Johnny Sinclair - Beruf: Geisterjäger - Band 1

Johnny Sinclair - Beruf: Geisterjäger - Band 1

von: Sabine Städing

Baumhaus, 2017

ISBN: 9783732540150

Sprache: Deutsch

271 Seiten, Download: 6856 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Johnny Sinclair - Beruf: Geisterjäger - Band 1



1. Kapitel


Ein Flur voller Gespenster

Trutzig wie ein steinerner Riese hockte die alte Burg auf ihrem Hügel in den schottischen Highlands und ließ den Blick über dunkle Moore und grüne Täler schweifen. Wer Zeit hatte und ganz genau hinhorchte, konnte es hinter den alten Mauern wispern hören.

Johnny Sinclair, ein junger Schotte aus dem Sinclair-Clan und Bewohner von Greyman Castle, hatte keine Zeit.

Nervös kaute er auf seiner Unterlippe und spähte immer wieder hinaus auf den dunklen Flur. Er würde es niemals zugeben, aber er hasste es, nach Einbruch der Dunkelheit den langen, düsteren Korridor vor seinem Zimmer entlangzugehen. Es war immer das Gleiche. Wenn man es nicht schaffte, zwischen dem tanzenden Kilt und dem Schwert schwingenden Highlander in den Treppenturm zu gelangen, war es zu spät. Denn dann waren sie da. Alle! Und das konnte verdammt unangenehm werden.

Noch einmal öffnete der junge Schotte die Tür seines Zimmers und spähte hinaus auf den Flur. Das letzte Tageslicht fiel durch die bleiverglasten Fenster und warf ein graues Muster auf den zerschlissenen Läufer. Alles war ruhig. Johnny holte tief Luft und sprintete los. Sechs Atemzüge hatte er Zeit, den Treppenturm zu erreichen. Dann würde der Schwert schwingende Highlander da sein.

Eins … zwei … drei … Johnny zählte genau mit. Schon tauchte vor ihm die steinerne Wendeltreppe auf, die nach oben ins nächste Stockwerk führte. Vier … fünf … Er bremste so heftig, dass der Läufer unter seinen Füßen Funken sprühte.

»Menno!«

Drei Stufen über ihm stand sie. Besser gesagt, sie schwebte, und wie immer drehte sie ihm den Rücken zu. Barfuß, in einem weißen Kleid, die mageren Arme hinter dem Rücken verschränkt, sah sie aus dem winzigen Fenster. Ein welker Blumenkranz schmückte ihr langes schwarzes Haar.

»Aus dem Weg!«, verlangte Johnny und versuchte seiner Stimme einen drohenden Klang zu geben.

Das Mädchen rührte sich nicht, aber das Flimmern, das ihren Körper umgab, wurde heller.

»Ich befehle es dir!«, setzte Johnny nach, so wie er es aus den vielen Geisterjägerromanen kannte, die er so gern las. Und als das noch immer nicht wirkte, sagte er: »Okay, dann nenn mir deinen Namen und zeig mir dein Gesicht!«

Doch das Geistermädchen blieb stumm und schwebte rückwärts auf ihn zu.

Erschrocken hielt Johnny die Luft an. War er total verrückt geworden? Was redete er da? Er wollte ihr Gesicht doch gar nicht sehen. Niemals! Und er wollte auch nicht wissen, wer sie war und weshalb sie ihm erschien. Er wollte bloß, dass sie verschwand und ihn in Ruhe ließ!

Da setzte plötzlich der Klang afrikanischer Trommeln ein. Rhythmisch und beschwörend hallten die Töne in dem alten Turm wider. Die Aura des Geistermädchens fing an zu flackern und löste sich im nächsten Moment auf. Ein eisiger Wind strich Johnny übers Gesicht, dann war der Spuk vorbei.

Erleichtert atmete er auf und lief die steinerne Wendeltreppe nach oben. Die Trommeln wurden mit jeder Stufe lauter, und ein monotoner Singsang mischte sich unter die Töne. Schnell schlüpfte Johnny durch die breite Tür zu seiner Rechten.

Der Raum, in dem er sich nun befand, war erfüllt von dumpfen Klängen. Sie kamen aus zwei großen Lautsprecherboxen rechts und links neben der Tür.

In einer Ecke des Raums stand eine dunkelhäutige Frau vor einem blumengeschmückten Schrein. Sie wickelte etwas um eine Puppe aus grobem Leinen und setzte ihren Singsang dabei unablässig fort.

So leise wie möglich schlich Johnny an ihr vorbei. Nicht leise genug, denn obwohl sie ihm den Rücken zuwandte, hatte sie ihn bemerkt und fuhr blitzschnell herum.

»Herrje, Johnny! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mich nicht stören, wenn ich mitten in einer Zeremonie stecke!«

Johnny Sinclair warf einen schnellen Blick auf die Puppe, die zwischen zwei blauen Kerzen auf einer Art Altar lag. Er erkannte sofort, dass es sich dabei um ein Abbild von Mrs Adams, der Hausköchin, handelte, denn ihr Gesicht klebte auf dem Kopf der Puppe.

»Ich muss unbedingt an meinem Schleichschritt arbeiten«, sagte er zerknirscht. »Aber die Glasgow Rangers spielen gegen Manchester City, und ich …«

Die Frau am Altar starrte ihn finster an. »Du wolltest dich an mir vorbeischleichen? An mir … einer Mambo? Ich habe das dritte Auge, schon vergessen? Und das sitzt genau hier!« Sie deutete auf ihren Hinterkopf.

»Tut mir leid«, murmelte Johnny und verkniff sich den Hinweis, dass ihr drittes Auge meistens ziemlich blind war.

