Reinventing Organizations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit

Reinventing Organizations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit

von: Frederic Laloux

Verlag Franz Vahlen, 2015

ISBN: 9783800649143

Sprache: Deutsch

356 Seiten, Download: 2540 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Reinventing Organizations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit



1Einführung: Die Entstehung eines neuen Organisationsmodells


Wir verändern die Dinge nicht, indem wir gegen die bestehende Wirklichkeit kämpfen. Um etwas zu verändern, müssen wir ein neues Modell entwickeln, dass das alte Modell überflüssig macht.

Richard Buckminster Fuller

Aristoteles, der große griechische Philosoph und Wissenschaftler behauptete in einem Text, den er im Jahre 350 v. Chr. schrieb, dass Frauen weniger Zähne hätten als Männer.[1] Heute wissen wir, dass das Unsinn ist. Aber fast 2000 Jahre lang war es anerkanntes Wissen in der westlichen Welt. Dann kam eines Tages jemand auf eine Idee: Lasst uns nachzählen!

Die wissenschaftliche Methode – das Formulieren einer Hypothese und ihre Überprüfung mittels Experiment – ist so tief in unserem Denken eingeprägt, dass es für uns schwer verständlich ist, dass intelligente Menschen blind einer Autorität vertrauen und die Annahmen nicht überprüfen. Natürlich könnten wir auch denken, dass die Leute damals einfach noch nicht klug genug waren. Aber bevor wir sie zu streng beurteilen, sollten wir uns vielleicht selbst fragen: Könnten sich zukünftige Generation genauso über uns wundern? Könnten auch wir Gefangene einer vereinfachenden Sichtweise der Welt sein?

Es gibt Gründe für diesen Verdacht. Als ein Beispiel möchte ich Ihnen eine einfache Frage stellen: Wie viele Gehirne hat der Mensch? Wahrscheinlich ist ihre Antwort „eines“ (oder, wenn Sie eine Fangfrage erwarten, könnten Sie „zwei“ antworten, und damit die oft erwähnten rechten und linken Gehirnhälften meinen). Aber unser heutiges Wissen geht davon aus, dass wir drei Gehirne haben: Das große Gehirn in unserem Kopf; darüber hinaus gibt es aber noch ein kleines Gehirn im Herzen und ein weiteres im Bauch. Die letzten beiden sind vergleichsweise klein,[2] aber es sind trotzdem vollkommen autonome Nervensysteme.

Und hier wird es interessant: Das Gehirn im Herzen und das Gehirn im Bauch wurden erst vor Kurzem entdeckt, obwohl die technologischen Voraussetzungen für diese Entdeckung schon seit langer Zeit existierten. Alles, was man dafür braucht, ist eine Leiche, ein Messer und ein einfaches Mikroskop. In der Tat wurde das Gehirn im Bauch schon vor lange Zeit entdeckt, und zwar in den 1860er Jahren von einem deutschen Arzt namens Auerbach. Seine Entdeckung wurde von zwei englischen Kollegen, Bayliss und Starling, noch weiter verfeinert. Und dann geschah etwas Außergewöhnliches: Das Gehirn im Bauch geriet in der Medizin irgendwie in Vergessenheit. Ein Jahrhundert lang wurde es vollkommen aus dem Blick verloren! Erst in den späten 1990er Jahren wurde es von dem amerikanischen Neurowissenschaftler Michael Gerson und anderen wiederentdeckt.

2Wie konnten die Mediziner die Existenz eines Gehirns vergessen? Meiner Ansicht nach hat es mit dem Glaubenssystem unserer Zeit zu tun: In einer hierarchischen Weltsicht kann es nur ein Gehirn geben, dass die Kontrolle hat, so wie es nur einen einzigen Chef an der Spitze jeder Organisation geben kann. Obwohl es in der Umgangssprache Ausdrücke wie „mein Herz sagt mir“ oder „mein Bauchgefühl sagt mir“ gab, kann es nicht möglich sein, dass es drei autonome Gehirne gibt, die nebeneinander arbeiten, wenn wir glauben, dass die Welt klare Hierarchien braucht, um zu funktionieren. Vielleicht ist es kein Zufall, dass wir die beiden anderen Gehirne zum gleichen Zeitpunkt entdeckten (oder wiederentdeckten), als das Internet zu einem bestimmenden Element unseres Lebens wurde. Das Internetzeitalter hat eine neue Weltsicht vorweggenommen, in der die Möglichkeit verteilter Intelligenz vorstellbar wird, die die bisherigen Top-Down-Hierarchien ersetzt. In dieser Weltsicht ist Raum für die Idee, dass wir mehr als ein Gehirn besitzen und dass diese verschiedenen Gehirne in gemeinsamer Intelligenz zusammenarbeiten können.

Wir können nur schwer nachvollziehen, dass die Menschen im Mittelalter der Behauptung des Aristoteles Glauben schenken konnten, nach der Frauen weniger Zähne hätten als Männer. Aber es scheint, dass auch wir in gleicher Weise Gefangene unseres Denkens sein können. Moderne Wissenschaftler weigerten sich, genau durch das Mikroskop zu schauen, „weil es nur ein Gehirn geben kann“, so wie die Zeitgenossen Galileis sich weigerten, durch sein Teleskop zu schauen, weil es undenkbar war, dass unser gottgeschaffener Planet irgendetwas anderes als das Zentrum des Universums sein könnte.

