Die Gnosis

Die Gnosis

von: Christoph Markschies

Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN: 9783406616273

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 3444 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die Gnosis



II. Die Quellen


Um das zu beschreiben, was schon christliche Theologen in der Antike unter dem Stichwort „Erkenntnis“ subsumierten, stehen eine ganze Anzahl von schriftlichen Quellen als Grundlage zur Verfügung. Sie sollen hier ausführlich charakterisiert und ihr Inhalt ebenso ausführlich vorgestellt werden. Wir sahen, daß das Phänomen selbst ein typologisches Konstrukt aufgrund bestimmter Quellen ist.

1. „Gnosis“-kritische antike Autoren, die Originaltexte überliefern


Irenaeus von Lyon. – Als erster Autor ist für diese Quellengruppe der Bischof der griechischsprachigen Gemeinde von Lyon am Ende des 2. Jahrhunderts, der Kleinasiate Irenaeus, zu nennen. Sein Hauptwerk, die fünfbändige „Überführung und Widerlegung der zu Unrecht so genannten Erkenntnis“, ist vollständig nur in einer spätantiken lateinischen Übersetzung erhalten und wird meist mit einem wenig spezifischen lateinischen Kurztitel „Adversus Haereses“, „Gegen die Häresien“, zitiert. Das Werk entstand vermutlich zwischen 180 und 185 n. Chr. und wurde verfaßt, weil der Autor auf Probleme in seiner Diözese reagieren wollte: Der Bischof hatte in seiner gallischen Gemeinde, zu der neben griechischsprachigen Kaufleuten auch einheimische Kelten zählten, das Wirken von rhetorisch gewandten Christen beobachtet, die „mit listig eingeübter Überredungskunst“ – also rhetorisch nicht ungeschickt – und durchaus erfolgreich für ein intellektuelles „Suchen“ warben (Widerlegung I Vorrede 1). Wenn man den Titel seines Werkes in Rechnung stellt, scheinen diese Menschen innerhalb der christlichen Gemeinde für ein Suchen nach „Erkenntnis“ geworben zu haben. Irenaeus unterstellte ihnen nicht nur eine vom Wesenskern des Christentums abweichende falsche Lehre, sondern auch eine lediglich oberflächliche gedankliche Durchdringung ihrer Positionen: „Ich will nach meinen bescheidenen Fähigkeiten Ausgangspunkte für ihre Widerlegung angeben, indem ich zeige, daß das, was sie reden, absurd und wirr und mit der Wahrheit nicht vereinbar ist“ (Vorrede 2). Zu diesem Zweck zitierte Irenaeus ausführlich Texte, wobei er die Referate jeweils durch kommentierende Sentenzen unterbrach – Zitat und Kommentar sind schwer zu unterscheiden. Jedenfalls überlieferte der gallische Bischof auf diese Weise einen großen Systementwurf und verschiedene kleinere Texte im Umfeld. Diese Quellenauszüge schrieb er bereits im Vorwort Schülern eines christlichen Theologen namens Ptolemaeus zu, der in der Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom lebte, und berichtete, daß diese Schule sich auf einen anderen stadtrömischen christlichen Theologen namens Valentin zurückführe, aber in Wirklichkeit von Menschen abstamme, die sich selbst „Erkennende“, „Gnostiker“ nannten (Widerlegung I 31,3 u. ö.). Die historischen und gedanklichen Beziehungen zwischen den „Erkennenden“ und den Schülern des römischen Lehrers, den „Valentinianern“, machte Irenaeus ebenfalls zum Gegenstand seiner Bücher. Als Begründer der Gnosis, als „ihre Quelle und Wurzel“ (Widerlegung I 22,2), stellte er den Magier Simon aus Flavia Neapolis, dem heutigen Nablus, in Samaria/Palaestina vor. Gegen die in seinen Augen wirren Ansichten der teilweise moralisch tief korrumpierten Gegner setzte Irenaeus den einfachen, verständlichen und allen nachvollziehbaren Glauben, der sich an dem Maßstab der Wahrheit orientiert, wie er in der Kirche von den Aposteln auf die gemeindlichen Verantwortungsträger der Gegenwart übergegangen ist.

