Fortuna - Aus dem Magazin des Glücks

Fortuna - Aus dem Magazin des Glücks

von: Franz Schuh

Paul Zsolnay Verlag, 2017

ISBN: 9783552058491

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 1295 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Fortuna - Aus dem Magazin des Glücks



Virtuosität


Wenn es einen Wunsch gibt, der innerhalb der Gegenwartskultur die Grenzen des Verstehbaren sprengt, dann wäre es der, nicht kreativ sein zu wollen.

Andreas Reckwitz

 

1.

 

Virtuosität ist der beste Deckmantel der Impotenz. Aber warum sollte man die Impotenz verbergen, warum sich schämen für etwas, das nicht geht? Warum sollte man nicht, was man nicht kann, zugleich auch nicht können wollen? Gewiss, Impotenz ist nicht freiwillig, aber man kann ja einwilligen, und dann ist es freiwillig genug. Das Lob der Impotenz legt einen Schwindel nahe: »Die Impotenz«, hat Karl Kraus Kraus in »Pro domo et mundo« gesagt, »möchte durch ihre Bitte um Bescheidenheit die Leistung verhindern.«

Es gibt in der Literaturgeschichte kaum einen Menschen, der dermaßen exklusiv, dermaßen einzig und allein aus seiner Potenz heraus arbeitete wie Karl Kraus. Und weil der Satiriker Kraus so viel Kraft hatte, war seine Virtuosität, die für seine Feinde tödlich sein konnte, ein Stück vom Leben und kein öder Ersatz dafür. Kraus steht hier stellvertretend für alle Ausnahmen, die nicht am Abtötenden aller Virtuosität litten.

Seine Kraft, vor allem aber das Bewusstsein seiner Kraft hat Karl Kraus paradoxerweise auch die Fähigkeit zur Einsicht gebracht, unter welchen Bedingungen es mit dieser Kraft aus ist, unter welchen Bedingungen sie nichts mehr vermag. »Die Dritte Walpurgisnacht« hat Karl Kraus im Bewusstsein der Ohnmacht verfasst: Allein das Dasein Hitlers (nicht der Person, sondern der Konstellation, durch die ein Hitler als »Führer« möglich wurde) hat das Verhältnis von geistiger Kraft und sozialer Wirklichkeit radikal verändert. Das Denken arbeitet mehr oder minder deutlich ausgesprochen mit der Utopie, dass die Realität, wenn man sie vernünftig ansieht, sich auch von ihrer vernünftigen Seite zeigt. Für die Wirklichkeit »Hitler« gibt es keinen geistigen Maßstab, der Nationalsozialismus hat jeden vernünftigen Maßstab im Marsch, im Gleichschritt der Fanatiker unterwandert.

Daraus erklärt sich der Sinn des Satzes von Karl Kraus: »Mir fällt zu Hitler nichts ein.« Und es ist nicht einfach eine Metapher, wenn Kraus schreibt: »Ich fühle mich wie vor den Kopf geschlagen.« Hitler ist in seiner Gegenwart, also angesichts der seinerzeit noch ungewissen Zukunft (anders als historisches Phänomen, von dem man weiß, wie es »ausgegangen« ist), pure Macht, reine Vernichtung. Der Text von Karl Kraus, der den Titel »Die Dritte Walpurgisnacht« trägt, ist einerseits ein Rechenschaftsbericht über das grundsätzliche Versagen einer geistigen Intervention, und andererseits resultiert der (erst nach dem Tod des Autors veröffentlichte) Text aus einem Akt der Selbsterhaltung: Nach einem solchen Leben, wie er es geführt hat, kann sich Kraus den Verstand nicht rauben lassen.