Die Grenzen unseres gegenwärtigen Organisationsmodells


Mein Interesse gilt nicht der Medizin oder Astronomie, sondern Organisationen und Zusammenarbeit. Aber die konzeptuelle Frage bleibt die gleiche: Könnte es sein, dass unsere gegenwärtige Weltsicht die Art und Weise, wie wir über Organisationen nachdenken, begrenzt? Könnten wir eine wirkungsvolle, sinnvolle und beseelte Form der Zusammenarbeit entwickeln, wenn wir unser Glaubenssystem verändern würden?

In vielerlei Hinsicht ist das eine merkwürdige und undankbare Frage. Viele tausend Jahre lang lebten die Menschen unter ständiger Bedrohung durch Hungersnöte und in Angst vor Seuchen; eine Dürre oder eine einfache Grippe konnten ihnen das Leben kosten. Dann brachte uns plötzlich, fast wie aus dem Nichts, die Moderne in den letzten beiden Jahrhunderten nie da gewesenen Wohlstand und eine ständige Erhöhung der Lebenserwartung. Dieser außergewöhnliche Fortschritt kam nicht aus dem Handeln Einzelner, sondern durch die Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen:

  • Die kleinen und großen Unternehmen in unserer freien Marktwirtschaft haben im Westen einen nie dagewesenen Wohlstand geschaffen und heute helfen sie Millionen von Menschen in Indien, China, Afrika und anderen Teilen der Welt den Weg aus der Armut zu finden. Wir haben außergewöhnlich komplexe Lieferketten geschaffen, die jeden Menschen in Beziehungen mit 3anderen verbinden, was möglicherweise mehr zum Frieden zwischen den Nationen beiträgt, als es politische Abkommen je erreichen konnten.
  • Ein enges Netzwerk von Organisationen – Forschungszentren, Pharmaunternehmen, Krankenhäuser, medizinische Ausbildungseinrichtungen, Krankenkassen – wurden in einem weit entwickelten medizinischen System verbunden, das vor einem Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat dieses Netzwerk dazu beigetragen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung z. B. in den USA 20 Jahre höher ausfällt. Die Kindersterblichkeit konnte um 90 % und der Tod im Kindbett um 99 % verringert werden. Infektionskrankheiten wie Polio, Lepra, Pocken und Tuberkulose sind zum großen Teil Geschichte, selbst in den ärmsten Ländern der Welt.
  • Im Bereich der Pädagogik hat ein Netzwerk von Bildungseinrichtungen – Kindergärten, Grund- und Mittelschulen, Gymnasien und Universitäten – die Ausbildung, die einst das Privileg weniger war, für Millionen Kinder und Jugendliche zugänglich gemacht. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte gab es für jedes Kind kostenfreie öffentliche Bildungssysteme. Die hohen Raten der Alphabetisierung, die wir heute als selbstverständlich erachten, gab es noch nie zuvor in der Geschichte.
  • Überall in der Welt ist seit einigen Jahrzehnten der gemeinnützige Sektor in spektakulärer Weise gewachsen, wobei dort mehr Arbeitsstellen entstanden, als durch gewinnorientierte Unternehmen. Immer mehr Menschen spenden Zeit, Energie und Geld, um Zwecke und Anliegen zu unterstützen, die ihnen wichtig sind und der Welt dienen.

In weniger als zwei Jahrhunderten haben moderne Organisationen für die Menschheit sensationelle Fortschritte ermöglicht – ein Augenzwinkern in der Geschichte unserer Spezies. Keine der neuen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte wäre ohne Organisationen als Mittel menschlicher Zusammenarbeit möglich gewesen.

Aber trotzdem haben viele Menschen den Eindruck, dass die heutige Organisationsführung ihre Grenzen erreicht hat. Das Leben in Organisationen erfahren wir zunehmend als desillusionierend. Für die Menschen, die am Boden der Pyramide arbeiten, besagen Umfragen übereinstimmend, dass die Arbeit meist als notwendiges Übel und ständige Anstrengung gesehen wird und wenig mit Begeisterung oder Sinn zu tun hat. Die Tatsache, dass die Dilbert-Cartoons von Scott Adams zu kulturellen Ikonen werden konnten, sagt viel darüber aus, inwieweit vielen Menschen die Arbeit in Organisationen unerträglich und sinnlos erscheint. Und das ist nicht nur am Boden der Pyramide so. Während der 15 Jahre, in denen ich Führungskräfte in Organisationen beraten und gecoacht habe, konnte ich ein gut gehütetes Geheimnis durchschauen: Das Leben an der Spitze der Pyramide bringt nicht mehr Erfüllung. Hinter der Fassade und dem Prunk besteht auch das Leben mächtiger Führungskräfte aus stillem Leiden. Ihre hektische Geschäftigkeit ist oft ein schlechter Deckmantel für ein tiefes Gefühl innerer Leere. Die Machtspiele, die politischen Manipulationen und die Konkurrenzkämpfe fordern schließlich von jedem Beteiligten ihren Preis. Am 4Boden und an der Spitze sind Organisationen meist Spielfelder für die unerfüllten Ziele unseres Egos, die tiefere Sehnsucht unserer Seele hat dort keinen Platz.

Instinktiv wissen wir, dass das Management veraltet ist. Wir wissen, dass die Rituale und Routinen im Lichte des beginnenden 21. Jahrhunderts ziemlich deplatziert aussehen. Deshalb kommen einem die Witze in einem Dilbert Cartoon und eine Episode von Das Büro zugleich bekannt und peinlich vor.

Gary Hamel

Dieses Buch ist aber keine...

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