Die Genussformel - Kulinarische Physik

Die Genussformel - Kulinarische Physik

von: Werner Gruber

ecoWing, 2017

ISBN: 9783711052186

Sprache: Deutsch

312 Seiten, Download: 15390 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Genussformel - Kulinarische Physik



Was hat Kochen mit der höheren Wissenschaft zu tun?


Hypothesen, Theorien und Experimente


Meist verbindet man mit der Wissenschaft, insbesondere mit der Physik und Chemie, exakte Begriffe und weltumspannende Erklärungen. Die Physik kann erklären, wie das Universum entstanden ist, warum der Himmel blau ist und warum man das Licht sowohl als Teilchen als auch als Welle betrachten kann. Alle Physikerinnen und Physiker rund um den Globus wissen, was Energie oder eine Kraft ist. In den Naturwissenschaften werden allgemein gesprochen sehr exakte Begriffe verwendet. Damit steht die Wissenschaft in einem krassen Widerspruch zur Kochkunst. Manchmal findet man Rezepte, die da lauten könnten: »Man nehme einen Teelöffel davon, rühre dies langsam unter jenes und stelle es bei geringer Hitze auf den Herd …«

Für mich als Physiker ergeben sich da ein paar Fragen. Sind alle Teelöffel weltweit gleich groß? Ist der Teelöffel gestrichen oder gehäuft, und gibt es einen Unterschied, ob ich einen Teelöffel Reis oder einen Teelöffel Mehl nehme?

Bitte schön, was heißt langsam? Eine Zigarettenlänge, die Dauer, wie lange ich benötige, um ein Achterl Wein zu trinken, oder gleich ein Krügerl Bier? (Hinweis für die Leserinnen und Leser aus Deutschland: Ein Achterl Wein entspricht einem Achtelliter Wein, und ein Krügerl Bier ist der umgangssprachliche Ausdruck für einen halben Liter Bier.) Früher wurden Zeitangaben beim Kochen auch mit dem Rezitieren von Gebeten angegeben: »Man rühre den Teig drei ›Vaterunser‹ lang …«

Und was heißt »bei geringer Hitze«? Für einen Tieftemperaturphysiker sind –190 °C eine satte hohe Temperatur, während für einen Nuklearphysiker die hohen Temperaturen erst bei ein paar Zigmillionen Grad anfangen.

Jetzt könnten Sie einwenden, dass doch jeder, der kocht, weiß, was so ungefähr damit gemeint ist. Aber da ersuche ich Sie doch, etwas Vorsicht walten zu lassen. So ungefähr kochen kann jeder, und essen kann man viel – auch wenn es nicht so perfekt schmeckt, wie man gerne möchte. Manchmal sind es die kleinen Details, die zwischen Vollkommenheit und Durchschnitt entscheiden. Sie, geneigte Leserin und werter Leser, haben sich mit dem Kauf des Buches für Perfektion in der Küche entschieden.

Nun aber zu den Antworten. Die Begriffe »langsam« und »bei niederer« Temperatur sollte man unbedingt meiden. Sie haben weder in der Wissenschaft noch in der Küche etwas zu suchen.

Die Frage nach der Größe des Teelöffels lässt sich schon leichter beantworten. Sie müssen nur in der Tabelle am Anfang oder am Ende des jeweiligen Kochbuches nachsehen, und schon finden Sie die Antwort. Dort sollte die genaue Gewichtsangabe für die jeweiligen Küchengrößen, zum Beispiel wie viel eine Messerspitze und wie groß der Unterschied zwischen einem Kaffee- und einem Teelöffel ist, stehen. Leider kann man keine allgemeine Aussage bezüglich des Gewichts treffen, dass man zum Beispiel festlegt, ein Kaffeelöffel entspricht fünf Gramm. Beim Mehl liegen die einzelnen Stärkekörner viel enger aneinander, während sich beim Grieß mehr Luft zwischen den einzelnen Körnern befindet. Es ist schon sinnvoll, einmal die richtigen Größen in der eigenen Küche zu definieren. Letzten Endes dient es ja nur Ihnen, um vollkommenere Speisen zu erhalten.

Wir Naturwissenschafter haben es einfach, denn wir verwenden SI-Einheiten. Das Internationale Einheitensystem, abgekürzt SI (von frz.: Système international d’unités), wurde 1960 eingeführt und ist heute das weltweit am weitesten verbreitete Einheitensystem für physikalische Größen. Es regelt alle wichtigen Größen und definiert sie: die Länge (ein Meter), die Masse (ein Kilogramm), die Zeit (Sekunde), die Stromstärke (Ampere), die Temperatur (Kelvin), die Stoffmenge (Mol) und die Lichtstärke (Candela). Aus diesen sieben Größen folgen alle anderen physikalischen Größen wie zum Beispiel die Spannung. Als Physiker sollte ich in diesem Buch, wenn ich nach SI vorgehen würde, eigentlich Kelvin und nicht Grad Celsius als Temperaturangabe verwenden, aber das möchte ich Ihnen ersparen.

