Polizeipsychologie - Ein Lehrbuch für das Bachelorstudium Polizei

Polizeipsychologie - Ein Lehrbuch für das Bachelorstudium Polizei

von: Torsten Porsch, Bärbel Werdes

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783840926921

Sprache: Deutsch

327 Seiten, Download: 5295 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Polizeipsychologie - Ein Lehrbuch für das Bachelorstudium Polizei



|13|Kapitel 1
Polizeipsychologie – Einleitung und Überblick


Bärbel Werdes und Torsten Porsch

1.1 Einführung


In fast allen Bereichen des privaten und beruflichen Alltags ist mittlerweile Expertenwissen besonders gefragt und notwendig. Vor der Anschaffung eines neuen technischen Gerätes, bei Fragen zu Art und Umfang von Kinderbetreuung, beim Erstellen einer Steuerklärung oder nach einem Arztbesuch können wir das Wissen von Experten nutzen, um zu begründeten und ausgewogenen Entscheidungen zu kommen (Bromme, Kienhues & Porsch, 2010). Die Nutzung dieses Expertenwissens ist nicht nur als optionale Wissenserweiterung oder als systematische Absicherung von Entscheidungen anzusehen, sondern wird zunehmend auch als Alltagsaufgabe gefordert. Vom mündigen Bürger, Patienten oder Kunden wird mittlerweile erwartet, sich umfassend Informationen zu verschaffen, sprachfähig zu sein und damit jederzeit in der Lage zu sein, zu unterschiedlichsten Themen in einen Diskurs treten zu können, der über Glauben und Meinungen hinaus geht. Die Digitalisierung von Wissensbeständen und die mobilen Zugriffsmöglichkeiten auf eben diese verändern unsere Wissenskultur zusehends. Expertise ist damit ständig greifbar geworden, wenn sie denn sinnvoll verschlagwortet werden kann oder Ideen dazu bestehen, welche Expertin bzw. welcher Experte denn zu einem Themenbereich sinnvoll beitragen kann.

Im beruflichen Kontext gestaltet sich die Nutzung von Expertenwissen ebenso dynamisch. In vielen Berufen wird verlangt, dass nicht nur auf Expertenwissen zugegriffen wird, um berufliche Aufgaben zu bewältigen, sondern vielmehr auch selbstständig Expertise generiert und anderen zugänglich gemacht wird. So können beispielsweise durch vernetzte Arbeitsgruppen Aufgaben dezentral bearbeitet werden. Neben der Diversifikation von Studiengängen und Berufsausbildungen steigt auch die Anforderungsbreite innerhalb von höherqualifizierten Tätigkeiten. Neben den originären Fachinhalten spielt zunehmend auch Wissen |14|aus Nachbardisziplinen und eine Vielzahl von sogenannten Schlüsselqualifikationen eine Rolle. Beispielsweise wird die Fähigkeit, eine Schulklasse zu unterrichten nicht nur über Fachwissen und didaktische Kenntnisse definiert. Lehrerinnen und Lehrer müssen darüber hinaus auch Medienwissen, sozialpädagogische Expertise und Verhandlungsgeschick sowie vielschichtige professionelle Expertise aufweisen (Bromme, 2014). Es wird von ihnen erwartet, dass sie sich in neue Wissensfelder selbstständig einarbeiten und ihr Wissen nicht nur innerhalb eines Schulkollegiums sondern zusätzlich mittels Netzwerkbildung beständig weitergeben. Diese Theorie zur Professionalisierung von Expertise lässt sich auf eine Vielzahl von Berufen übertragen.

Der Beruf der Polizeibeamtin und des Polizeibeamten ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Der berufliche Alltag im Polizeidienst besteht schon lange nicht mehr aus einer Ansammlung gleichförmiger Aufgaben in einem mehr oder weniger konstanten Umfeld – wenn dies überhaupt jemals der Fall war. Dabei ist festzuhalten, dass es – aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Tätigkeitsfelder – nicht den einen klar umrissenen beruflichen Alltag im Polizeidienst gibt. Dies spiegelt sich auch in der Ausbildung von angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten wider. Obwohl in der Regel durch die berufliche Ausbildung allein auf ein oder zwei zentrale Tätigkeitsfelder des Polizeidienstes vorbereitet wird, während sämtliche Spezialisierungen neben umfänglicher Berufserfahrung auch zusätzliche Aus- und Fortbildungen erfordern, sind zur Vermittlung des Wissensumfangs mehrere spezialisierte Ausbildungsträger involviert. In der Ausbildung für den Polizeidienst müssen berufspraktische Inhalte, wie z. B. das Fahren von Dienstfahrzeugen unter Einsatzbedingungen, das Bewegen in einer Polizeikette während einer Demonstration oder das Nutzen von Einsatztechniken zum Festhalten von Personen, erlernt werden. Die theoretischen Inhalte werden in der Regel im Rahmen eines Studiums vermittelt, in dem neben einschlägigen Rechtsfächern auch eine Vielzahl von weiteren (polizeilichen) Inhalten ihren Platz hat. Theorie und berufspraktische Inhalte müssen eng verzahnt und durch die angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch Handeln in realen Situationen erprobt werden. Anfangs fällt den Lernenden das Erkennen der Relevanz der jeweiligen Inhalte für ihr Handeln schwer. Ebenso ist die Aufnahme der Lerninhalte durch fehlende eigene Anknüpfungspunkte verlangsamt (Prawat, 1999).

