Machtblind - Kriminalroman

Machtblind - Kriminalroman

von: Reinhard Kocznar

Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN: 9783839249307

Sprache: Deutsch

309 Seiten, Download: 2862 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Machtblind - Kriminalroman



I. Kapitel


Es war fast 6 Uhr abends, ich betrachtete missmutig mein Handy und überlegte, ob ich noch einmal anrufen sollte. ›Fahr zur Hölle, Albert‹, sollte ich sagen und auflegen, ohne die Antwort abzuwarten.

In letzter Zeit war etwas in ihm vorgegangen, was nur der engste Kreis bemerkt hatte. Albert begann, ernst zu machen. Warum ich in sein Fadenkreuz geraten war, verstand ich längst. Verstehen oder nicht, das änderte nichts an den Fakten. Keiner von uns würde es ansprechen. Ich konnte ihm nicht sagen: ›Albert, wie kannst du nur so dämlich sein, zu glauben, dass man dir tatenlos zusieht?‹

Das Handy blieb liegen. Ich stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Der wievielte Espresso war das heute?

Wer in der guten alten Zeit durch die legendäre Westernstadt Tombstone spazierte, konnte die Bösen und die Guten problemlos auseinanderhalten, denn Letztere trugen den Stern an der Brust. Ob der legendäre Marshal Wyatt Earp Gesetze gerade brach oder hütete, erkannte man daran, ob er sein Abzeichen trug oder nicht. Diese Klarheit war unwiederbringlich vorbei.

Um mich nicht mit dem Bevorstehenden zu beschäftigen, da ohnehin alles von vornherein feststand, holte ich ein Buch hervor und versank darin. Zwischendurch machte ich noch Kaffee, und als es endlich 20 Uhr geworden war, stand fest, dass Albert nicht mehr kommen würde.

Albert war nicht nur Finanzchef meines Auftraggebers, sondern auch Ankläger, Richter und Scharfrichter in einer Person. Fehler kritisierte er unerbittlich. Was er von der sicheren Warte der Finanzabteilung aus beobachtete, das kommentierte er gnadenlos, wie er an der Stelle der von ihm Gerichteten gehandelt hätte, musste er nie beweisen. Meine Freundin Katja bezeichnete ihn in letzter Zeit des Öfteren als Bullterrier, der nicht mehr loslässt, wenn er sich einmal verbissen hatte. Ich hörte den Schlüssel im Schloss, sie kam soeben herein.

»Hi«, sagte sie mit ihrer melodiösen Stimme, für die sie am Telefon so geschätzt wurde.

Ich ging zur Tür. Katja sah mich erstaunt an.

»Du bist allein?«

»Ja.«

Sie hängte ihren Mantel auf, ich lehnte mich an den Türrahmen und sah ihr zu. Ihre kurvige Figur sprach mich so an wie vor den vielen Jahren, als wir uns kennengelernt hatten. Sie war Anwältin. Da sie heute Jeans trug, hatte sie keine Verhandlung gehabt.

»Ist er schon weg?«

»Er ist nicht gekommen.«

Katja lehnte sich an mich und sah mich forschend an.

»Ein Whisky?«, fragte ich.

»Lieber ein Bier.«

Ich wollte mich zur Kaffeeküche wenden, als das Telefon läutete. Katja ging hin und nahm ab. Ich wartete.

»Jetzt noch?«, fragte sie und sagte zu mir: »Es ist die Polizei, ein Inspektor Pirker, er fragt, ob du noch heute kommen könntest.«

»Kein Problem.«

Ich holte Sakko und Mantel, während Katja weiter redete und dann auflegte.

Wir schlugen den Weg zur Polizeiinspektion zu Fuß ein. Es war nicht weit, und Parkplätze waren am Abend Mangelware. Wenn man einen preisgab, bekam man ihn nicht wieder.

»Was wollen die?«, fragte Katja nach einigen Schritten.

»Keine Ahnung.«

»Keine Ahnung? Du trägst doch etwas mit dir herum, schon die längste Zeit. Hat Albert seine Cruise Missiles abgeschossen?«

»Er hat sie aufgetankt und programmiert. Sie fliegen noch nicht.«

Ich sagte nichts mehr.

»Eine Zeugenvernehmung«, begann Katja wieder.

»Okay.«

»Du wirst nicht beschuldigt. Als Verdächtiger dürftest du sie anlügen, so stehst du unter Wahrheitspflicht. Das werden sie dir alles vorher erklären. Wahrscheinlich sind sie zu zweit.«

»Von mir aus.«

Wir redeten in den nächsten Minuten nichts mehr, bis wir an Ort und Stelle waren.

Polizeiposten waren heute kleine Festungen, obwohl sie nie angegriffen wurden. Die Staatsmacht war sicher. In den nächtlichen Straßen ringsherum gab es allerdings immer öfter Schlägereien, meist unter Betrunkenen, die zur vorgerückten Stunde nach Hause torkelten. Überfälle, die ehemals undenkbar gewesen waren, fanden meist zu früherer Zeit statt. Viel davon war importiert.

Ich drückte die Klingel, wir wurden eingelassen. Am Tresen gestikulierte eine ungepflegte Frau, ihr gegenüber stand ein junger Polizist mit martialisch wirkender Glatze und schien geduldig zu sein. Sie war an die 40 und längst aus der Form geraten, trug trotz der Kälte dünne Leggings mit ausgetretenen Hauspantoffeln und ein unförmiges rosa T-Shirt.

