Wenn ich will, hör ich auf.

Wenn ich will, hör ich auf.

von: Werner Färber, Ravensburger Verlag GmbH

Ravensburger Buchverlag, 2015

ISBN: 9783473477388

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 1361 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Wenn ich will, hör ich auf.



Kai

Den ersten Tag im Krankenhaus hatte ich größtenteils verpennt. Konnte mich an kaum etwas erinnern. Irgendwann war wohl meine Ma hier gewesen. Wer sonst hätte mir meinen Bademantel an den Haken neben dem Bett gehängt?

Erst am zweiten Morgen, Montag früh, fing sich der Nebel in meinem Kopf allmählich an zu lichten.

Mein erster Gedanke: Mela anrufen.

Mein zweiter: Vergiss es!

Sie will nichts mehr von dir!

Der dritte: Anrufen? Wie denn?

Die Typen hatten mir am Sonnabend das Handy abgenommen. Und die mühsam zusammengekratzte Kohle, die ich bei mir gehabt hatte, ebenfalls. Trotzdem musste ich unbedingt mit Mela reden.

Wieso hatte sie mich ausgerechnet so kurz vor diesem entscheidenden Treffen einfach abserviert? Endgültig Schluss! Weshalb denn nun schon wieder? War es das dritte oder das vierte Mal, seitdem wir uns kennengelernt hatten?

Noch am Donnerstag schien sie mir zu glauben, dass ich es wirklich ernst meinte. Danach hatten wir uns nicht mehr gesprochen. Und dann dieser Anruf. So gegen Mittag, ich war gerade aufgestanden. Noch etwas beduselt von einer unendlich langen Nacht.

Sie ließ mich nicht mal richtig zu Wort kommen und legte sofort los: Ich hätte sie hintergangen, sie hätte die Schnauze voll und ich sollte gefälligst ihren Bruder in Ruhe lassen. Ich kapierte nichts und wäre für eine Erklärung wirklich dankbar gewesen. Was hatte Melas Bruder Sven mit unserem Beziehungsstress zu tun?

Natürlich hatte ich sofort versucht zurückzurufen. Sie ging nicht ran. Auch nicht ans Festnetz. Und auf SMS reagierte sie auch nicht. Keine Ahnung, wie viele ich ihr geschickt habe.

Trotzdem hielt ich mich an mein Versprechen, das ich ihr am Donnerstag gegeben hatte: meine Finger vom Gras zu lassen. In jeder Hinsicht. Und was hatte ich davon? Ich fand mich in einem Bett im Krankenhaus wieder und konnte mich kaum rühren vor Schmerzen.

Vielleicht hatte mir Ma in einem lichten Moment ihr Handy dagelassen?

Ich reckte mich nach der Schublade des Nachttisches. Grober Fehler. Mir stockte der Atem. Wie Messerstiche jagten die Schmerzen durch meinen Brustkorb. Die angeknacksten Rippen! Verdammt.

In Zeitlupe lehnte ich mich in die Kissen zurück, wagte kaum zu atmen.

War es normal, dass man solche Qualen ertragen musste? Hatten die kein Geld mehr, um Schmerzmittel anzuschaffen? Oder hatten sie einfach vergessen rechtzeitig Nachschub zu bestellen?

Wäre ich mein eigener Arzt gewesen, hätte ich gewusst, was hilft: etwas zum Inhalieren. Gegen ein Marihuanazigarettchen als Entspannungstherapie hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Mela schon.

Auch wenn ich es noch immer nicht wahrhaben wollte – sie schien in die Kategorie Kontrollfreak oder Korrektheitsjunkie zu gehören. Außerdem – wie sollte ich vom Krankenbett aus an was rankommen? Zu Hause anrufen?

„He, Ma, im Boden meiner Nachttischlampe findest du meine Notreserve. Kannst du sie mir eben mal vorbeibringen? Und vergiss bitte die Blättchen zum Drehen nicht.“

Kaum hatte ich mich von dem stechenden Schmerz halbwegs erholt, klopfte es an der Tür. Zwei Uniformierte traten ins Zimmer. Was kam denn jetzt? Wollten sie mich als Kleindealer vom Krankenbett weg verhaften?

Erstaunlich freundlich erkundigten sie sich, wie es mir ginge. Ob ich ihnen wegen des Überfalls am Sonnabend ein paar Auskünfte erteilen könnte.

„Erinnere mich kaum, was passiert ist.“

Das stimmte nur teilweise. An den Anfang konnte ich mich sehr wohl erinnern. Nachdem jedoch massenhaft Schläge auf mich eingehagelt waren, wies mein Gedächtnis deutliche Lücken auf.

„Wie sieht es mit einer Täterbeschreibung aus?“, fragte die Beamtin.

Sie war kaum älter als ich. Hatte noch nicht mal ein Sternchen auf den Schultern. Sah aber gut aus. Ich hatte das Gefühl, sie zu kennen. Vielleicht von einer dieser Schulhofrazzien?

„Bin nicht mal sicher, wie viele es gewesen sind. Drei, vier Leute, glaub ich. So ein paar Glatzen eben.“

„Rechte Szene?“, hakte ihr Kollege nach. „Was ist der Schlägerei vorangegangen? Gab es Provokationen? Wie kam es zu dieser Auseinandersetzung?“

Ich setzte weiter auf Naziüberfall und schüttelte den Kopf. „Solche Idioten muss man nicht provozieren. Wenn denen eine Nase nicht passt, holen sie die Keule raus.“

Die Beamtin verzog das Gesicht.

„Baseballschläger?“ Ich nickte.