Cécile, so hieß die Frau, stammte aus Haiti. Sie war sein Kindermädchen und eine Mambo, eine Voodoo-Priesterin. Zumindest behauptete sie das von sich.

Jetzt starrte sie Johnny zornig an. Doch schon im nächsten Moment wurde ihr Blick weich. »Was ist los? Deine Nase ist ja so weiß wie ein Mairübchen. Haben sie dir wieder aufgelauert?«

Johnny nickte. »Es sei denn, hier wohnt jemand zur Untermiete, den wir noch nicht kennen. Ein Mädchen. Dunkle Haare, weißes Kleid. Und sie schwebt.«

Johnny hatte in letzter Zeit oft mit Cécile über die Geister auf Greyman Castle gesprochen. Das Dumme war nur, dass niemand außer ihm sie je gesehen hatte. Nicht einmal Cécile mit ihrem zweiten Gesicht und dem dritten Auge.

»Ooooh, mon petit chou!«, sagte das Kindermädchen nun und breitete voller Mitleid die Arme aus. Johnny konnte sich gerade noch wegducken, bevor sie ihn an ihren üppigen Busen drückte.

»Halb so wild«, meinte er cool. Das Fußballspiel war jetzt eindeutig wichtiger. Denn wenn er sich erst auf eine Diskussion über Geister einließ, war die erste Halbzeit vorbei, bevor er überhaupt den Fernseher eingeschaltet hatte.

»Ich würde jetzt echt gerne das Spiel sehen. Ähm, wenn du einverstanden bist«, schob er schnell hinterher.

Cécile sah ihn noch einmal forschend an und nickte gnädig. »Also gut. Ich brauche hier noch ein bisschen, aber ich komme gleich nach.«

Erleichtert atmete Johnny auf und verschwand durch die Verbindungstür in ihr Zimmer. Er wusste nicht, ob es etwas mit ihrem Voodoo-Zauber zu tun hatte, aber Cécile war die Einzige auf der Burg, bei der der Fernseher störungsfrei lief.

Johnny warf sich in den bequemen Sessel und griff nach der Fernbedienung. Das Spiel hatte bereits begonnen.

Cécile war seine Familie, solange seine Eltern nicht da waren. Was ziemlich oft der Fall war, denn Simon und Alice Sinclair waren weltweit geachtete Ethnologen. Und wenn sie nicht gerade ein paar Ureinwohner im brasilianischen Regenwald besuchten, spürten sie garantiert einen vergessenen Schweizer Dialekt auf oder hielten Vorträge vor chinesischen Studenten. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hatte Johnny sie auf ihren Reisen begleitet. Dann fing für ihn die Schule an, und es war Schluss mit dem lustigen Nomadenleben, wie Cécile es nannte. Während seine Eltern weiter durch die Weltgeschichte reisten, verbrachte er sein Leben im nebligen Schottland, auf der halbverfallenen Burg seiner Urgroßväter. Bloß um in Blacktooth zur Schule zu gehen.

Leider lief das Fußballspiel nicht so, wie Johnny es sich gewünscht hätte. Manchester war in Topform, und die Glasgow Rangers lagen bereits 2:0 zurück.

Da öffnete sich die Tür, und Cécile kam herein. Sie hatte Tee gekocht und stellte das Tablett mit Bechern und selbst gebackenen Scones auf dem kleinen Tischchen neben Johnnys Sessel ab.

»Wie steht’s?«, fragte sie und ließ sich in ihr Bett plumpsen.

»2:0«, antwortete Johnny, während er weiter auf den Fernseher starrte.

Cécile stopfte sich einen ganzen Berg Kissen hinter den Rücken und thronte jetzt wie die Prinzessin auf der Erbse in ihrem großen Himmelbett. Johnny musste lächeln. Früher hatten sie immer zusammen in ihrem Bett gesessen und ferngesehen. Doch mit zwölf verbot sich das natürlich von selbst. Kein Sinclair saß in diesem Alter noch neben seinem Kindermädchen im Bett!

Nach dem Abpfiff blieben sie noch eine Weile schweigend beieinander sitzen. Sie schlürften ihren Tee und aßen die Scones, die Mrs Adams am Morgen für sie gebacken hatte.

»Die Rangers sind wie aufgescheuchte Moorhühner über den Platz geflattert«, stellte Cécile fest und gähnte lautstark.

Johnny sah sie missmutig an. Cécile hatte leider recht. Den lahmen Gurken fehlte einfach der nötige Biss.

Er reckte sich und stand auf. Es war schon spät, und er musste noch Hausaufgaben machen.

»Ich geh dann mal«, brummte er und blieb unschlüssig an der Tür stehen. Ihm war irgendwie mulmig zumute.

Es war noch nicht allzu lange her, seit die Sache mit den Geistern angefangen hatte. Um genau zu sein, passierte es das erste Mal an seinem zwölften Geburtstag. Johnny hatte jede Menge Urwaldsuppe und Monsterpunsch in sich hineingeschlürft und musste nachts noch einmal aufs Klo. Das war jedes Mal ein langer Marsch durch noch längere Korridore, und Johnny nahm den Weg bloß auf sich, wenn es gar nicht anders ging. In dieser Nacht ging es nicht anders. Doch er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.

Kaum hatte er sein Zimmer verlassen, bemerkte er am Ende des Korridors eine helle Gestalt. Und was noch viel schlimmer war: Die Gestalt bemerkte ihn. Augenblicklich setzte sie sich in Bewegung und kam auf ihn zu. Nicht besonders schnell, aber auch nicht besonders...

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