Meister der Dämmerung - Peter Handke. Eine Biographie

Meister der Dämmerung - Peter Handke. Eine Biographie

von: Malte Herwig

Deutsche Verlags-Anstalt, 2011

ISBN: 9783641052058

Sprache: Deutsch

416 Seiten, Download: 3454 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Meister der Dämmerung - Peter Handke. Eine Biographie



KAPITEL 3 RUHM Die neuen Erfahrungen (S. 80-81)

Die sechziger Jahre werden sein Jahrzehnt. Er ahnt es früh. Es gibt diesen immer wieder zitierten Satz aus einem Brief an die Mutter von 1963: »Du brauchst Dir über mich keine Sorgen machen, ich bin schon ziemlich zäh, und außerdem werde ich sicher weltberühmt.«1 Als der Einundzwanzigjährige das schreibt, ist der Durchbruch noch nicht abzusehen, der ihn in seinem annus mirabilis 1966 auf einen Schlag weltberühmt machen wird. Nichts als Größenwahn eines selbstbewußten Jungschriftstellers? Oder der Galgenhumor eines schreibenden Bettelstudenten? Ob er das wirklich ernst gemeint hat, fragen ihn noch Jahrzehnte später die Interviewer. Und er entgegnet, es sei eher eine »Hoffnungslosigkeitsmelodie« gewesen, er habe sich verloren gefühlt.

»Ich habe nie gedacht, daß ich je eine Chance hätte, nie. Ich habe mich mit den Hornissen einfach retten wollen. Im Studium habe ich die schwarze Wolke des Nichts vor mir gesehen. Ich habe immer Kafka bewundert, der es geschafft hat, sein Studium zu vollenden und in den Beruf zu gehen. Ich konnte das nicht. Dabei war ich ein guter Jurastudent, ich habe sehr viel auf eigene Faust gelernt, aber ich habe keine Antwort bekommen von den Professoren. Man braucht ja irgendwie eine Erotik.

Dann habe ich die Hornissen geschrieben. Man muß sich vorstellen, was das damals bedeutete, aus dem Winkel, aus dem ich kam, ein Buch bei Suhrkamp zu machen.«3 Das ist keine Koketterie. Handke hat damals auch unglaubliches Glück, einfach indem er den richtigen Menschen begegnet. Seine Texte (die immer zunächst einmal seine Texte sind) passen auf wundersame Weise in die Zeit des Umbruchs und der Experimente Ende der sechziger Jahre. Und obwohl er seine Menschenscheu nie ganz verlieren wird, findet er im Schriftstellersein eine Rolle, die es ihm ermöglicht, eine Balance zu finden zwischen Einsamkeit und Geselligkeit, Fanatismus und Gelassenheit, Kunst und Leben. Was mag Weltruhm einem Menschen bedeuten, der in seinen ersten vierundzwanzig Jahren eine nahezu permanente Revolution der eigenen Wahrnehmungen und Lebenserfahrungen erlebte?

Der Sprung von Griffen nach Frankfurt und zum Suhrkamp Verlag ist damals, 1966, größer als der anschließende von Suhrkamp auf die Weltbühne, und es scheint kein Zufall, daß Handke ausgerechnet Kaspar Hauser zum Helden eines seiner frühen Theaterstücke macht: das berühmte Findelkind, das in der Zivilisation ausgesetzt und einer unablässigen »Sprechfolterung« unterzogen wird. Die neuen Erfahrungen, die Handke in der Zivilisation macht, könnte auch ein Kaspar Hauser in sein Tagebuch eingetragen haben.

Das fängt schon mit dem Wechsel auf das Bundesgymnasium in Klagenfurt an: »Dieses neue Leben war ein richtiger Schock für mich. Bei einem Wandertag kamen wir an eine Bahnunterführung. Da wollte ich ganz einfach über die Gleise rennen. Ich wußte nicht, daß man durch eine Unterführung gehen kann. Die anderen haben mich furchtbar ausgelacht.« Mit siebzehn lernt er, wie man in eine Straßenbahn steigt, mit neunzehn telefoniert er zum ersten Mal aus einer Telefonzelle.4 Als er das erste Mal in einem Kauf haus eine Rolltreppe betritt, hat er Angst. Für den empfindsamen Dorfbub aus Griffen sind diese banalen Alltagssituationen im wahrsten Sinne des Wortes »Sensationen«, starke Gefühlseindrücke.

In dem Gedicht Die neuen Erfahrungen beschreibt Handke sie 1967 mit einer Intensität, die selbst dem vom Alltag Abgestumpftesten wieder die Augen öffnen kann: das erste Schamgefühl, die erste Todesangst. Und neben der eindringlichen Wiedergabe solcher Grundgefühle findet man auch die präzisen, durchdringenden Beobachtungen von Bewegungen und Gegenständen, die für sein ganzes späteres Werk so charakteristisch sein werden: Von der tropfenden Vase beim Leichenschmaus bis hin zur überschwappenden Kaffeetasse im Transeuropa-Express beginnen ihm die Dinge und Wörter zu tanzen ? it’s all Rock’n’ Roll.

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