„Hatten sie noch andere Waffen?“

„Kann mich nicht erinnern.“

In Wirklichkeit waren die Typen natürlich keine Glatzen gewesen. Und wie ich ausgesehen hätte, wenn sie Baseballschläger dabeigehabt hätten, wollte ich gar nicht wissen. Ihre Fäuste und Füße hatten auch so ausreichend Spuren hinterlassen.

„Was hatten Sie auf diesem Fabrikgelände zu suchen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Musste mal für kleine Königstiger.“

Die Frau verdrehte die Augen. Ihr Kollege versuchte sich das Grinsen zu verkneifen. „Und weiter?“, fragte sie.

Ich erzählte ihnen, dass die Typen mich völlig überraschend angegriffen und zusammengetreten hatten. Voll die Wahrheit. Sie hatten mir keine Chance gelassen, mich zu verteidigen. Ich hatte nur noch versucht Schläge abzuwehren und mich zu schützen.

„Irgendwann sind sie abgezogen und ich hab mich zur Straße geschleppt.“

Ich gab zu Protokoll, dass ich außer ein paar Euro und meinem Handy nichts vermisste.

Abschließend stellte ich eine Frage, auf die ich unter keinen Umständen ein Ja hören wollte: „Besteht die Chance, die Typen zu finden?“ Es hätte mirganz sicher nicht gefallen, wenn die wahren Hintergründe der Schlägerei ans Tageslicht gekommen wären.

Die Frau hob die Augenbrauen, blickte kurz zu ihrem Kollegen. Als er nichts sagte, meinte sie: „Ohne Personenbeschreibung?“ Mit einem bedauernden Kopfschütteln reichte sie mir die Hand. „Wir halten Sie auf dem Laufenden. Gute Besserung.“

Nach dem Abgang meiner Freunde und Helfer startete ich einen zweiten Versuch mich aufzurichten. Ich wollte endlich ins Bad und mich im Spiegel betrachten.

Bisher wusste ich nur, dass ich eine Gehirnerschütterung, angeknackste Rippen und ein zugeschwollenes Auge hatte. Außerdem hatten sie mir die Lippe genäht. Der Rest meines Gesichts fühlte sich an, als hätte mir jemand Pudding unter die Haut

gespritzt. Erneut blieb mir die Luft weg.

Ich klingelte nach der Schwester. Eine robuste Frau, die mein Ächzen und Stöhnen auf dem Weg zum Badezimmer freundlicherweise nicht einmal kommentierte.

Ich fragte sie, ob ich telefonieren könnte.

„Bis zu den öffentlichen Telefonen wirst du es in deinem Zustand kaum schaffen. Soll ich deine Mutter vom Schwesternzimmer aus anrufen und ihr was ausrichten?“

Ich musste lachen. Fehler! Schmerzen!

Beim Lachen!

Aber meine Ma wollte ich wirklich am allerwenigsten sprechen.

„Muss meine Freundin anrufen“, presste ich hervor, als ich wieder Luft bekam. „Die hat null Ahnung, wo ich stecke.“

Von Mela als meiner Freundin zu reden entsprach vermutlich nicht dem aktuellen Stand der Dinge. Aber – die Hoffnung stirbt zuletzt.

„Wenn’s ruhiger ist, bringe ich dir unser Stationstelefon“, versprach mir Schwester Rosa, nachdem sie mich zurück zum Bett gebracht hatte.

Sie ließ mich warten. Lange warten. Entweder wurde es auf dieser Station einfach nie ruhiger – oder sie hatte mich schlicht vergessen.

Mela

Nach der schlaflosen Nacht von Freitag auf Sonnabend hatte ich mich so was von leer gefühlt. Vollkommen ausgelaugt und frustriert. Vielleicht auch wütend.

Ich hatte Kai einfach nur glauben wollen. Nachdem er mir noch am Donnerstag hoch und heilig versprochen hatte, dass er nicht mehr kiffen würde, war ich fest davon überzeugt, er hätte sich ab sofort im Griff.

Dann so was! Kai hatte eine der wichtigsten Vereinbarungen gebrochen. Ach was, die wichtigste überhaupt. Das zog mir den Boden unter den Füßen weg.

Er hatte versprochen, Sven in Ruhe zu lassen! Sein Ehrenwort hatte er mir gegeben! Um dann hinter meinem Rücken doch etwas an ihn zu verticken.

Der Horror. Nicht nur einmal war ich drauf und dran gewesen, den Notarzt zu rufen.

Oder wenigstens Mama und Papa Bescheid zu sagen. Hab es zum Glück ohne Hilfe durchgestanden.

Da fuhren unsere Eltern zum ersten Mal für drei Tage alleine weg, trauten mir und meinem Bruder endlich einmal zu, ohne sie zu überleben. Und dann baute Sven so einen Mist! Dieser Idiot!

Als ich Kai nach besagter Nacht am Telefon die Hölle heißmachte, mimte er das Unschuldslamm. Er hätte keine Ahnung, was ich meinte. Bevor ich mich noch einmal bequatschen ließ, zog ich die Notbremse und drückte das Gespräch einfach weg.

Wie oft hatte er mich rumgekriegt? Dreimal? Viermal? Dabei sollte es bleiben. Oft genug war ich mit meiner Leichtgläubigkeit auf seinen Charme hereingefallen. Von dem hatte er reichlich, keine Frage.

Mehrfach hatte er beteuert, er würde aufhören oder sich wenigstens einschränken. Und jedes Mal hatte ich hundert Prozent daran geglaubt. Daran glauben wollen!

Die letzte Lüge war nach all den reumütigen Beteuerungen dann eine zu viel gewesen. Da halfen ihm auch das Dutzend SMS und die vielen Anrufversuche nichts mehr. Ich war entschlossen die Beziehung zu beenden. Punkt. Ende. Aus.

Seine letzte...

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