Jedoch mit der Souveränität ist es zu Ende. Ihre letzten Reste werden in die Begründung ihrer Unmöglichkeit investiert. Für diese Begründung geht die Souveränität nicht verloren, sondern sie ist ex negativo wieder in Kraft. »Gleichwohl«, schreibt Kraus, der alten Souveränität eingedenk, »wäre der Wille, sich einem Übel zu stellen, dessen Wesen Verhinderung ist, nicht aufhaltbar, wenn dieses Wesen nicht, als eine dem Denken unnahbare Gewalt, auch die innere Verhinderung mit sich brächte, eine gedankliche Lähmung, die sich atmosphärisch auf den Fernststehenden überträgt, nichts gewährend als eben noch ein Bewußtsein des Inkommensurablen, das jede Regung geistigen Widerstands, jeden Versuch, sich zusammenzuraffen, matt setzt.«

Matt gesetzt. Es ist wie ein Papst, der zurücktritt. Und der dennoch am Leben bleibt. Karl Kraus hat sich selbst zu einem Menschen gemacht, der als Person eine Institution ist und als Institution eine Person. Auch für einen Papst trifft die Untrennbarkeit von Institution und Person zu. Als Karl Kraus aufhörte, als er schwieg, hatte es seinen Grund darin, dass »das Wort« entschlief, als Hitlers Welt erwachte. In jener Welt Hitlers ist »das Wort« tot, es hat seine Souveränität gegenüber der sozialen Wirklichkeit eingebüßt, und gerade das muss man als polemischer Sprachkünstler sagen, der von Berufung wegen aus der Differenz zwischen dem an Unschuld noch erinnernden Wort und der verrotteten Welt lebt. Und dennoch erwarten viele Leser, seine Anhänger, ein Wort von Kraus, ein Lebenszeichen von ihm: Zu Hitler, bitte, wenigstens einen Einfall.

Ein Papst hat sich nicht selbst zu der Institution gemacht, die mit seiner Person identisch ist, die seinen dafür extra von ihm ausgesuchten Namen trägt. Ein Papst nimmt die Wahl demütig an, und der von ihm ausgesuchte Name bezeugt, dass er in der Tradition von Vorgängern steht. Selbst ein Virtuose wie Kraus erkennt eine Tradition an, er unterstützt sie, sein persönliches Ziel ist jedoch die Einmaligkeit: Sie stellt er mit aller Kraft unter Beweis. In beiden Fällen aber, ob künstlerisch oder päpstlich, ist das Abdanken wenn nicht eine Katastrophe, so doch eine ganz und gar überraschende Zäsur.

Der Papst, der kein Papst mehr ist, bleibt auch. Im übertragenen Sinn wohnt er im Vatikan im Nebenzimmer. Wie nennt man den Übriggebliebenen, was wird sein Haus sein, welche Kleidung wird er tragen? Die Zäsur besteht darin, dass ein abgedankter Papst sich zu einem Menschen gemacht hat, der – gleichgültig, welche finsteren Hintergründe die Entscheidung haben mag – doch aus Eigenem die Unzertrennlichkeit von Institution und Person auftrennt. Man kann für ihn hoffen, dass das Gewissen, auf das er sich beruft, auch zu ihm hält. Es ist typisch für unsere rhetorisch weichen Zeiten, dass der zurücktretende Papst auch Zuspruch erfährt: So ein Rücktritt ist in der Tat ein Gewinn an Menschlichkeit, und zwar in dem Maße, in dem die Einheit von Institution und Person auch etwas Unmenschliches hat. Man sah es am Vorgängerpapst, den ein ungnädiges Schicksal und die Kammerdiener zum Segnen noch ans Fenster schoben, als der Mensch bereits todkrank war.

Politisch ist der Rücktritt eines Papstes keine Katastrophe. Aber metaphysisch ist er ein Jahrhundertereignis, auch weil er in Jahrhunderten nur einmal vorgekommen war, und der – 1294 – in dieser Hinsicht Vorangegangene wurde von seinem Nachfolger gleich eingesperrt. »Einkasteln« nannte Benedikt XVI. den Vorgang. Er selbst hatte den Punkt erreicht, um den es mir geht und dessen Existenz in einer kreativen Gesellschaft bewusst und frei von Schande gehalten werden muss: Nichts geht mehr. »An guten Tagen«, hieß es in meiner Lieblingsillustrierten, »kann der Papst noch selbständig stehen. An schlechten braucht er zwei Männer, die ihn beim Gehen stützen. Die schlechten Tage, sie häufen sich.«

 

2.