Damit kann man auch gleich die Frage beantworten, wodurch sich ein gutes Kochbuch auszeichnet. Natürlich lässt sich diese Frage nur sehr subjektiv beantworten. Für alle, die gerne in Bilderbüchern blättern und sich einen Gusto holen wollen, ist das Geschriebene eher unwichtig. Möchten Sie aber selbst Hand anlegen, so sollten es nicht die Bilder sein, die für eine Kaufentscheidung wichtig sind. Elementar ist die Tabelle über die Gewichtsangaben von einer Messerspitze, einem Teelöffel und so weiter. In diesem Buch finden Sie die Tabelle im Kapitel »Wichtige Maßeinheiten beim Kochen«.

Ein zusätzliches Qualitätskriterium sind die Erklärungen im Kochbuch bei den Rezepten. Entscheidend ist auch, dass beschrieben wird, wo man manche Zutaten erhält. Es ist schön, wenn von den tollsten Gewürzen geschrieben wird, aber keiner weiß, wo man diese beziehen kann. Bestehen noch offene Fragen, und finden Sie dort ehrliche Kommentare? Es gibt nur ganz wenige Bücher mit Rezeptbeschreibungen, die wirklich vollständig sind. Meist wird etwas – sogar ohne böse Absicht – verschwiegen, weil dem Autor selbst nicht klar ist, was gemeint ist. Oftmals wird auch der kritische Teil eines Rezepts nicht ausführlich genug beschrieben. Das kann daran liegen, dass der Autor es selber nicht besser weiß, oder weil er gerne ein paar Geheimnisse für sich bewahren will.

Damit sind wir auch schon beim nächsten großen Unterschied zwischen der Wissenschaft und der Kochkunst. Wie werden Daten weitergegeben? Gerade die ältere Generation hat sehr ungern die Familienrezepte herausgerückt. Mit den Worten »Das ist geheim« oder »Das darf ich leider nicht verraten« wurden die besten der besten Rezepte wie ein Augapfel gehütet. In der Wissenschaft ist es genau umgekehrt. Jede Wissenschafterin beziehungsweise jeder Wissenschafter ist glücklich, wenn sie oder er etwas veröffentlichen kann. Dabei handelt es sich meist um eine neue Erkenntnis, und man hofft, dass besonders viele aus dem Kollegenkreis von der Erkenntnis erfahren und diese dann ebenfalls wieder weitergeben. Wer die meisten und natürlich auch die besseren Forschungsergebnisse hat, gilt als der Bessere unter seinesgleichen.

Leider verhält es sich bei Rezepten in der Küche etwas anders. Eigentlich ist es schade, denn wenn man stirbt, geht etwas Wunderbares für immer verloren. Es muss wieder neu entdeckt werden. Würde die Wissenschaft so arbeiten wie manche Damen und Herren in der Küche mit der Weitergabe von Rezepten, so wären wir immer noch mit einem Faustkeil in der Steinzeit. Darum möchte ich Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, anbieten, Ihre Rezepte für die Ewigkeit zu konservieren.

Dass das Verschwinden von Familienrezepten ein großes Problem darstellt, habe ich schmerzhaft feststellen müssen, als meine Großmutter mütterlicherseits gestorben ist. Sie hatte zwar alle Rezepte aufgeschrieben, allerdings in Maßeinheiten, die man nur sehr schwer nachvollziehen kann. So lautete ein Rezept: »Man nehme ein Maria-Taferl-Häferl Milch und gieße diese über zwei Frühstückshäferl gefüllt mit Mehl und …« Zum großen Glück hatten wir noch alle Häferl, und nachdem sich meine Mutter die Mühe gemacht hatte, alles auszumessen, konnten diese wunderbaren Rezepte bewahrt werden.

Aus dieser Erkenntnis wurde mir vor ein paar Jahren das schönste Geschenk zu Weihnachten zuteil. Meine Mutter schrieb nach jedem Mittagessen das genaue Rezept auf, nachdem sie gekocht hatte, und legte es in einen Ordner. Nach einem Jahr war die Mappe fast vollständig mit ein paar Hundert Rezepten gefüllt – ein ideales Weihnachtsgeschenk. Da meine Mutter zum Glück noch lebt, konnte ich diese Rezepte auch nachkochen und allfällige Fragen stellen. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, diese Antworten dann auch den Rezepten beizufügen.

Übrigens erkennt man an den Korrekturen in den Kochbüchern, wie gut und vor allem wie oft jemand wirklich kocht. Meist ist es ja so, dass man ein, zwei Rezepte hat, die man perfekt beherrscht und dafür auch bewundert wird. Aber die anderen Kochergebnisse sind eher durchschnittlich. Man nimmt ein Rezept aus einem Kochbuch, probiert es aus, und es wird nicht so gut wie erwartet. Dann stellt man sich Fragen, wie man denn das Rezept verbessern könnte: »Was wäre, wenn ich dieses oder jenes Gewürz hinzufügen oder weglassen würde, oder könnte ich nicht eine Variation in der Reihenfolge der Zubereitung durchführen?«

Damit kommt man zu Verbesserungsvorschlägen. Es hat sich aber nicht bewährt, über Verbesserungsvorschläge lauthals zu...

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