Hausbesuch - Zu Besuch

Hausbesuch - Zu Besuch

von: Guy Helminger, , Nicolas Ehler

Frohmann Verlag, 2017

ISBN: 9783947047161

Sprache: Niederländisch

236 Seiten, Download: 252 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Hausbesuch - Zu Besuch



Guy Helminger
Zu Besuch


»Herr Helminger! Alles in Ordnung? Wollen Sie noch bleiben?«

Der Mann im Bett wachte auf, schaute ins Dunkle. Vor der Tür hörte er einen Staubsauger. Er tastete nach seinem Handy, fühlte den Sockel der Nachttischlampe.

»Ja«, kam es aus seinem Mund. Dann schlief er wieder ein.

 

Als der Mann erneut die Augen öffnete, war es noch immer dunkel. Er setzte sich auf, schaltete das Licht der Nachttischlampe ein. In seinem Kopf spürte er Räume, die er so nicht kannte, als hätten Teile seines Gehirns sich verschoben. Er war angezogen. Sogar die Schuhe hatte er noch an. Sein Mobiltelefon lag nicht auf dem Tischchen. Er torkelte langsam zu einer der Jalousien, zog sie hoch. Draußen war Nacht. Unten im Park standen Weinreben.

»Okanagan Riesling«, sagte der Mann gegen das runde Fenster. Die beiden Wörter klangen seltsam verwischt. In einem der neuen Räume tauchte weiterer Text auf: »Die Kreuzungseltern sind nicht bekannt. … Die Sortenbezeichnung ist irreführend. Es handelt sich um eine Hybride und nicht um die Sorte Riesling.«

Über dem Bett hingen zwei Kirchtürme im Sonnenuntergang. Licht: Freiburg. Er war in Freiburg. Projekt Hausbesuch. Goethe-Institut. Er war Schriftsteller, schaute auf seine Hände, als müsse er Tinte an den Fingern finden, Stellen, die seine Annahme bestätigten. Auch auf dem gelben Sofa lag kein Handy. Er schaute nach seiner Jacke. Das Gehen ließ ihn schaukeln. Er trat auf, als könnte der Boden nachgeben, versuchte den Fuß fester aufzusetzen. Es misslang. Die Jacke lag neben dem Fernseher. Die Brieftasche fehlte. Sein Herz schlug lauter. Er öffnete den Mund, atmete tief ein, ging ins Badezimmer. Sein Gesicht sah aus wie immer, nur über die rechte Wange zog sich ein geröteter Streifen bis hin zum Auge, als habe der Kissenrand versucht, in ihn einzudringen. Im Spiegel tauchte jemand auf, der ihn ins Bett legte. Dann war das Bild verschwunden. Der Mann zog den Hebel am Wasserhahn nach oben. Das Fließgeräusch tat gut.

 

»Das ist Herr Sheikho«, stellte die Leiterin des Freiburger Goethe-Institutes den Mann aus Syrien vor. Die gedrehten Locken fielen ihr auf die Schultern, als gäbe es dort Weinflaschen zu öffnen. Weiter hinten spielten Männer Volleyball über eine gespannte Wäscheleine. Der Ort hatte etwas Trostloses. Herr Sheikho bat seine Gäste ins Heim. In der Küche waren mehrere Tische aneinandergereiht worden. Darauf standen Speisen aus den Herkunftsländern der Männer, die sich hinsetzten.

»Alle übers Meer geflohen«, sagte der Dolmetscher. »Sie haben für Sie gekocht. Da war keine Frau am Herd.« Er wiederholte den Satz auf Arabisch. Die Männer lachten. Der Schriftsteller aß viel. Das Essen erinnerte ihn an die Speisen in einem libanesischen Restaurant in Köln. Manches an den Gerichten sei ähnlich, bestätigte der Dolmetscher, aber das hier sei aus ihrer Heimat.