Angehende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sehen sich einer Wissensflut ausgesetzt, der sie im Rahmen ihrer kognitiven, motivationalen und lernstrategischen Möglichkeiten begegnen. Sie können sich an ihren Dozentinnen und Dozenten, Dienstgruppenleiterinnen und Dienstgruppenleitern oder ihren Tutorinnen und Tutoren orientieren. Deren Handeln, Wissen und praktische Erfahrungen sind Orientierung für die Lernziele der angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Dabei müssen sie nicht selten mit Widersprüchen und Spannungsfeldern umgehen, wenn der Abgleich von theoretischen Inhalten des Studiums und dem langjährig erprobten und durch unterschiedliche Einflüsse geprägten lokalen Handeln in der Praxis gefordert ist. Die angehenden Polizeibeamtinnen und Polizei|15|beamten entscheiden sich – nachvollziehbarerweise – häufig für die Reduzierung der Wissensinhalte auf das unmittelbar Notwendige und ein Handeln, das eine schnelle Lösung der Situation verspricht. Diese Strategie bringt den Vorteil mit sich, eine gewisse Handlungsfähigkeit und –sicherheit zu erreichen, bevor ein eigener Expertisestatus erreicht wird. Gleichzeitig besteht die Gefahr, durch diese Reduzierung der Komplexität systemische Zusammenhänge zu unterschätzen oder ganz zu negieren. Auch verzerrt diese fälschlicherweise die breiten Anforderungen, die durch unterschiedliche Personen, gesellschaftliche und politische Gruppen an Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Polizei neben unmittelbarer Hilfe und der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit im Rahmen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr auch eine breite Handlungskompetenz in allen relevanten Themenfeldern. Dabei ist nicht nur das Ergebnis polizeilichen Handelns wichtig, sondern auch die Art und Weise sowie die Öffentlichkeitswirksamkeit und die Nachhaltigkeit der Zielerreichung. Wird die Verknüpfung dieser Anforderungen im individuellen Handeln der Polizeibeamtin und des Polizeibeamten erkannt, rechtfertigt sich auch eine berufliche Ausbildung, die über das Erlernen von Gesetzestexten und weiteren polizeilichen Fächern wie z. B. Einsatzlehre hinausgeht. Fächer wie Psychologie, Soziologie, Ethik und Politikwissenschaften erhalten im Curriculum ihre Daseinsberechtigung.

Das Interesse am Fach Psychologie ist bei den Studierenden in der Regel besonders groß, dennoch hat es die wissenschaftliche Psychologie aus der Perspektive der angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten häufig besonders schwer. Vielfach existiert ein Zerrbild über Inhalte und Wesen des Faches. Einzelne Ausrichtungen wie z. B. psychodynamische Ansätze werden als repräsentativ für das ganze Fach betrachtet. Mit dem Denken, Fühlen und Erleben glauben sich auch viele Laien gut auszukennen, da sie es – zumindest in der unsystematischen Beobachtung – alltäglich an sich selbst wahrnehmen. So kann z. B. die Annahme bestehen, sich mit Kommunikation gut auszukennen, da auch im Alltag Gespräche mit anderen Menschen geführt werden. Darüber hinaus erscheinen wissenschaftliche Erkenntnisse im Fach Laien häufig trivial, da sich beständig Beispiele im Alltagserleben finden und die Erkenntnisse damit in jeglicher Hinsicht vertraut, wenn auch nicht systematisch abgesichert, wirken. Grundlegende psychologische Theorien bieten nicht immer umfängliche Extrakte, die ohne weitere Transferleistung in der Praxis genutzt werden können. Es ist daher für Laien anfangs schwierig, einen unmittelbaren Gewinn aus dem Erlernen von Grundlagenwissen zu ziehen. Letztendlich gelingt es auch uns – den Vertreterinnen und Vertretern des Faches – nicht immer, angehende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte für eine dauerhafte Auseinandersetzung mit den Theorien, Methoden, Erkenntnissen und Anwendungen der Psychologie zu begeistern. Der Verweis darauf, dass die Notwendigkeit zur Beschäftigung mit dem Fach zwingend für das zukünftige Arbeitsfeld gegeben ist, trägt...

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