Clemens von Alexandrien. – Von dem christlichen Lehrer Titus Flavius Clemens aus Alexandria war schon die Rede. Er dürfte etwa zwei Jahrzehnte nach Irenaeus geschrieben haben. Sein siebenbändiges Hauptwerk zeigt schon durch den Titel an, daß es zur Gattung der vermischten Schriften zählt, der sogenannten „Buntschriftstellerei“: „Teppiche von Darstellungen, die sich auf Erkenntnisse im Blick auf die wahre Philosophie beziehen“. Wie es dieser literarischen Gattung entspricht, wird die christliche Glaubenslehre in jenem Werk in bunter Mischung und ohne strenge Reihenfolge entfaltet. Aber immer wieder geht es Clemens um richtige „Erkenntnis“ gegenüber einer „zu Unrecht so genannten Erkenntnis“: „Wie nun Dünkel und Einbildung die Philosophie in üblen Ruf gebracht haben, so ist es auch der Erkenntnis durch falsche Erkenntnis gegangen, die den gleichen Namen trägt“ (Teppiche II 52,5). Allerdings legt er in seinen „Teppichen“ keine systematische Widerlegung der „unheiligen Erkenntnis dieser Leute, die zu Unrecht als Erkennende bezeichnet werden“, vor. Er verspricht sie vielmehr für einen späteren Zeitpunkt, „damit nicht ihre Bekämpfung, die sich nicht mit wenigen Worten erledigen läßt, störend in meine Untersuchung eindringe und den vorliegenden Gedankengang unterbreche, in dem wir zeigen wollen, daß allein wahrhaft heilig und fromm der Gnostiker ist, der dies wirklich entsprechend der kirchlichen Richtschnur ist“ (Teppiche VII 41,3). Clemens zitiert deswegen im Gegensatz zu Irenaeus nur kleinere Passagen von Schriften, die er dieser falschen Erkenntnis zurechnet. Die Menge seiner Aristoteles- oder Platon-Zitate überwiegt bei weitem die Menge von Belegen aus Schrifttum, das man auch heute noch der „Gnosis“ zuordnet. Von Clemens ist eine weitere Schrift unter dem Titel „Exzerpte aus Theodot und der sogenannten ‚östlichen‘ Lehre zu Zeiten des Valentinus“ erhalten, die offenbar in der vorliegenden Form nicht zur Publikation bestimmt war, weil sie in Form einer Materialsammlung ohne Einleitung und Schluß Referate einer ebenfalls in der Tradition des stadtrömischen Lehrers Valentinus stehenden Lehre mit Kommentaren des Clemens vermischt. Dieser vergleichsweise kurze Text enthält eine große Menge von Originaltexten der „Erkenntnis“.

Hippolyt von Rom. – Der dritte einschlägige Autor, Hippolyt von Rom, schrieb noch einmal etwa zwanzig Jahre später eine „Widerlegung aller Häresien“ („Refutatio Omnium Haeresium“), die nur fragmentarisch überliefert ist. Dort werden in den Büchern V bis IX dreiunddreißig Gruppen dargestellt, die in der neuzeitlichen Forschung als „Gnostiker“ bezeichnet werden. „Erkennende“ nannten sich aber nach Hippolyt praktisch nur die Mitglieder einer einzelnen Gruppe, die sogenannten „Naassener“: „Sie heißen so nach dem hebräischen Wort ‚Naas‘, Schlange. Später nannten sie sich ‚Erkennende‘, da sie behaupteten, allein die Tiefen der Weisheit zu kennen“ (Widerlegung V 6,3f.; vgl. auch 23,3). Die übrigen Gruppen werden unter Namen angeführt, die ihnen vermutlich teils von Gegnern zur Charakterisierung ihrer Lehren angehängt wurden, teils aber auch ihr Selbstverständnis beschreiben oder gar ihre Selbst-Bezeichnung darstellen: die Schlangen-Leute („Naassener“), die „Fremden“ (Peraten) oder die „Seth-Leute“. Daneben wird auch die Lehre einzelner Theologen wie Simon, Valentin, Secundus, Ptolemaeus, Herakleon, Marcus und Colorbasus vorgestellt. Hippolyt nennt aber leider nur wenige Details, die für eine historische Einordnung hilfreich wären.

Hippolyt referiert mehr und zitiert weniger: „Uns scheint die Lehre der Sethianer genügend erklärt zu sein. Wenn jemand aber ihr ganzes Tun und Treiben kennenlernen will, der lese das Buch, das den Titel trägt: ‚die Paraphrase Seths‘“ (Widerlegung V 22). Aber auch bei ihm finden sich einige wichtige originale Quellenstücke. Hippolyt ist der festen Überzeugung, daß die betreffenden Gruppen sich zu ihrem Schaden über die griechische Philosophie hergemacht haben, deren Grundlagen mißverstanden, ungeschickt zusammenwarfen und auf diese Weise sowohl vom wahren Glauben abfielen wie in vollkommen unlogische Konstruktionen versanken (Widerlegung I Vorrede 8f.).

Origenes. – Wahrscheinlich schon kurz danach und lange vor Mitte des 3. Jahrhunderts setzte sich der erste wirklich hoch gebildete christliche Theologe und Universalgelehrte Origenes – die christlichen Eltern hatten ihrem Kind den paganen Namen „Horussproß“ gegeben – bei der Abfassung seines zweiundzwanzigbändigen Kommentars zum neutestamentlichen Johannesevangelium mit einem vergleichbaren Werk eines prominenten „Valentinianers“ auseinander, eines Anhängers des bereits genannten stadtrömischen Lehrers Valentin. Die von Origenes ausführlich und durchaus nicht immer kritisch zitierte Erklärung des vierten Evangeliums aus der Feder des Herakleon (fast fünfzig Bruchstücke) dürfte aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts stammen. Über die Lebensumstände dieses Autors Herakleon ist nahezu nichts bekannt. Aus den Bruchstücken kann man aber erkennen, daß Herakleon das Evangelium offenbar als erster christlicher Autor versweise nach den üblichen antiken philologischen Methoden der Kommentarphilologie ausgelegt hat: Man findet in den Fragmenten vor...

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