In Würde Wandeln und Sterben - Eine spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens
von: Veerendra H. Bühner
TWENTYSIX, 2016
ISBN: 9783740717575
Sprache: Deutsch
220 Seiten, Download: 392 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
Mehr zum Inhalt
In Würde Wandeln und Sterben - Eine spirituelle Psychologie des Wandelns und Sterbens
Die Werteordnungen des natürlichen und des spirituellen Menschen
Weil der Mensch die Dinge wertet und bewertet, schafft er sich je nach seinem Verständnisgrad und seiner Verständnistiefe bestimmte Werteordnungen existenzieller Dinge.
Wenn wir die Werteordnung des natürlichen Alltags- oder Massenmenschen betrachten und sie der Werteordnung des spirituellen Menschen gegenüberstellen, dann können wir feststellen, dass die niedrigsten Werte des natürlichen Menschen die höchsten Werte des spirituellen Menschen sind und umgekehrt.
So wird zum Beispiel für den natürlichen Menschen die Rangordnung seiner Werte von der Selbst- und Arterhaltung bestimmt, während die Werterangordnung des spirituellen Menschen vom Verlangen zu seinem Urgrund zurückzukehren bestimmt wird.
Vom Standpunkt des spirituellen Menschen aus ist der natürliche Mensch mehr oder weniger ein „Tier“ mit einer aufgesetzten, übergestülpten Kultur und Zivilisation. Vom Standpunkt des natürlichen Menschen aus ist der spirituelle Mensch mehr oder weniger ein „Spinner“ oder „Fantast“.
Wir können zwischen der Selbst- und Arterhaltung und dem Urgrund oder „Gott“ eine Stufenleiter von Werten platzieren, die sich dann folgendermaßen darstellt:
- Die Selbsterhaltung
- Die Arterhaltung
- Die Persönlichkeitskultur oder „Ich“-Kultur
- Das Leben
- Die Würde
- Reines, ungeformtes Bewusstsein
- Der Urgrund
Die Selbsterhaltung, die Arterhaltung und die Persönlichkeits- oder „Ich“-Kultur bestimmen die Werteordnung des natürlichen Menschen.
Die Würde, reines, ungeformtes Bewusstsein und der Urgrund bestimmen die Werteordnung des spirituellen Menschen.
Das Leben ist als verbindender Faktor in der Mitte platziert. In ihm fließen die „unteren“ und die „oberen“ Werte zusammen und werden miteinander verbunden.
Diese Werteordnung stellt sozusagen die Stufenleiter dar, auf der sich der Mensch während seines Lebens entwickeln kann und auf der er verschiedene Stufen des Verstehens und des Seins erlangen kann.
Auf den unteren Stufen spielt sich das ganz „normale“ Leben des Menschen mit seinem sozialen, familiären und kulturellen Kontext ab. Es ist der Ort gesellschaftlicher Normen und der Persönlichkeitskultur. Hier wird der Mensch von Geburt an, entsprechend seines sozialen, familiären sowie kulturellen Kontextes und seiner Neigungen, geprägt. Im Laufe seines Lebens nimmt er dann, ebenfalls entsprechend seines Kontextes und seiner Neigungen, den existenziellen Dingen des Daseins gegenüber, seinen ganz persönlichen, subjektiven Standpunkt ein und kann die Dinge nur von diesem Standpunkt aus verstehen.
Weil auf dieser Stufe alles von der Grundströmung der Selbst- und Arterhaltung bestimmt wird, werden auch die persönlichen Standpunkte und Meinungen eines auf dieser Entwicklungsstufe lebenden Menschen gefärbt und bestimmt. Die Triebe der Selbst- und Arterhaltung bestimmen hier auch das Verständnis und die Rangordnung von Werten:
An erster Stelle steht hier die Selbsterhaltung oder die Ernährung, weil es ohne Ernährung weder eine Selbsterhaltung, noch eine Arterhaltung gibt.
An zweiter Stelle steht die Arterhaltung oder die Sexualität, welche auf dieser Stufe, neben der Erzeugung von Nachkommen, vorwiegend auch dazu dient, den größtmöglichen, persönlichen Lustgewinn daraus zu ziehen.
An dritter Stelle steht die Persönlichkeitskultur oder „Ich“-Kultur, durch die sich der Mensch innerhalb seines Sozialgefüges seine sogenannte persönliche „Identität“ schafft und annimmt – ein Konstrukt, das er „Ich“ nennt, es mit allerlei Eitelkeiten ausschmückt und – wenn auch fälschlicherweise – als sein „wahres Sein“ empfindet. Hier entsteht für den Menschen eine subjektive, illusorische Welt, eine Welt der Selbstverherrlichung, an die er glaubt und die er für „bare Münze“ hält. Und innerhalb dieser Welt entstehen dann neue und ebenfalls illusorische „Werte“ wie Anerkennung, Ruhm, Ehre, Macht, Reichtum, Ehrgeiz und Selbstverherrlichung, usw.