Einige erzählten von ihren Berufen. Ein Zahnarzt war dabei, Studenten, Herr Sheikho war Dramatiker und hatte in Damaskus Theaterkritiken geschrieben. Dann meldete sich ein Mann in weißem Unterhemd mit Goldkettchen um den Hals zu Wort, lehnte sich über den Tisch, stach mit der Hand in den Raum. Obwohl der Schriftsteller ihn nicht verstand, fühlte er, wie die Küche sich veränderte, die Worte von den Wänden zurücksprangen, aufgeraut zwischen den Speisen liegen blieben. Er wartete auf die Übersetzung. Sie war wirr.

Herr Sheikho sprach auf den Mann ein, freundlich, gelassen.

»Seine Familie ist noch in Syrien«, sagte der Dolmetscher.

»Die der anderen Anwesenden auch«, antwortete der Schriftsteller.

Der Mann im Unterhemd redete weiter.

Das Wort schien ihm ein Schleudergegenstand zu sein. Der Dolmetscher versuchte zu übersetzen.

Der Mann im Unterhemd redete weiter.

Die Leiterin des Goethe-Institutes sagte in seine Richtung: »Jetzt lassen Sie ihn doch mal übersetzen.«

Der Mann redete weiter.

Der Zahnarzt mischte sich ein. In der Küche zeigten sich Risse, nicht sichtbar an den Wänden, aber sie waren da. Herr Sheikho ergriff erneut das Wort und entließ es. Ruhig glitt es über den Tisch. Der Mann drehte sein Goldkettchen am Hals, schaute. Dann schwieg er.

Während alle aßen, wiederholte sich das Geschehen mehrmals, das ruhige Gespräch, das Aufbrausen, das ruhige Gespräch, als handele es sich um ein altes Ritual, ein Kreisen, ein Ablauf, die Dinge zu zeigen, das Eine im Anderen und umgekehrt, als sollte jede freundliche Vorstellung durchbrochen, das Vorurteil bestätigt werden, indem man es aufhebt. Weil beides zugleich ist. Und vieles andere auch ist. Und zugleich alles zu sein scheint und also nicht ist, was es vorgibt.

Der Zahnarzt sagte, Herr Sheikho sei für alle hier wie ein Vater. Das Licht in der Küche fiel gleichmäßig über die nickenden Köpfe. Ein Student erwähnte, er halte in ein paar Tagen einen Vortrag mit dem Titel: »Syrien – mehr als ein Bürgerkrieg«.

Dann meldete sich der Mann im Unterhemd erneut, wischte mit der Hand durch die Luft, als mache er Platz für seinen Wortschwall. An der Decke flackerte kurz die Leuchtstoffröhre. Der Schriftsteller sah Schatten an der Wand, weil die Männer sich zurücklehnten. Die Küchentür stand weit offen für das, was von draußen über den Flur kam. Der Dolmetscher übersetzte.

»Ich verstehe nicht«, sagte der Schriftsteller.

»Ich auch nicht«, erwiderte der Dolmetscher.

Der Mann im Unterhemd war aufgestanden, redete auf den Schriftsteller ein, machte eine Handbewegung, als trinke er.

»Er ist verzweifelt, deshalb trinkt er«, übersetzte der Dolmetscher.

Neben dem Hotel stehen Weinreben mit Erklärungstafeln, dachte der Schriftsteller, die werde ich mir morgen anschauen.

Herr Sheikho hob die Tafel auf, bat alle ins Gebäude gegenüber. Dort könne man sich ruhiger unterhalten.

Als sie die Küche verließen, kamen andere Männer in den Raum. Der Tisch war nach wie vor reich gedeckt.

