Der entmündigte Gott - Warum der Islam nicht der Islam ist

Der entmündigte Gott - Warum der Islam nicht der Islam ist

von: Reinhard Stransfeld

Books on Demand, 2017

ISBN: 9783743126398

Sprache: Deutsch

372 Seiten, Download: 6717 KB

 
Format:  EPUB

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Der entmündigte Gott - Warum der Islam nicht der Islam ist



Einführung


Der „Heilige Qur'an” – ohne rituelle Waschung darf er nicht berührt und er darf auch nicht auf den Boden gelegt werden, so will es die islamische Kultur. Wer ihn ehrt, wird nie etwas darauf stellen, und er wird ihn küssen, wenn er ihn in die Hand nimmt. Schließlich soll man einen unlesbar gewordenen arabischen Koran in ein Tuch legen und beisetzen und diesen Ort nicht mehr betreten. Die weihevollen Gesten und Handhabungen dienen dem einem Zweck: das Wort Gottes zu würdigen. Und so soll der Koran stets mit beiden Händen getragen werden, um der hohen Wertschätzung Ausdruck zu verleihen. Eine verdiente Ehrung, ist doch der Koran zweifellos eines der bedeutendsten Werke menschlicher Kultur.

Der entseelte Koran


Wer einmal einer Urnenbeisetzung beigewohnt hat, kennt die Geste: Gemessen schreitet der Träger voran, die Urne mit beiden Händen umfassend, gefolgt von der Trauergemeinde, die dem Verblichenen auf dem Weg zur Stätte der letzten Ruhe Geleit gibt.

Die äußerliche Gleichheit der Gestik erinnert daran, dass vor mehr als tausend Jahren dem Koran sinnbildlich ein vergleichbares Geschick widerfahren war. Der Vorgang hatte allerdings nichts Feierliches an sich. Er vollzog sich vielmehr schleichend und hinter dem Rücken der Betroffenen, in gewisser Weise sogar der Beteiligten. Und so wirken die Würdigungen des Buches im Islam allzu oft wie ein hintergründiger Abgesang.

Angelehnt an das Buch, das gern Gleichnisse verwendet, lässt sich der Koran mit einem (Tür-)Schloss vergleichen. Mit dem richtigen Schlüssel öffnen sich nicht erahnte, faszinierende Gedankenräume mit kühnen Pfaden und schimmernden Höhen.

Wenn der Zugang fast überall im Islam misslingt, bieten sich verschiedene Gründe dar: Die einen können es nicht. Al-Ghazali kolportierte den Propheten Mohammed mit den Worten, dass die Mehrzahl der Paradiesbewohner Einfaltspinsel wären1, wohl eine sarkastische Anmerkung zu den illusionären Gewissheiten der Gläubigen auf Erden. Wie schwer mag es dann den meisten Muslimen werden, den Schlüssel zu unbequemen Wahrheiten des Koran zu entdecken und zu nutzen.

Andere, die könnten, sollen nicht. Und manche wiederum wollen wohl nicht durch die Pforte der Wahrheit zu treten. Denn blicken wir auf den existierenden Islam, finden wir ein Gebilde vor, in dem Hunderttausende von Mythen und Hadithen über dem spirituellen Leib des Koran aufgehäuft wurden, bis er schließlich unter dem Wust der Worte nicht mehr atmen konnte, gewissermaßen seine spirituelle Vitalität aushauchte. Das alles ist, so die These, nicht ohne Absicht geschehen. Und die Wirkungen sind immens. Bis heute ist den meisten Muslimen nicht bewusst, dass der dem Koran innewohnende Geist längt in den Tiefenschichten ihrer Kultur vergraben und sedimentiert ist – dass sie sinnbildlich bleiche, papierne Hüllen in ihren Vitrinen bewahren.

Und wie sollte sich daran etwas ändern, wenn mit der „Behauptung, dass nur einige wenige von Gott zu einer Auslegung des Textes inspiriert wurden oder werden, [...] den gewöhnlichen Sterblichen die Befugnis zur Interpretation (entzogen wird)”?2

Der Sachverhalt ist dramatisch, denn mehr noch als die Tora der Juden oder die Bibel der Christen steht der Koran im Zentrum der religiösen Identität des Islams, gilt doch,

„dass der Koran Sprache von Allah ist, die in ihrer genauen Bedeutung und Wortwahl über den Engel Gabriel offenbart wurde, durch viele unabhängige Überliefererketten übermittelt, unnachahmlich und einzigartig und geschützt durch Allah selbst gegen jedwede Verfälschung”.3

So wird die Ehrerbietung verstehbar, die dem Buch entgegengebracht wird. Es verkörpert im Sinne des Wortes die Religion. Umso mehr sollte man davon ausgehen können, dass sein Gehalt im Islam gewissenhaft angenommen und umgesetzt wird. Wäre es so, gäbe es dieses Buch nicht.

Was macht das Wesen einer Religion aus und woraus wächst ihr die Bedeutung zu, die sie für die Menschen gewinnen kann? Im Duden ist Religion definiert als

„die gläubig verehrende Anerkennung einer alles Sein bestimmenden göttlichen Macht und eine damit einhergehende Weltanschauung, in größeren Gemeinschaften gewöhnlich untermauert durch Satzung und Bekenntnis sowie die Lehre. Der Zugang zur Religion erfolgt nicht durch Erkenntnis, sondern im Wege individueller, intuitiv gewonnener Gewissheit.”

