Palmyra - Requiem für eine Stadt

Palmyra - Requiem für eine Stadt

von: Paul Veyne

Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN: 9783406692383

Sprache: Deutsch

136 Seiten, Download: 26817 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Palmyra - Requiem für eine Stadt



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Eine monumentale antike Stadt


Ich möchte nun, wie einst als Geschichtsprofessor, den Fremdenführer durch die Vergangenheit spielen.

Um heutzutage nach Palmyra zu gelangen, fliegt man in vier Stunden von Paris nach Damaskus und fährt von dort zweihundert Kilometer weiter auf einer asphaltierten Straße, die eindeutig der antiken Trasse folgt; nach vier Stunden Fahrt durch eine Wüste aus Staub und Steinen, wo kümmerliches Gras wächst, ist der Anblick des grünen Palmenhains und der weißen Kolonnade, der gewaltigen Überreste einer untergegangenen Kultur, jedes Mal aufs Neue eine Überraschung. Die zahlreichen Touristen entdecken bei ihrer Ankunft nicht den «verlorenen Schmuck des antiken Palmyra», der Baudelaire träumen ließ (es wurde so gut wie kein Schmuck gefunden), sondern einen modernen Marktflecken mit Hotels und Restaurants aller Preiskategorien.

Wendet sich der Besucher um – hat nun also das Dorf im Rücken –, so ist ihm die Sicht auf den Horizont versperrt durch eine halb verfallene, überwältigende baukastenartige Anlage (Tafelteil, Abb. 1): Aus Würfeln und Säulen aus weißem Kalk (Marmor ist in ganz Syrien unbekannt) hat ein Riesenkind da, wo Wüste und Palmenhain waren, zum Spaß anderthalb Kilometer monumentaler Mauern und Kolonnaden errichtet, die wie zur Parade aufgestellt sind. Im ganzen Gelände verstreut liegen herabgefallene Bauteile. Man hat weniger den Eindruck von Ruinen als vielmehr den einer Stadt, die gerade abgebrochen wird. Es liegen keine unförmigen Konglomerate römischer Zementklumpen (wie so häufig in Rom selbst), keine Gewölbeteile, keine Bögen herum, es gibt hier nur Horizontale und Vertikale. Eine Architektur aus Hausteinen, deren transparente Logik den Sinnen genügt: Der Besucher glaubt, alle Elemente vor sich zu haben, die ausreichen, um im Geiste aus dem, was er sieht, zu rekonstruieren, was einmal war; die Struktur ist identisch mit der sichtbaren Form, Inneres und Äußeres sind eins.

Auf der Ausgrabungsstätte, so wie die Archäologen sie angelegt haben, ist kein einziges modernes Bauwerk zu sehen; hier ist die Zeit ein für allemal stehen geblieben. Was den heutigen Besucher am meisten verblüfft und auch bereits den Reisenden in der Antike in Staunen versetzt hat, war das große, inzwischen in die Luft gesprengte Heiligtum und eine lange Säulenreihe, diese «Gassen von Palmyra, diese Säulenwälder in der Ebene der Wüste», von denen Hölderlin träumte. Der Handel mit der weiten Welt hat einst diese aramäische Oase verwandelt, so wie er aus ein paar schlammigen Inseln an der Adriatischen Küste eine Stadt wie Venedig entstehen ließ. Die Kolonnade repräsentierte die Urbanität der Avantgarde und des Alltagslebens, das Heiligtum des Gottes Baal war der Markusdom dieses Wüstenhafens.

Dieser Tempel war kein Schmuckkästchen, kein Reliquienschrein wie die Tempel in Griechenland und in Rom; er war die Wohnstatt Baals, des Heiligsten der Heiligen, und dort thronte sein Standbild. Das Bauwerk erhob sich inmitten einer rechteckigen Umfriedung von über zweihundert Metern Seitenlänge. Nach innen, entlang der vier Seiten, wurde dieser Bezirk zu einem Viereck aus Wandelhallen (nennen wir sie überdachte Höfe), die auf Säulen ruhten. Nach außen bestand er aus einer nahezu fensterlosen Mauer, die den Tempel umfing – so wie die prächtigen Moscheen Istanbuls mit ihren weiträumigen Innenhöfen von der übrigen Stadt getrennt sind. Weder die Anlage selbst noch ihre Dimensionen waren außergewöhnlich: Überall, wo genügend Platz war, umgab man die Tempel gerne mit einer solchen Umfriedung.

Diese überdachten Höfe hatten nicht allein eine ornamentale Funktion und dienten auch nicht nur zum Schutz vor der Sonne: Pilger fanden darin einen Rastplatz, Händler verkauften Devotionalien, die dem Gott als Votivgaben geweiht wurden, aber auch, so stelle ich mir vor, Geflügel, das sich weniger Begüterte als Opfergabe leisten konnten. Auf den Verputz der rückwärtigen Mauer krakelten Pilger den schriftlichen Beweis ihres frommen Besuchs im Tempel oder ihren Dank an die Gottheit, die ihre Gebete erhört hatte. Und ganz gewiss füllte sich die weite Umfriedung am jährlichen Fest des Gottes mit viel Volk.

