Sterben - Eine Erfahrung

Sterben - Eine Erfahrung

von: Cory Taylor

Ullstein, 2017

ISBN: 9783843715614

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 2351 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sterben - Eine Erfahrung



Vor etwa zwei Jahren kaufte ich über das Internet ein Medikament aus China, mit dem ich meinem Leben ein Ende setzen kann. Das bekommt man entweder auf diese Weise, oder man reist nach Mexiko Peru und kauft es ohne Rezept bei einem Tierarzt. Anscheinend muss man ihm nur erzählen, man wolle ein krankes Pferd einschläfern, und kriegt, so viel man will. Dann nimmt man es entweder in seinem Hotelzimmer in Lima ein und überlässt es seiner Familie, sich um die Einzelheiten der Überführung nach Hause zu kümmern, oder schmuggelt es im Koffer durch die Flughafenkontrollen und hebt es sich für den späteren Gebrauch auf. Ich hatte nicht die Absicht, meines sofort zu benutzen, und war nicht in der körperlichen Verfassung, die weite Reise nach Südamerika anzutreten, und wählte deshalb die China-Option.

Mein Medikament aus China ist ein Pulver. Ich bewahre es gemeinsam mit einem Abschiedsbrief in ei luftdicht verschlossenen Beutel an einem sicheren und geheimen Ort auf. Den Abschiedsbrief habe ich schon vor über einem Jahr geschrieben, einige Tage, bevor ich mich einer Gehirnoperation unterziehen musste. Der Teil meines Gehirns, der die Bewegungen meiner Gliedmaßen auf der rechten Körperseite kontrolliert, war von einem Melanom befallen – der Krebs war unheilbar, und es gab keine Garantie, dass er nach der Operation nicht zurückkehren würde. Zu dieser Zeit hatte ich auch an anderen Stellen meines Körpers bereits Metastasen, beispielsweise in meinem rechten Lungenflügel, unter der Haut an meinem rechten Arm und eine große knapp unterhalb meiner Leber. Eine weitere drückte auf meine Harnröhre und hatte 2011 das Einsetzen eines Plastikstents notwendig gemacht, um die Funktion meiner rechten Niere aufrechtzuerhalten.

Die Diagnose hatte ich 2005 bekommen, kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag, nachdem sich bei einer Biopsie herausgestellt hatte, dass der Leberfleck auf der Rückseite meines rechten Knies ein Melanom in Stadium IV war. Seitdem ist meine Krankheit barmherzig langsam fortgeschritten. Erst nach drei Jahren auf, und es dauerte nochmals ein paar Jahre, bis er weiter gestreut und auch andere Körperstellen befallen hatte. Ich musste mich zwei Mal operieren lassen, erholte mich danach aber immer gut, und dazwischen blieb ich von ernsthaften Symptomen verschont. Damals schaffte ich es tatsächlich, die Krankheit vor allen außer meinen engsten Freunden geheim zu halten. Aber mein Mann, Shin, wusste die ganze Wahrheit, da er mich zu den regelmäßigen Untersuchungen und Terminen bei Spezialisten begleitet hatte. Unseren beiden Söhnen im Teenageralter allerdings hatte ich die Einr allzu großem Schmerz zu schützen, denn das war mein Job als ihre Mutter. Als mich Ende Dezember 2014 ein Anfall vorübergehend hilflos wie ein Baby

Also beraumten wir ein Familientreffen in unserem aus Kyoto nach Hause geflogen kamen, wo sie seit zwei Jahren lebten. In den darauffolgenden Tagen kämpften wir uns durch den Papierkram, der wichtig für sie ist, sollte das Schlimmste eintreten: mein Testament, ihre Vollmachten, meine Bankkonten, die Steuer, meine Pension. Es gab mir das Gefühl, die letzten Dinge zu regeln, und ihnen half es, glaube ich, weil sie sich da mich für Sterbemittel interessierte, und fügte scherzhaft hinzu, ich wünschte sie mir zu Weihnachten. Mein Marilyn-Monroe-Geschenkpaket nannte ich sie.

»Was gut genug für sie war, ist auch gut genug für zu wissen, dass es da ist, vermittelt mir ein Gefühl der Kontrolle.«

Ich denke, sie hatten dafür Verständnis. Zumindest widersprachen sie mir nicht.

Mein Abschiedsbrief war wie eine Entschuldigung geschrieben. Es tut mir leid, steht da. Bitte verzeiht mir, aber sollte ich aus der Narkose erwachen und schwer behindert sein, nicht mehr gehen können und vollständig von der Fürsorge anderer abhängen, ziehe ich es vor, mein Leben zu beenden.ich ihnen schon hundert Mal persönlich gesagt hatte: wie sehr ich sie alle liebte, wie viel Freude sie mir gebracht hatten. Danke, schrieb ich. Sprecht mit mir, wenn ich nicht mehr da bin, ich höre euch. Ich war mir nicht sicher, ob das stimmte, doch näher sollte ich einem irgendwie gearteten metaphysischen Glauben nie kommen. Außerdem ergab das zu dieser Zeit tatsächlich einen gewissen Sinn, denn ich schrieb an die Lebenden – vom Standpunkt der Toten aus.

