist der erste Schritt, uns bewusst zu werden, dass der Anreiz oder der Auslöser unserer Wut und unseres Ärgers nicht die Ursache ist. Also nicht das, was andere Menschen tun, macht mich wütend, sondern vielmehr etwas in mir selbst, das darauf reagiert, was die Menschen um mich herum tun. Die Ursache meiner Wut liegt also in meinem Inneren, und deshalb muss ich lernen, den Auslöser von der Ursache zu unterscheiden.

In der Situation mit dem Gefängnisinsassen in Schweden stellte sich heraus, dass er gerade an dem Tag, als wir uns mit dem Thema Wut und Ärger beschäftigten, eine Menge Ärger mit der Gefängnisverwaltung erlebt hatte. Er war also sehr froh, dass wir ihm an diesem Tag helfen konnten, seinen Ärger zu verarbeiten.

Ich fragte ihn, was der Auslöser seines Ärgers gewesen war; was die Gefängnisverwaltung getan hatte. Er antwortete: „Ich habe vor drei Wochen einen Antrag abgegeben, und sie haben noch immer nicht reagiert.“ Damit beantwortete er meine Frage auf die Art, die ich mir von ihm gewünscht hatte. Er erklärte mir einfach, was er getan hatte. Er hat in seine Aussage keine Bewertung gemischt. Und das ist der erste Schritt, wenn wir mit Wut und Ärger in einer gewaltfreien Art und Weise umgehen wollen: Wir machen uns klar, was der Auslöser ist, ohne diese Wahrnehmung mit Urteilen oder Bewertungen zu vermischen. Das allein ist schon eine wichtige Fähigkeit. Häufig erhalte ich auf meine Frage Antworten wie diese: „Sie waren rücksichtslos“, was ein moralisches Urteil darüber ist, was „sie“ sind, was aber nichts darüber aussagt, was „sie“ tatsächlich getan haben.

Im zweiten Schritt machen wir uns bewusst, dass der Auslöser niemals die Ursache unseres Ärgers ist. Das heißt, es ist nicht einfach das, was Menschen tun, was uns wütend macht. Es ist unsere Bewertung dessen, was jemand getan hat. Das ist die wahre Ursache unserer Wut und unseres Ärgers – und zwar eine bestimmte Art der Bewertung.

Die GFK geht von der Grundannahme aus, dass Wut und Ärger durch Bewertungen entstehen. Wenn wir wütend sind, bewerten wir die Dinge, die uns gerade widerfahren, auf eine lebensentfremdende Art. Lebensentfremdend bedeutet in diesem Zusammenhang, dass unsere Bewertung nicht direkt damit verbunden ist, was wir oder die Menschen um uns herum brauchen. Wut und Ärger basieren auf Gedankengängen, die anderen Menschen schlechte Motive für ihre Handlungen oder Fehlerhaftigkeit in ihrem Verhalten unterstellen.

Die Auslöser erkennen, die zu Wut und Ärger führen

Es gibt vier Möglichkeiten, die Auslöser von Wut und Ärger zu erkennen. Nehmen wir den Fall der Gefängnisverwaltung, die drei Wochen lang nicht auf den Antrag des Gefangenen reagiert hatte. Er könnte (als erste Möglichkeit) dies persönlich genommen und als Ablehnung aufgefasst haben. In diesem Fall wäre er aber nicht wütend geworden. Vielleicht hätte er sich mutlos gefühlt oder hätte Schmerz empfunden, aber keinen Ärger.

Er hätte (als zweite Möglichkeit) auch in sich hineinhorchen und dabei erkennen können, welches seine Bedürfnisse waren. Wenn wir uns gedanklich unmittelbar auf unsere Bedürfnisse konzentrieren, werden wir sie wahrscheinlich auch erfüllt bekommen – wenn wir das wirklich wollen. Hätte er sich von Anfang an auf seine Bedürfnisse konzentriert, so wäre er wiederum nicht wütend gewesen, wie wir später noch sehen werden. Es stellte sich heraus, dass er verängstigt war, als er seine Bedürfnisse erkannte.

Oder eine andere, dritte Möglichkeit: Wir könnten die Dinge im Hinblick darauf betrachten, welche Bedürfnisse sich die andere Seite gerade erfüllen wollte und warum sie sich so verhalten hat, wie sie es getan hat. Diese Art des Verständnisses für die Bedürfnisse anderer Menschen macht uns nicht wütend oder ärgerlich. Wenn wir aber so unmittelbar mit den Bedürfnissen eines anderen Menschen verbunden sind – wenn wir also die Bedürfnisse der anderen wirklich verstehen –, sind wir nicht in engem Kontakt mit unseren eigenen Gefühlen. In diesem Moment liegt unsere volle Aufmerksamkeit bei der anderen Person.

Die vierte Möglichkeit, die Dinge zu betrachten, besteht darin, uns bewusst zu werden, dass wir in Begriffen denken, die das Handeln anderer Menschen analysieren und sie als fehlerhaft abstempeln. Wenn wir der Wut auf den Grund gehen, werden wir immer auf solche Gedanken stoßen. Wann immer wir uns verärgert fühlen, empfehlen wir in der GFK, zunächst zu uns selbst zu sagen: „Ich bin verärgert, weil ich zu mir selbst sage ...“, und dass wir dann nach den lebensentfremdenden Gedanken forschen, die sich in unseren Köpfen ausbreiten und die die Ursache von Wut und Ärger sind.