Wie dieser monumentale Komplex finanziert wurde? Wir wissen es nicht. Drei Antworten sind denkbar: durch die Gewinne aus dem Handel auf der Seidenstraße, die zahlreichen frommen Pilger, die Kaiserfamilie in Rom. Reiche Gläubige konnten zum Beispiel, was damals gängige Praxis war, eine oder zwei Säulen stiften. Ein Kaiser oder ein potentieller Thronfolger konnte der Stadt anlässlich ihrer Angliederung an das Imperium ein Geschenk zukommen lassen. Oder aber die Kosten wurden aus dem Tempelschatz bestritten. Die Götter empfingen Schenkungen und Erbschaften, und die Priester hatten Anrecht auf einen Teil der Opfertiere, den sie verkauften: Die Tempel standen in Konkurrenz zu den Metzgern. Vielleicht war das Heiligtum Ziel regionaler Pilgerreisen und zog eine Menge Gläubige an, die von fernher kamen. War solch ein Tempel im weiten Umkreis berühmt, konnte er durch Schenkung oder Erbschaft in den Besitz vieler Immobilien gelangen, deren Einkünfte er dann kassierte. Vielleicht ist also das Wunder gar nicht so groß, wie es scheint.

Was den Tempel selbst betrifft, so wurde er im Jahre 32 unserer Zeitrechnung geweiht. Die Umfriedung und ihre Vorhallen wurden wohl erst in den folgenden Jahrzehnten errichtet: Auch manch anderer heidnische oder christliche Sakralbau wurde erst im Lauf von Jahrhunderten fertiggestellt. Der Tempel selbst hat nichts Gigantisches. Freilich hatte Syrien nichts gegen Gigantismus (es war neben Tunesien und der Türkei eine der reichsten Provinzen des Imperiums), und der Tempel in Baalbek im Libanon, den ganze Scharen von Touristen besuchen, ist einer der größten der antiken Welt. Aber die Ausmaße des Tempels von Palmyra waren eben durchaus nicht ungewöhnlich und unterschieden sich nicht von denen der Maison Carrée in Nîmes oder des Tempels von Magnesia am Mäander in der Türkei, der ebenfalls acht Frontsäulen und je fünfzehn Säulen an den Seiten aufweist und von dieser kleinen Stadt finanziert wurde.

Die lange Kolonnade, die einen ungepflasterten Weg säumt, führt heute durch die gesamte Anlage, vom Baal-Tempel bis zu den Ruinen der «Diokletian-Thermen». Diese doppelte Reihe Säulen (Tafelteil, Abb. 12 und 13), die in den Himmel ragen und nichts mehr tragen, ist in ihrer ganzen Länge erst im Laufe zweier Jahrhunderte errichtet worden. Der erste Bauabschnitt ging aus vom großen Tempel und war eine Prozessionsstraße. Jedes Jahr zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche begleitete eine Prozession ein Bildnis Baals – getragen auf dem Rücken eines Kamels und geborgen in einem Schrein aus rotem Leder – bis zu einem ländlichen Heiligtum. Die Frauen, die den Weg säumten, waren von Kopf bis Fuß verschleiert, sei es aus Ehrfurcht vor der Gottheit, sei es, weil sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Die jüngeren Abschnitte der Säulenreihen erfüllten noch eine zweite Funktion: Hier in den überdachten Höfen befanden sich zahlreiche Geschäfte.

Die Kolonnade bildete indes keine Verkehrsstraße. Man darf sich hier keine vorbeiziehenden Karawanen vorstellen: Bestimmt hatten diese keinen Zutritt zur Stadt. Auf einem Teil dieser Hauptstraße befand sich vielmehr der Souk, der Bazar von Palmyra – der «Hof, wo mit allem gehandelt wird», wie er genannt wurde –, zugleich die Flaniermeile. Es war ein Bazar in geometrisch regelmäßiger Form, der der Rationalität einer fortgeschrittenen Zivilisation entsprach und ein in sich geschlossenes Ganzes bildete, ein Ort, an dem man sich aufhielt und den man nicht einfach nur durchquerte. Wurde doch der öffentliche Raum damals auf eine Weise genutzt, wie wir sie heute nicht mehr kennen.

Dafür ein weiteres Beispiel: In jeder antiken Stadt, ob groß oder klein, war der Verkehr für private Fahrzeuge und für Reiter verboten, nur Wagen für den Warentransport waren erlaubt; Privatpersonen ließen mithin Reittier und Wagen außerhalb der Stadtmauern. Dafür aber waren die Straßen häufig von ganzen Herden von Vieh verstopft, das die Stadt mit Fleisch versorgte. Allmorgendlich verließen zudem viele Bewohner die Stadt und beeilten sich abends, vor der Schließung der Stadttore, zurückzukehren: Den Tag hatten sie draußen bei der Feldarbeit verbracht.

Was die Kolonnade so einzigartig machte, war ihr Status eines zivilen Monuments: Damit war Palmyra also wahrlich eine Stadt ganz nach griechisch-römischer Auffassung. In Syrien war das etwas Neues, denn dort gab es bis dato kaum andere als königliche, religiöse oder den Toten gewidmete Bauwerke: Befestigungsanlagen, Tore, Tempel, Paläste, ...

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