Champagnerblut

Champagnerblut

von: Guido Buettgen

Emons Verlag, 2016

ISBN: 9783863589707

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 3253 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Champagnerblut



EINS

Die Spitze des Kajaks durchschnitt die spiegelglatte Wasseroberfläche wie eine Rasierklinge ein Stück Seide.

Der Tag war noch jung.

Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich zaghaft ihren Weg durch die nächtlichen Nebelschwaden, und dem seit Tagen herrschenden Föhn war es zu verdanken, dass sich die Ausläufer der Alpen unmittelbar bis an das südliche Ende des Gewässers zu erstrecken schienen.

Florian Hartmann liebte den Starnberger See mit seinem kristallklaren Wasser und dem facettenreichen Ufer, an dem luxuriöse Millionärsvillen mit eigenen Bootsanlegeplätzen wie an einer Perlenkette aufgereiht lagen, während keine fünfzig Paddelschläge davon entfernt naturbelassene Schilfbestände mit alten, verwitterten Bäumen und undurchdringbarem Dickicht das steinige Ufer säumten.

Es war diese Vielseitigkeit, die den See für ihn so einzigartig machte.

So fand man am Westufer öffentliche Badebereiche, an denen sich an sonnigen Tagen so viele Menschen tummelten, dass die Szenerie an ein Gemälde von Hieronymus Bosch erinnerte, während an den Kiesstränden des Ostufers die Liebhaber ursprünglicher Natur textilfrei die stille Einsamkeit genießen konnten. Es gab Nobelrestaurants mit indirekt beleuchteten Seeterrassen und fest installierten Champagnerkübeln, während andernorts hölzerne Klappstühle auf unebenen Holzstegen dazu einluden, ein kühles Weißbier aus der Flasche zu genießen. Und es gab Plattformen im See, von denen testosterongeschwängerte Jungmillionäre zu rasanten Wasserskifahrten starteten, während sich verliebte Paare in den verwunschenen Winkeln rund um die Roseninsel romantisch ihre Liebe beteuerten, um diesen amourösen Schwur dann auch an Ort und Stelle in die Tat umzusetzen.

Das mit Abstand Schönste am Starnberger See war für Florian Hartmann jedoch das erhabene Gefühl, in den frühen Morgenstunden die kompletten sechsundfünfzig Quadratkilometer Wasseroberfläche für sich alleine zu besitzen.

Weit und breit war kein anderes Boot zu sehen, und selbst die letzten am See verbliebenen Berufsfischer, die diese Uhrzeit für gewöhnlich nutzten, um ihre Netze und Reusen einzuholen und mit Angeln auf Hecht, Waller und Seeforelle zu gehen, schienen ihrem morgendlichen Tagwerk bereits nachgekommen zu sein und das Gewässer gen heimatlichen Hafen verlassen zu haben.

Nach einem erfrischenden Schluck Wasser, den er mit der flachen Hand aus dem See geschöpft hatte, warf Hartmann einen Blick auf die Uhr und erhöhte das Tempo.

Sein Ziel war der beschauliche Segelboothafen in Possenhofen. Dessen Einfahrtsschneise wurde beidseitig von Stegen gesäumt, an denen zahlreiche Boote vertäut lagen, deren unterschiedliche Größen von den ebenso unterschiedlichen Einkommensverhältnissen ihrer Besitzer zeugten.

Über eine ansteigende Holzrampe konnten die Bootseigner ihre Segelyachten per Slipanlage ans Ufer ziehen. Doch auch Hartmann mit seinem kleinen Kajak kamen die hölzernen Planken zugute, denn er pflegte mit Schwung auf die Rampe zuzupaddeln, um über das nasse und glitschige Holz so weit aus dem Wasser zu gleiten, dass er seinen Einsitzer trockenen Fußes verlassen konnte.

Bedingung dafür war allerdings, dass er auf den letzten Metern ausreichend Geschwindigkeit besaß, und so stieß er die Paddel noch einmal mit aller Kraft ins Wasser und nahm Tempo auf.

Rechts und links flogen die Segelboote an ihm vorbei, und er bereitete sich gedanklich bereits auf das Auftreffen auf der Rampe vor, als plötzlich ein dumpfer Aufprall ertönte und das Boot einen heftigen Schlag bekam.

Dann kenterte es.

Für einen kurzen Moment befiel Hartmann Panik.

Für eine Eskimorolle war sein Boot zu lang. Außerdem hatte er angesichts der milden Temperaturen auf die Verwendung einer Spritzdecke verzichtet, sodass der Innenraum seines Kajaks sofort voll Wasser lief.

Prustend befreite er sich und tauchte zurück an die Wasseroberfläche. Der See war an dieser Stelle nicht sonderlich tief, doch wegen des weichen, schlammigen Grundes hatte er Mühe, das schwere Boot zu drehen und über die hölzerne Rampe auf die Wiese zu ziehen.

Anschließend begab er sich kopfschüttelnd wieder zurück zum Ufer.

»Verdammte Scheiße! Was zum Teufel war das denn?«, murmelte Hartmann verwirrt.

Er hatte das Kajak bereits seit mehr als zehn Jahren und hätte Stein und Bein geschworen, die Hafeneinfahrt wie seine Westentasche zu kennen.

Er wusste, wo die Stahlschienen des Transportschlittens auf dem sandigen Seegrund verliefen, er wusste, wo sich die unter Wasser befestigten Sicherungshaken für die Bojen befanden, und er wusste, wo sämtliche größere Steine im Hafenbecken lagen.