An vierter Stelle kommt das Leben. Es liegt schon außerhalb des Verstehens des auf den unteren Stufen lebenden Menschen und wird als ganz selbstverständlich erachtet. „Leben“ wird hier nur insofern respektiert, als es persönlichen Zwecken dient. Ansonsten wird es mit Füßen getreten, missachtet, geopfert und zerstört. Denn der auf den unteren Stufen unserer Werteskala lebende Mensch kann die Einheit der Gegensätze, die das Leben in sich vereinigt, nicht erkennen oder verstehen. Er lebt in einer Welt der getrennten Gegensätze, in der er zum Beispiel Leben und Tod, Tag und Nacht, Mann und Frau, Liebe und Hass, Ich und Du, Oben und Unten, usw. als jeweils getrennte, oft feindliche Einheiten wahrnimmt. Und weil er sich immer nur für einen Teil eines Gegensatzpaares entscheiden kann, wird der andere Teil zu etwas Feindlichem, das er zu bekämpfen beginnt. Auf diese Weise wird er parteilich oder teilhaft und, vom spirituellen Standpunkt aus gesehen, in einen nie enden wollenden Kampf verstrickt, den er „Leben“ nennt. Er wird sein Leben lang, bis zu seinem Tod keine Ruhe finden.
Nebenbei sei hier noch bemerkt, dass seine Teilhaftigkeit auch die Ursache dafür ist, Kriege größeren oder kleineren Ausmaßes zu führen und die schrecklichen Folgen dieses grausamen Geschehens hinzunehmen. Solange er teilhaft bleibt, bleibt er unerfüllt, und solange unerfüllt bleibt, wird sich seine Unerfülltheit auch gegen Seinesgleichen richten – in der Hoffnung sein Unerfülltsein würde durch deren Vernichtung ein Ende finden.
Erst wenn der natürliche Mensch seine Teilhaftigkeit überwunden hat, wenn er die Gegensätze in sich selbst, das heißt, innerlich vereinigt hat und zu einem ganzen Menschen geworden ist, kann er diese oft mit Schrecken behaftete Entwicklungsstufe verlassen und zu einem spirituellen Menschen werden. Erst dann kann er wahre Menschenwürde erlangen.
An fünfter Stelle steht die Würde. Auf den unteren Entwicklungsstufen steht die „Würde“ als vages Wort am fernen Horizont und der Mensch träumt oder bildet sich ein, sie zu besitzen. Die „Würde des Menschen“ wird hier als „unantastbar“ bezeichnet, während ihre „Träger“ unaufhörlich menschenunwürdige Handlungen begehen, Ihresgleichen missachten, betrügen, missbrauchen, quälen, foltern oder sogar ermorden und abschlachten.
Für den spirituellen Menschen hingegen ist Würde eine gelebte Tatsache.
An sechster Stelle steht das reine, ungetrübte, formlose und ursprüngliche Bewusstsein. Hier erreicht der Mensch seine wahre Freiheit oder die Freiheit von sich selbst.
Für den Menschen der unteren Entwicklungsstufen ist reines und ungetrübtes Bewusstsein etwas vollkommen Unbegreifliches. Für ihn dient „Bewusstsein“ lediglich dazu, in seiner subjektiven Welt die persönlichen Eigeninteressen seines sogenannten „Ichs“ durchzusetzen. „Bewusstsein“, besteht für ihn lediglich aus „Schlussfolgerungen“. Ansonsten ist es für ihn nichtexistent.
Reines, ungeformtes, ursprüngliches Bewusstsein oder spirituelle Freiheit ist untrennbar mit wahrer Menschenwürde verbunden: Ohne spirituelle Freiheit gibt es keine wirkliche Menschenwürde und ohne wirkliche Menschenwürde gibt es keine spirituelle Freiheit.
Und an oberster Stelle auf der Stufenleiter der Werteordnungen kommt der Urgrund oder das wahre Sein. Echte Menschenwürde und ursprüngliches Bewusstsein liegen sehr nahe am Urgrund und erlauben dem spirituellen Menschen sich dahin rückzuverbinden. Die Rückverbindung zum Urgrund ist das Wesentliche aller Religion.
Der allgemeine, teilhafte, in seiner subjektiven „Identität“ und einer Welt der „Ich“-Haftigkeit befangene, natürliche Mensch der unteren Entwicklungsstufen interessiert sich kaum oder gar nicht für seinen Ursprung, seine Herkunft, seine wahre Natur oder für sein wahres Sein.
Das Interesse für seine Herkunft beschränkt sich allerhöchstens auf seine Ahnenreihe.
Religion und Spiritualität, welche eigentlich dafür gedacht waren, den Menschen zu seinem wahren Sein und seinen Urgrund zurückzuführen, werden zur Etikette, zur „Sonntagsreligion“, zum blinden Glauben, starrsinnigen, fanatischen Dogmatismus und abergläubischer Wellnessesoterik degradiert.
Von den Trieben der Selbst- und Arterhaltung bestimmt, bleibt der natürliche, teilhafte Mensch in seiner Entwicklung auf der Stufe eines Tieres stehen, während er sich als „Krone der Schöpfung“ wähnt.
Es ist das spirituelle Wesen eines Menschen, das ihn vom Tier unterscheidet.
Wenn er seine spirituelle Seite verkümmern lässt, bleibt er ein Tier, lebt wie ein Tier und stirbt wie ein Tier. Dabei ist es...