Ich fühle, was ich will - Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern

Ich fühle, was ich will - Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern

von: Julia Weber

Hogrefe AG, 2017

ISBN: 9783456755571

Sprache: Deutsch

168 Seiten, Download: 7726 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ich fühle, was ich will - Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern



Woher Gefühle kommen

Jeder Mensch hat in seinem Gehirn zwei Systeme, die uns zur Verfügung stehen, um im Leben Entscheidungen zu treffen und dementsprechend zu handeln. Diese beiden Systeme unterscheiden sich stark in ihren Arbeitsweisen, die auf hirnanatomisch verschiedenen Strukturen und Lagen beruhen (LeDoux, 2016). Die folgende Tabelle gibt Ihnen einen ersten Überblick über diese beiden Systeme und deren unterschiedliche Arbeits- und Funktionsweisen, die wissenschaftlich gut untersucht sind (Stanovich, West & Toplak, 2014). Tabelle 1

Tabelle 1

Das eine System ist der Verstand, der allen bekannt ist. Mit dem Verstand können wir Aufgaben planen, zeitliche Abläufe berechnen und Vor- und Nachteile eines Verhaltens abschätzen. Der Verstand erinnert uns an Anstehendes und warnt uns bei Unvernünftigem. Wenn der Verstand arbeitet, ist uns dieser Vorgang bewusst. Haben wir mit dem Verstand etwas begriffen, so sind wir in der Lage, darüber mittels Sprache Auskunft zu geben. Wir können sagen: Ich habe mich dafür oder dagegen entschieden, weil... Bis der Verstand jedoch die Bewertung einer Sache oder den Vorschlag für eine Entscheidung schickt, kann einige Zeit vergehen. Der Verstand arbeitet langsam. Im schnellsten Fall vergehen 900 Millisekunden, bis er etwas begriffen hat. Es können aber auch Stunden, Tage oder Wochen vergehen, bis ihm klar ist, wie sein durchdachter Vorschlag lautet. Die Informationsverarbeitung dieses Systems ist seriell, das bedeutet, dass der Verstand immer nur eine Sache nach der anderen be- und verarbeiten kann. Am ehesten wird Ihnen diese Verarbeitungsweise klar, wenn Sie versuchen, gleichzeitig zwei Gedanken zu denken. Das geht nicht. Der Verstand arbeitet nach dem Motto: Immer schön eins nach dem anderen! Mithilfe des Verstandes ist es uns Menschen möglich, Dinge zu tun, nach denen uns eigentlich nicht der Sinn steht, die aber trotzdem gemacht werden müssen. Der Verstand lässt uns Zahnarzttermine vereinbaren, hilft uns bei unserer Steuererklärung und lässt uns regelmäßig Geld auf die Seite legen, damit wir in ein paar Monaten das neueste Smartphone kaufen können. Seine Bewertung erfolgt nach den Kriterien: Was ist richtig und was ist falsch. Hierbei spielen soziale und gesellschaftliche Normen und auch Erziehung eine entscheidende Rolle.

Das andere System ist das Unbewusste. Dieses System erledigt seine Aufgaben im Verborgenen, sodass wir davon kaum etwas mitbekommen. Wie sein Name schon sagt, arbeitet es unbewusst. Der Ausdruck „das Unbewusste“ löst bei Menschen die unterschiedlichsten Assoziationen aus: geheimnisvoll, Sigmund Freud, unbeherrschbar, esoterisches Zeugs, unbekannte Kraft, innerer Schweinehund und vieles mehr. In der Geschichte der Psychologie hatte das Unbewusste lange einen schweren Stand, und oftmals geriet man schnell in die Esoterik-Ecke, wenn man sich auch nur getraute, das Wörtchen auszusprechen. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei! Die Arbeit mit dem eigenen Unbewussten ist mittlerweile salonfähig geworden, auch wenn wir damit gerade erst am Anfang stehen (Storch & Krause, 2014). Bedeutende Beiträge zu dieser veränderten Wahrnehmung und Neupositionierung des Unbewussten kommen aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen (Kahnemann, 2012; Deutsch, 2017; Baumeister & Bargh, 2014).

Das Unbewusste arbeitet extrem schnell. Es passiert etwas, und innerhalb von 200 Millisekunden ist eine Bewertung aus dem Unbewussten vorhanden. Diese Reaktionszeit konnte in Studien nachgewiesen werden (Ferguson & Porter, 2009; Wilson et al., 2000). Im Moment ihres Entstehens können Sie diese Bewertung allerdings noch nicht in Sprache fassen. Die Bewertungen des Unbewussten werden über die sogenannten somatischen Marker (Damasio, 2003) kommuniziert. Somatische Marker sind diffuse Gefühle und/oder Körperempfindungen. Diese werden beispielsweise als mulmiges Gefühl im Bauch, Freude im Herzen oder Kloß im Hals wahrgenommen und beschrieben. Mit diesen Signalen kommuniziert das Unbewusste seine Bewertung einer Situation, unsere Rolle dabei und den möglichen Ausgang der Situation. Diesen Kommentar generiert es aus sämtlichen Erfahrungen, die wir bereits in unserem Leben zu dem betreffenden Thema gesammelt haben. Es wird zwischen positiven und negativen somatischen Markern unterschieden. Tabelle 2 gibt Ihnen ein paar Beispiele für somatische Marker. Tabelle 2