 

Das sind Ausnahmen, und sie übersteigen das ästhetische Problem der Virtuosität in vielerlei Hinsicht. Gewöhnlich ist Virtuosität die perfekte Beherrschung einer Kunst, ohne dass man bei ihrer Ausübung den geringsten Grund mitliefert, warum man diese Kunst beherrschen sollte. Es ist ein Formalismus, der die Leere, die Impotenz, übertüncht, übertönt. Das Virtuose gefällt, denn es klingt gut und zieht einen in nichts hinein. Der Virtuose gefällt: Seine Haltung ist vorbildlich – wie im Violinkonzert die des Geigers, nach dem sich das Orchester richtet. In Form der Virtuosität braucht die Impotenz nicht mehr bescheiden zu sein. Virtuos kann sie sich endlich als die eigentliche Leistung ausgeben.

Dass sie sich so aufspielen kann, kommt vielleicht doch vom eingebürgerten Unwillen, zuzugeben, dass man »es« nicht kann. Viel öfter als »Ich kann es nicht« fällt sicher der Satz »Ich kann nicht mehr« – als ob man es je hätte können. Ein jeder wird sich selbst zum Bluff, weil er die Grenzen verdrängt, an die er stets stößt. Gibt es also mehr zu erreichen als die Eintracht mit seinen prinzipiellen Unfähigkeiten, mit den grundlegenden, einschneidenden Verkümmerungen, für die es keinen Ausweg gibt, weil man, da es mit allem ein Ende hat, doch letztlich in die Richtung geht, die von ihnen, von den eingeschärften Niederlagen und von den unausweichlichen Zusammenbrüchen geprägt ist?

Der Virtuose hat keinen Sinn für die Poesie des ewig Stillgelegten. Er erträgt die Ruhe nicht, er muss sich kunstvoll bemerkbar machen, immer jeden seiner Töne mit dem nächsten überbietend und unvergleichlich zum Schluss kommend. Er hasst den Tod, aber nur, weil der sich schlecht verwerten lässt. Das Aufsehen, das der Tod erregt, ist entweder entsetzlich oder auf quietistische Weise erhaben. Dieser Roman, sagt man über das Werk eines virtuosen Schriftstellers, ist ein hingeworfener Fächer, der mit einem Wurf aufgegangen ist, unverwechselbar. Aber dieser Roman ist grundlos wie ein seelenloses Gelächter, alles übrige Leben ist zum resonanzlosen Hohlkörper lahmgelegt, hektisch bewegt, triumphierend, perfekt in einem Atemzug, aber doch nur aus Furcht, vor einem zweiten Atemzug höbe sich die Brust nicht mehr.

Es ist die Impotenz, das gefürchtete Erlebnis des Leblosen, das sich in der virtuosen Geschicklichkeit mitteilt. Der Virtuose zeigt, dass er nicht impotent ist, und er zeigt es raffiniert vor einem Publikum, das es sich zugute hält, nur dem Besten zuzusehen. Es ist ein erhebendes Können, dessen das Publikum zusehends teilhaftig wird. Der Virtuose verschont es vor Fehlern. Er ist fehlerlos, und damit auch sein Publikum. Virtuosen existieren nur in einem professionellen Milieu, unter Kunstkennern, unter Liebhabern der Raffinesse. Wahre Virtuosität ist nicht populär, aber weit und breit verbreitet genug, um diesen Mangel an Popularität als distinktives Merkmal bei Eingeweihten beliebt zu machen: In der gemeinsamen Verachtung des Unvermögens sind sich sogar die wirklichen und die vermeintlichen Könner...

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