In kodifizierter Form werden Aussagen über die Elemente des eigentlichen Glaubens dargelegt, zu den Ritualen, die der Kommunikation mit dem höchsten Wesen dienen, sowie zu den Geboten und Verboten, die den Gläubigen auferlegt sind. Im Vordergrund stehen gewöhnlich die das Erscheinungsbild der Religion prägenden Handlungsmuster, aus dem lateinischen Wort Religio, „die gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften”4, hergeleitet.

Der Wesenskern einer Religion ist jedoch durch den Glauben bestimmt, ohne Glauben wäre Religion kaum mehr als ein Auslöser kollektiven Zwangsverhaltens. Hingegen ist Glauben auch ohne Religion möglich. So gilt Abraham im Koran als ein Hanif, ein Gläubiger, den Gott als seinen Freund bezeichnet. Erst im hohen Alter, nach der Errichtung der Kaba gemeinsam mit seinem Sohn Ismael, bittet er um die Riten. Darin lässt sich ein erster Schritt hin zu einer Religion mit dem ihr eigenen Regelwerk sehen.

Nunmehr zeigt sich die Janusköpfigkeit jeglicher Religion. In ihren Riten und Regeln ist sie dem Diesseits verhaftet. Die Bereitschaft, sich deren Zwängen zu fügen, wird durch ihre spirituelle Seite, die das Hier und Jetzt transzendiert, erzeugt: die Glaubensgewissheit, die sich dem rationalen Zugriff entzieht, da sie in der Vorstellung einer Ordnung jenseits der physikalischen, zugänglichen Welt wurzelt.

Was veranlasst Menschen zur Hinwendung zu Religionen? Ihren Ausgang nahm diese Haltung wohl im erwachenden Bewusstsein. Irgendwann vor etlichen Hunderttausenden, vielleicht sogar zwei oder drei Millionen Jahren überstieg mit wachsendem Gehirnvolumen dessen Vermögen, lediglich reflexhaft auf gegebene Verhältnisse zu reagieren. Ein gedankliches Vorauseilen wurde möglich, das mehr war als die hormongesteuerte Aktivität des Vogels beim Nestbau. Allmählich wurde das Erkennen des Ausgesetztseins gegenüber den Naturgewalten möglich sowie die bewusste Erfahrung der eigenen Ohnmacht. Dramatischer noch musste das Verstehen der eigenen Sterblichkeit gewesen sein, die unabwendbare Teilnahme an einem allgegenwärtigen Geschehen. Zuvor war es bei anderen Wesen hingenommen worden, ohne es auf die eigene Existenz zu beziehen.

Angesichts eigenen Unvermögens, das Schicksal zu wenden, drängte es, einen Mächtigen zu finden, der die Kräfte der Natur zugunsten des Menschen zu bändigen vermochte.

In den frühen Religionen wurde oft jedem der die Menschen bedrohenden Naturereignisse eine Gottheit zugewiesen. Jedem dieser Götter war also zu huldigen, um sie den Anliegen der Menschen geneigt zu machen. Zudem erwuchs in der Zuweisung menschlicher Gepflogenheiten die Vorstellung, dass die Götter einander freundlich oder feindlich begegnen. So konnte also die Huldigung des einen Gottes den Unmut eines anderen hervorrufen und der Mensch befand sich in der undankbaren Situation, mit der Zuneigung des einen womöglich den Zorn einer anderen Gottheit auf sich zu ziehen.

Somit war der Schritt zum Monotheismus folgerichtig: Der eine Gott trägt die gesamte Macht und Verantwortung für und in der Schöpfung – eine im doppelten Sinn elegante Verehrungsökonomik: Man spart Aufwand und Zeit für die Verehrung einer Vielzahl von Göttern und vermeidet Beziehungskonflikte zur Götterwelt.

Umso stärker war damit allerdings auch die Abhängigkeit von dem einen Gott und umso größer die Sorge, seine Zuneigung durch Fehlverhalten einzubüßen. So galt es, Gottes Bedingungen - die Rituale und Gebote - sorgsam einzuhalten, um nicht in Ungnade zu fallen.

Jedoch woher wussten die Menschen, wie sie sich zu verhalten hatten? Sie waren darin auf die Verkünder der Offenbarungen angewiesen, die als Propheten zu überzeugen wussten. All das konnte nur auf der Basis großartiger Verheißungen fruchtbar werden. Nur dann, wenn irdischer Nutzen und jenseitige Fortexistenz als Gewissheit vermittelt werden konnten, war das Konstrukt durchsetzbar. Somit war die Glaubwürdigkeit von Botschaft und Überbringer Schlüssel der Durchsetzung religiöser Normative. Es durfte kein Zweifel daran bleiben, dass, hatte der Mensch sich gewissenhaft bemüht, die Verheißungen wahr werden wird: dass Gott den, der stirbt, [...] auferwecken wird. [...] ein Versprechen, an das er, als Wahrheit, gebunden ist. (Sure 16, Vers 38 [16:38])

Waren die Verkünder aus dem Leben geschieden, oblag diese Aufgabe deren Epigonen und im Weiteren dem Klerus und den Gelehrten, die der Schriften kundig waren und die zuweilen sibyllinischen Mitteilungen zu interpretieren verstanden – oder diese als sibyllinisch deklarierten, um die Interpretationsmacht zu erlangen und zu bewahren.

Zahllose Abspaltungen im Christentum belegen die Reichweite der Interpretationsspielräume, die sich...

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