Ich brachte die Operation gut hinter mich, nicht völlig unbeschadet, aber auch nicht allzu versehrt. Der Tumor in meinem Gehirn wurde erfolgreich entfernt. Mein rechter Fuß wird zwar nie wieder ganz der alte sein, sodass ich humpeln muss, alles andere auf der rechten Seite kann ich jedoch normal bewegen. Und ich bin immer noch da, auch mehr als ein Jahr nach dem Eingriff. Nichtsdestotrotz bleibt meine Lage ernst. Melanome kann man nicht heilen. Derzeit werden ein paar Medikamente getestet, allerdings mit unterschied­lichen Ergebnissen. Ich habe selbst an drei solchen Tests teilgenommen, kann aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob eines der Medikamente den Verlauf der Krankheit verlangsamt hat. Mit Sicherheit kann ich s Onkologen schließlich die Behandlungsoptionen ausgegangen sind. Da wurde mir klar, dass ich mich meinem Ende näherte. Ich wusste nicht, wann oder wie genau ich sterben würde, lange nach meinen sechzigsten Geburtstag würde ich es jedoch nicht schaffen.

Da sich meine Gesundheit stetig verschlechterte, rückte das Thema Selbsttötung für mich immer mehr in den Mittelpunkt. Ich war sogar schon so weit gegangen – ein Novum für mich –, das Gesetz zu brechen und Strafverfolgung zu riskieren, als ich mir das nötige Mittel dafür beschafft hatte. Es ruft nach mir, Tag und Nacht, wie ein heimlicher Liebhaber. Ich bringe dich von all dem fort, flüstert es. Das Pulver wirkt direkt auf das Schlafzentrum des Gehirns ein und braucht dafür nicht einmal die Zeit, in der man einen Satz vollendet. Was also könnte einfacher sein, als eine tödliche Dosis zu schlucken und nie wieder aufzuwachen? Das wäre doch sicherlich die bessere Alternative, als einen langsamen und grausamen Tod zu sterben!

Und doch zögere ich, denn was auf den ersten Blick eine saubere Lösung zu sein scheint, ist alles andere als das. Da wäre zunächst einmal die Durchführbarkeit einer solchen Handlung. Die Gesetzeslage in Australien schreibt vor, dass ich das Mittel allein einnehmen müsste, damit ausgeschlossen ist, dass irgendjemand anders an meinem Tod beteiligt war. Die Selbsttötung tötung aber ist illegal und wird mit einer längeren Haftstrafe geahndet. Zum anderen kann ich auch die emotionalen Auswirkungen, die meine Tat auf andere hätte, nicht außer Acht lassen, führte ich sie nun in einem Hotelzimmer oder auf einem einsamen Pfad im Busch aus. Ich frage mich, ob ich das Recht habe, eine zu finden. Am wichtigsten aber sind für mich die Auswirkungen, die mein Freitod auf Shin und die Jungs haben würde: So sehr ich auch versucht habe, sie auf die Möglichkeit vorzubereiten, so sehr würde sie das tatsächliche Ereignis im Mark erschüttern. Es macht mir beispielsweise zu schaffen, dass auf meinem Totenschein Suizid als Todesursache stünde, mit allem, was der Begriff heutzutage impliziert: Angststörungen, Hoffnungslosigkeit, Schwäche, der Geruch von Kriminalität – alles meilenweit von etwa der japanischen entfernt. Der Umstand, dass die eigentliche Todesursache Krebs war, würde unter den Tisch fallen, ebenso wie die Tatsache, dass ich in keinster Weise verrückt bin.

Angesichts all dieser Hindernisse betrachte ich meine düstere Zukunft mit dem ganzen Mut, den ich li meiner Familie und meinen Freunden alle Unterstützung, die ich mir nur wünschen kann, bieten. Sollte ich ein Ende setzen zu wollen, stünde mir diese Unterstützung legalerweise nicht mehr zur Verfügung. Ich wäre absolut auf mich allein gestellt. Im Gegensatz zu Ländern wie Belgien und den Niederlanden verbieten unsere Gesetze weiterhin jede Form von Sterbehilfe für Menschen in meiner Situation. Warum eigentlich? Ich frage mich zum Beispiel, ob diese Gesetze nicht eine tiefe Aversion vieler Ärzte gegen die Vorstellung wider­spiegeln, die Kontrolle über den Sterbeprozess in die Hände des Patienten zu legen. Ich frage mich, ob diese Aversion vielleicht in dem allgemeineren Glauben der Ärzte wurzelt, der Tod sei eine Art Versagen. Und ich frage mich, ob dieser Glaube nicht weiter in die Welt...

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