Zurück zum Fall des Gefängnisinsassen: Er hatte mir also gerade erklärt, dass er wütend war und der Auslöser für seinen Ärger das dreiwöchige Ausbleiben einer Antwort von der Gefängnisverwaltung auf sein Gesuch war. Ich bat ihn nun, nach innen zu schauen und mir zu erklären, was die Ursache seines Ärgers war. Er schien verwirrt und sagte: „Ich habe Ihnen doch jetzt gerade erklärt, warum ich wütend bin. Ich habe vor drei Wochen ein Gesuch an die Verwaltung gestellt, und die hat noch immer nicht reagiert.“ 

Ich erklärte ihm: „Das, was Sie mir jetzt erzählt haben, das war der Auslöser für Ihre Wut. In unseren vorhergehenden Sitzungen habe ich versucht aufzuzeigen, dass es nie ein Auslöser ist, der unsere Wut und unseren Ärger verursacht. Die Ursache liegt in dem, was wir brauchen – unseren unerfüllten Bedürfnissen. Deswegen möchte ich Sie bitten, mir zu sagen, wie Sie das Verhalten der Verwaltungsangestellten deuten. Dann können wir versuchen herauszufinden, was Sie veranlasst hat, sich zu ärgern.“ 

Er war für einen Moment sehr verwirrt. Und damit erging es ihm wie den meisten von uns: Er hatte nicht gelernt, sich bewusst zu machen, was sich in ihm abspielt, wenn er sich ärgert. So musste ich ihn dabei ein wenig unterstützen und ihm zeigen, wie man innehält und dann die Gedanken wahrnimmt, die immer im Zentrum von Wut und Ärger stehen.

Kurze Zeit später sagte er: „Okay, ich sehe, was Sie meinen. Ich bin wütend, weil ich zu mir selbst sage, dass es nicht fair ist und dass es keine anständige Art und Weise ist, Menschen zu behandeln. Sie handeln so, als ob nur sie etwas wert sind und ich ein ,Nichts‘ bin.“ Es gab noch mehr solcher Urteile, die sich mit großer Geschwindigkeit durch seinen Kopf hin- und herbewegten. Bitte beachten Sie, dass er zuerst gesagt hatte, es sei einfach das Verhalten der Gefängnisbeamten gewesen, das ihn wütend gemacht habe. Tatsächlich aber waren es all diese Gedanken in ihm, die ihn wütend machten. All die Urteile, die er mit sich herumtrug: „Sie sind nicht fair. Sie behandeln mich nicht gerecht“, waren also die Ursache seiner Wut.

Sobald wir dies erkannt hatten, sagte er: „Gut, aber was ist denn falsch daran, so zu denken?“ Und ich antwortete: „Ich sage nicht, dass etwas daran falsch ist, so zu denken. Mir ist es nur wichtig, dass Sie sich dessen bewusst sind, dass diese Art des Denkens die Ursache für Ihre Wut ist. Es geht darum, nicht den Auslöser der Wut – also das, was andere Menschen tun – mit der Ursache zu vermischen.“

Zwischen Auslöser und Ursache unterscheiden

Vielen von uns fällt es sehr schwer, den Auslöser oder Anlass unserer Wut und deren Ursache konsequent auseinanderzuhalten und beides nicht zu vermischen. Das ist nicht immer einfach, was hauptsächlich daran liegt, dass wir von Menschen erzogen wurden, die Schuld für als hervorragendes Motivationsmittel ansehen. Wenn wir Schuld als ein Mittel zur Manipulation von Menschen einsetzen möchten, dann müssen wir sie nur glauben „machen“, dass der Auslöser die Ursache des Gefühls ist. Mit anderen Worten: Wenn Sie im Umgang mit anderen Menschen „Schuld“ einsetzen möchten, müssen Sie ihnen vermitteln, dass Ihr Schmerz einzig durch das verursacht wird, was eine andere Person tut. Das bedeutet, dass das Verhalten der anderen Person nicht einfach nur der Auslöser unserer Gefühle ist, sondern auch deren Ursache.

Wenn Sie als Vater oder Mutter Ihren Kindern Schuldgefühle einimpfen wollen, dann gehen Sie vielleicht so vor: „Es verletzt mich zutiefst, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst.“ Oder wenn Sie in einer engen Beziehung mit einem Partner / einer Partnerin leben und die Methode des Schuldeinflößens anwenden, dann könnten Sie zu Ihrem Partner / Ihrer Partnerin sagen: „Es macht mich ärgerlich, wenn du jeden Abend ausgehst.“ Beachten Sie, dass in diesen beiden Beispielen die sprechende Person unterstellt, dass der Auslöser auch die Ursache der Gefühle ist. Du verursachst mein Gefühl; du bist schuld an meinem Gefühl: ich fühle mich ..., weil du ...

Wenn wir Wut und Ärger aber auf eine Art und Weise handhaben wollen, die in Harmonie mit den Grundregeln der GFK ist, dann ist es wichtig, uns diese grundlegende Unterscheidung bewusst zu machen: Ich fühle mich (wie ich mich fühle), weil ich mir selbst Gedanken über die Handlungen der anderen Person mache, die unterstellen, dass die andere Person etwas falsch macht. Solche Gedanken nehmen die Gestalt von Urteilen an, wie zum Beispiel: „Ich denke, die Person ist egoistisch. Ich denke, dass die Person unhöflich oder faul ist, oder sie manipuliert andere Menschen; sie sollte so etwas nicht tun.“ Solche Gedanken nehmen entweder die Form von direkten Urteilen...

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