»Ich verstehe euch nicht«, warf sie ihm mit erregter Stimme vor, »da könnt ihr was verdienen.«

»Das Strafgeld können wir nicht behalten«, wandte der Polizist milde ein, »und Geschäfte machen wir damit nicht.«

»Ihr braucht nur hinauszugehen auf die Straße«, forderte sie. »Alle Autofahrer an der Kreuzung telefonieren mit ihren Handys, das ist doch verboten.«

»Wir suchen Herrn Pirker«, unterbrach Katja und der Polizist nahm sich dankbar unser an. Die Frau drehte mir ihr verwittertes Gesicht zu, sie war vergessen.

»Faule Bagage«, fluchte sie im Weggehen, »in der warmen Stube sitzen, das können sie.«

Das war Pradl, wie es leibte und lebte, jedenfalls der östliche Teil. Der Polizist lächelte und ließ mich ein. Katja blieb im Warteraum, ich wurde nach hinten geführt.

Ein Beamter von etwa 50 Jahren empfing mich. Er hatte ein wenig angesetzt, seinen Kopf zierte eine eher struppige, angegraute Haarpracht, die er wohl schwer unter die Mütze brachte. Auf dem Schild stand Pirker, er wirkte nicht unfreundlich. Im Augenblick sah er ernst aus. Zu ihm hatte sich eine Kollegin in Zivil gesellt, die zuvorkommend wirkte. Sie hatte kein Namensschild auf ihrem Tisch. Die Beamtin war ein wenig jünger als ihr Kollege, dunkle Haare umrahmten ein freundliches Gesicht. Sie nahm meinen Ausweis entgegen und musterte ihn.

»Wie alt ist das Bild?«, fragte sie.

»Keine Ahnung, ein paar Jahre?«

Sie tippte etwas in den Computer und gab mir den Ausweis zurück. »2003«, sagte sie und lächelte. »2003 oder früher.«

Ich betrachtete mich als zeitlos, aber das musste ich ihr nicht erklären. Sie habe früher ›Pass‹ gemacht, erklärte sie und habe einen Blick dafür. Das war mir aufgefallen. Die beiden spielten hier netter Bulle und harmloser Bulle, nichtsdestoweniger bekam ich einen Stapel an Papieren, die mich über die Prozedur aufklärten.

»Geht in Ordnung, ich bin informiert.«

»Sie sind mit einer Anwältin liiert?«, fragte sie. Ich verzog das Gesicht, aber nur wenig. Sie schien mich zu kennen, denn ich konnte den Ausdruck ›liiert‹ nicht leiden. Die Papiere musste ich dennoch lesen.

»Herr Prokop«, begann Pirker und musterte mich über die Brille hinweg, »wo waren Sie heute zwischen 17 Uhr und 19 Uhr?«

»Oh«, sagte ich und war nicht überrascht, »in meinem Büro. Allein.«

»Dann kann das also niemand bezeugen?«, setzte er hinzu, als ob er davon ausgegangen wäre.

»Ich fürchte, nein. Ich kann nicht einmal ein Systemprotokoll aus dem Computer vorweisen, den habe ich nicht verwendet, ich habe ein Buch gelesen.«

Die beiden schwiegen eine Weile. Die Beamtin fragte: »Welches Buch?«

»Ich habe eine Faksimileausgabe eines Buches aus dem Jahr 1739 ergattert, sie lag noch im Büro.«

»1739? Das ist lange her.«

Ich nickte. In der fraglichen Zeit war ich von allem weit weg gewesen, was sich auf der Erdoberfläche ereignet hatte.

»Welcher Art ist Ihre Beziehung zu Magister Albert Heller?«, begann Pirker wieder.

Aus einem rätselhaften Grund wunderte ich mich nicht. Plötzlich war Albert doch da, allerdings in der Frage eines Polizisten, der mich spät abends auf den Posten bestellt hatte.

»Er hat mich als externen Berater für ein Finanzierungsprojekt hinzugezogen«, erklärte ich, »letztes Jahr im Sommer.«

Pirker nickte, seine Kollegin lächelte.

»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«, setzte er fort.

Ich zuckte die Achseln und überlegte. Das letzte Treffen war unerfreulich verlaufen.

»Daran werden Sie sich doch erinnern: Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

»Gestern. Wir haben am Firmenparkplatz miteinander gesprochen.«

Pirker betrachtete den Bildschirm. Er musste den Akt auswendig kennen, dennoch studierte er ihn gründlich.

»Ist er tot?«, fragte ich.

Der Polizist lehnte sich zurück. Sein Hemd spannte, ein Knopf buchtete sich ein. Der Faden hielt noch. Ich überlegte, welche Austrittswunde ein Hemdknopf verursachen würde.

»Wer soll tot sein?«, fragte er ruhig.

»Albert Heller, ist er tot?«

»Wie kommen Sie darauf, dass er tot ist?«

Jetzt musterten mich beide eingehend. Ich schüttelte unwillig den Kopf. »Welchen Sinn hätten diese Fragen sonst? Wir hatten einen Termin. Er ist nicht gekommen, und er hat nicht abgesagt. Das nahm er sonst sehr genau. Noch am selben Abend werde ich zur Polizei gerufen und gefragt, wie mein Verhältnis zu ihm ist und wann ich ihn zuletzt gesehen habe. Ist er tot?«

Sie sahen mich weiterhin unverwandt an.

»Er ist tot«, bestätigte Pirker.

Ich war nun schon eine Weile im Geschäft, in meinem Bereich machte mir keiner so schnell etwas vor. Dasselbe durfte ich von den beiden in ihrem Bereich ebenfalls annehmen, sie waren auch nicht mehr jung. Eine Kostprobe ihres genauen Blicks hatte ich vorhin erhalten. Ich versuchte dennoch, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, und dachte, dass es...

Kategorien

Service

Info/Kontakt