Draußen kehrte ein diffuses Laternenlicht die Bordsteinkanten der kleinen Grünflächen. Die Tür zum Nachbargebäude war abgeschlossen. Der Mann im Unterhemd trug eine Schüssel mit Apfelstücken und rüttelte am Griff, bis das Wachpersonal in Form eines kleinen, runden Mannes in blauem Pullover mit Security-Logo auftauchte. Es sei nach 20 Uhr, da könne man dieses Gebäude nicht mehr betreten, sagte er. Das sei um diese Uhrzeit dem Wachpersonal vorbehalten. Die Leiterin des Goethe-Institutes schüttelte die rötlichen Korkenzieher auf ihrem Kopf.

»Ab 20 Uhr nur für Wachpersonal!«, wiederholte der runde Mann, zog den blauen Pullover über den Bauch, als wolle er die Security-Aufschrift vergrößern. Der Mann im Unterhemd drängte ihn, ein Stück Apfel zu nehmen.

Der runde Mann lehnte ab.

Gehen die Tätigkeiten Essen und Bewachen zusammen oder widersprechen sie sich?, fragte sich der Schriftsteller.

Der Mann im Unterhemd drückte dem Wachmann die Schüssel gegen den Bauch, forderte ihn auf zuzugreifen.

Die Luft wurde spürbar.

»Nein!«, sagte der Wachmann. In seinem üppigen Gesicht verhärteten sich die Muskeln, als stapele er dort das Wort mehrmals übereinander. Jeder konnte es lesen.

Der Mann im Unterhemd hielt dem Wachmann erneut die Schüssel unter die Nase.

Das spärliche Licht glitt hinter die Hecken.

»Reden Sie morgen mit Ihrem Vorgesetzten«, sagte der Schriftsteller, »dann werden Sie sehen, was abgemacht war.« Als er sich umdrehte, um zurück in die Küche zu gehen, gab der runde Mann nach.

»Für eine Stunde«, sagte er.

Der Raum, in dem sie saßen, war so schmucklos wie die Küche. Aber es war ein anderer Raum. So schien es. Herr Sheikho fragte, ob der Schriftsteller in seinen Erzählungen über Syrien schriebe? Über den Krieg? Dem Schriftsteller fiel auf, dass auch in diesem Raum keine Pflanze stand.

»Nein«, sagte er, dazu müsste er sich mit Menschen aus dem Kriegsgebiet unterhalten. Nicht nur einen Abend, sondern über längere Zeit.

Der Mann im Unterhemd sprang auf, trennte sich mit der Handkante von den anderen, ehe seine Sprache in die Runde splitterte. Noch bevor der Dolmetscher übersetzen konnte, fragte der Schriftsteller den Mann laut, warum er so aggressiv sei?

»Ja, ich bin aggressiv!«, erwiderte der Mann im Unterhemd.

Der Zahnarzt nahm ihn freundlich in den Arm und geleitete ihn aus dem Raum.

»Er trinkt«, sagte der junge Mann, der bald einen Vortrag halten würde.

Das Licht atmete durch, wuchs wie eine bescheidene Lunge, entließ helle Partikel in die Gesichter. Aber das war nur so ein Gefühl, das der Schriftsteller hatte. Er griff nach dem Wasserglas, in dem eine Zitronenscheibe schwamm.

 

Es roch merkwürdig frisch im Badezimmer. Er fühlte etwas Kaltes in seinen Händen. Kleine Tropfen spritzten ihm aus dem Becken gegen die Finger. Der Wasserstrahl strudelte gegen den Uhrzeigersinn um den Ausguss, ehe er sich ins Rohr stürzte. Dort in der Dunkelheit lagen Dinge, die dem Mann helfen würden. Er spürte seine Augen mitkreisen. Erst drehten sich kleine Lichtreflexe, dann das Becken, schließlich das Badezimmer. Er schlug auf den Wasserhahn. Das Fließgeräusch setzte aus. Die Stille riss ihn aus seinem Schwindel. Im Spiegel tauchten Fahnen auf.

 

Er ließ sich hin- und herschieben. Freiburg-Fans mit...

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