Was er dagegen nicht wusste, war, was in drei Teufels Namen er dort vor wenigen Augenblicken gerammt hatte.

Vorsichtig watete Hartmann in den See, diesmal nicht auf, sondern neben der rutschigen Rampe.

Das Wasser war durch sein unorthodoxes Landemanöver aufgewühlt, weshalb sich auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches erkennen ließ. Behutsam bewegte er sich Schritt für Schritt vorwärts und durchsuchte mit seinen Händen das Wasser. Doch er fand nichts.

Schließlich zuckte er resigniert mit den Schultern, drehte sich um und stapfte zurück zum Ufer, als er plötzlich mit seinem Schienbein gegen einen Widerstand stieß.

Er stolperte und wäre um ein Haar abermals der Länge nach in den See gefallen.

Mit einem deftigen, sowohl gesellschaftliche als auch religiöse Etikette verletzenden Fluch griff er in das trübe Wasser, packte den mysteriösen Gegenstand und zerrte ihn an die Oberfläche.

Als er sah, was er gerammt hatte, erblasste Hartmann.

Anschließend erbrach er sich in den Starnberger See.

* * *

Es gibt Menschen, deren Gutmütigkeit dermaßen ausgeprägt ist, dass sie Gefahr laufen, die fließende Grenze zur Naivität zu überschreiten.

Polizeikommissar Maximilian Konstantin von Werdenfels war ein solch gutmütiger Mensch.

Allerdings hatte selbst seine Geduld irgendwann einmal ein Ende, und die cholerische Dame, die auf der anderen Seite der getönten Scheibe im Vorraum des Starnberger Polizeireviers stand und sich aufplusterte wie ein Kampffisch in einem Süßwasseraquarium, war kurz davor, diesen Punkt bei ihm zu erreichen.

Um Contenance bemüht, versuchte er ein weiteres Mal, die Frau zu beschwichtigen.

»Liebe Frau von Wallenbach, es gibt keinen Grund, hier so zu schreien – die Akustik in diesen Räumen ist hervorragend. Wie ich Ihnen bereits mehrfach erklärt habe, werden wir Ihre Angelegenheit umgehend zu Protokoll nehmen und –«

»Genau das ist ja das Problem!«, unterbrach die Frau ihn erbost.

Sie war etwa Anfang vierzig – auch wenn ihr flächendeckender Schminkstil mindestens ein Jahrzehnt weniger implizieren sollte –, hatte dunkles, halblanges Haar und trug ein champagnerfarbenes Kostüm, dessen perfekter Schnitt den durch Pilates und Yoga geformten Körper vorteilhaft in Szene setzte. An ihrer Hand hatte sie neben einem funkelnden Brillanten beachtlichen Umfangs ein kaugummikauendes Kind mit einem ebenso beachtlichen Volumen.

»Sie sollen die Angelegenheit gefälligst nicht nur zu Protokoll nehmen, sondern etwas tun. Schicken Sie alle Einheiten los! Ich will, dass diese Verbrecher festgenommen und zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar sofort!«

Sie schlug mit ihrer perfekt manikürten Hand so kraftvoll auf die Schaltertheke, dass einige Flugblätter, die orientierungslose Schulabgänger von den Vorzügen einer Polizeikarriere überzeugen sollten, in hohem Bogen durch den Raum flogen.

Der übergewichtige Junge blickte ihnen ungerührt hinterher, während der hinter ihm stehende Mann sich bückte, die Flyer auflas und sie wieder ordentlich auf der Theke platzierte.

Anschließend wandte er sich an die erzürnte Mutter. »Entschuldigen Sie, wären Sie bitte so freundlich, mir zu erklären, um was es hier gerade geht?«

Frau von Wallenbach drehte sich irritiert um und musterte den Mann mit einem prüfenden Blick. Allerdings schien sein Outfit aus Kapuzenpulli, Jeans und klobigen Motorradstiefeln ihn nicht als adäquaten Gesprächspartner zu qualifizieren, denn sie ignorierte seine Frage und wandte sich stattdessen wieder dem jungen Polizeibeamten zu.

Auch dieser hatte das Einmischen des Mannes mit Befremden zur Kenntnis genommen.

»Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte er, »wären Sie bitte so freundlich, hinter die rote Markierung zurückzutreten und zu warten, bis Sie an der Reihe sind? Ich kümmere mich gleich um Sie.«

Der Mann zögerte, dann nickte er achselzuckend und trat einen Schritt zurück, während das Kind ihm hinter dem Rücken der Mutter hämisch die Zunge herausstreckte.

»Frau von Wallenbach«, fuhr Kommissar von Werdenfels fort, »bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sind durchaus gewillt, uns Ihrer Angelegenheit anzunehmen. Aber halten wir den Ball doch mal im Dorf! Es geht hier nicht um eine Entführung oder einen Banküberfall, sondern lediglich um ein Handy, das Ihrem Sohn abhandengekommen ist. Und dabei ist noch nicht einmal sicher, dass man es gestohlen hat – der Junge kann es ebenso gut auch verlegt oder verloren haben.«

Der eisige Blick der Frau ließ die gefühlte Raumtemperatur schlagartig um mehrere Grad absinken.

»Abgesehen davon, dass es entweder ›den Ball flach halten‹ oder aber ›die Kirche im Dorf lassen‹ heißt, sollten Sie mir jetzt mal genau zuhören, Herr Polizist …«

»Herr Kommissar, so viel Zeit muss sein!«, korrigierte sie von Werdenfels.

»Es ist mir...

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