Tabelle 2

Die Informationsverarbeitung dieses Systems ist parallel, das bedeutet, dass das Unbewusste in der Lage ist, mehrere Informationen auf einmal wahrzunehmen, zu verarbeiten und in seine Bewertung mit einzubeziehen. Wenn Sie beispielsweise einen Raum betreten, dann scannt dieses System die Umgebung auf verschiedenen Ebenen ab: Wie ist die Helligkeit und Temperatur des Raumes, wie ist die Einrichtung, welche Personen sind anwesend, und wie riecht es hier? Aber auch innere Zustände werden erfasst: Wie fühle ich mich, bin ich müde oder fit, hungrig, durstig, ausgeschlafen? Ist mir nach Reden zumute, oder will ich lieber meine Ruhe? Aufgrund der vielen gleichzeitig verarbeiteten Informationen erhalten Sie dann einen ersten Eindruck von der Situation, was sich im positiven Fall beispielsweise durch ein „Ach schön, hier fühle ich mich wohl“-Gefühl äußern kann, ohne dass Ihnen alle Gründe für dieses Gefühl bewusst sein müssen.

Das unbewusste System hat evolutionsbiologisch die eine große Aufgabe: uns möglichst sicher und wohlbehalten durchs Leben zu führen und dabei das momentane individuelle Wohlbefinden im Auge zu haben. Die unbewusste Bewertung erfolgt dementsprechend nach „mag ich“ und „mag ich nicht“ – was ist gut für mich und mein Wohlbefinden, und was ist schlecht für mich und mein Wohlbefinden. Diese Bewertungen können auch manches Mal den Bewertungen des Verstandes widersprechen.

Dank der bildgebenden Verfahren wie Hirnscan oder Magnetresonanztomographie ist es möglich, die beiden Systeme sichtbar zu machen und zu unterscheiden. Neurologisch betrachtet sitzt der Verstand im präfrontalen Cortex, direkt hinter unserer Stirn. „Der Cortex gilt als Entstehungsort von allem, was nach üblicher Meinung uns Menschen zu Menschen macht, nämlich Bewusstsein, Denken, Vorstellen, Erinnern, Handlungsplanung und Sprache“ (Roth & Ryba, 2016, S. 95). Ist Aktivität im Cortex zu verzeichnen, so sind diese Aktivitäten bewusstseinsfähig. Die Person kann dann Auskunft über ihre Gedanken, Gefühle und Ähnliches geben.

Neurologisch wird das Unbewusste in einem aus Sicht der Evolution sehr alten Hirnteil lokalisiert, den wir mit den Tieren gemeinsam haben. Es ist ein ausgedehntes Netzwerk von kleineren und größeren Hirngebieten, die mit Gefühlen zu tun haben. Diese Hirngebiete werden auch als limbisches System bezeichnet. Zu diesem System zählen unter anderem der Nucleus accumbens, die Amygdala, der Hippocampus und der Hypothalamus. Nach dem deutschen Hirnforscher Gerhard Roth ist das limbische System „(...) der Entstehungsort von Affekten, Gefühlen, Motiven, Handlungszielen, Gewissen, Empathie, Moral und Ethik, und damit diejenige Instanz, die weitgehend unsere Persönlichkeit bestimmt einschließlich unseres individuell-egoistischen und sozialen Handelns“ (Roth & Ryba, 2016, S. 129). Abbildung 1 auf Seite 17 gibt Ihnen einen Überblick, wo im Gehirn diese beiden Systeme angesiedelt sind. Abbildung 1

Abbildung 1 Ansicht des menschlichen Gehirns mit den wichtigsten bewussten und unbewussten Zentren (aus Roth & Ryba, 2016)

Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass der Verstand nur wenige direkte Verbindungen zum Unbewussten hat. Umgekehrt kontrolliert und beeinflusst das Unbewusste die bewussten Ebenen jedoch stark. Die Großhirnrinde als Sitz von Verstand und Intelligenz hat also nur geringen Einfluss auf das limbische System als Instanz für das Unbewusste, die Gefühlssteuerung, Risikobewertung und moralisch-ethische Kontrolle. Der umgekehrte Einfluss kann dagegen massiv sein. Dies erklärt, warum vernünftige Ratschläge und Einsichten allein häufig nicht in der Lage sind, Menschen nachhaltig zu beeinflussen, während unsere Gefühle, besonders auch in Form von Stress, Angst und Schmerz, starken Einfluss auf unser Denken und Handeln haben können.

Während Ihnen nun die beiden Systeme und deren Funktionsweise bekannt sind, schauen wir uns die Gefühle beziehungsweise die...

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