Habe nichts mehr außer mir - Storys

Habe nichts mehr außer mir - Storys

von: Andreas Schimmelbusch

dtv, 2017

ISBN: 9783423432795

Sprache: Deutsch

264 Seiten, Download: 739 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Habe nichts mehr außer mir - Storys



HEUTE NOCH ODER MORGEN SCHON


Sie geht einfach, verbringt den Vormittag noch am Wasserfall, kommt zurück, packt ihr Zeug, packt sein Zeug, packt alles zusammen, und verschwindet einfach, das muss man sich erst mal vorstellen.

Der Concierge hatte mich schon bei meiner Ankunft als Eindringling entlarvt, mir ein, relativ gesehen, schlechtes Zimmer zugeteilt, und zum Abendessen die Pylsur-Bude am Hafen ans Herz gelegt, wo ich mir erst zwei und dann noch mal zwei auf den Punkt gebrühte Würstchen mit allem – diversen Soßen, rohen Zwiebeln, geröstetem Speck – bestellte, ich ließ es mir schmecken, aber das konnte der Concierge natürlich nicht wissen, dass ich mich oft wochenlang nur von Junkfood ernährte, nicht weil mir das nötige Kleingeld zum Gourmettempel fehlte, es klingelte wie immer in der Kasse, sondern aus Langeweile, Hass und Aggression, aus Depression und Leerlauf, Trauer und Faulheit, wegen der ganzen Scheiße, meinem verschissenen Scheißleben, aber lecker war dieser Norsensenf, nicht ganz scharf, aber ganz süß auch wieder nicht, und dazu die gesichtslosen Hotdogs und das Viking aus dem Plastikbecher, der halbe Liter, die Festivalschorle, so wie man es am liebsten hat, aber das konnte er schließlich nicht wissen, der Concierge, dass er mir mein wunderschönes erstes Essen an dem wunderschönen ersten Abend meiner wunderschönen ersten Ferienwoche – womöglich schon seit Jahren – nicht etwa versaut, sondern überhaupt erst ermöglicht hatte. Oder doch?

Woher wissen Sie das so genau?, fragte ich ihn. Das ist schließlich mein Job, alles zu wissen, erwiderte er. Der Concierge wollte mir eigentlich keine Auskunft geben, und nichts verpflichtete ihn dazu, außer dass er hier eine Story witterte, die er wohl mit ein paar spitzfindigen Bemerkungen – wie ein allwissender Erzählguru – einleiten wollte, mich deswegen halbwegs brauchte, damit ich später auch bezeugen konnte, ja, mit dem Concierge ging es los, er war von Anfang an ganz nah an der Story dran, verlor als Erster ein Wort darüber. An Kate kommt man schwer vorbei, sagte er jetzt. Und schon war ich mittendrin.

Wieso das?, fragte ich. Sie ist, wie man so schön sagt, ein Blickfang, sagte er, etwas ganz Besonderes. Sagt man das?, fragte ich weiter.

Der Tourist in mir tat naiv, ich wusste ja schließlich, um wen es ging, kannte Kate flüchtig, hatte ein, zwei Worte mit ihr gewechselt, ein gekrächztes Hallo vielleicht, hatte mich ihr aber immerhin vorgestellt, wusste also, wieso man es bestimmt schwer hatte mit dieser entrückten Figur, trotzdem, der Concierge sollte ruhig weitererzählen, denn während er sich jetzt um Kopf und Kragen redete, schoss ich mich perspektivisch auf seine Praktikantin ein, die im Büro hinter der Rezeption Mikado spielte, jedoch viel lieber auf den Bahamas wäre. Das mit den Bahamas war nicht nur so dahingesagt, sie wollte tatsächlich dorthin, das hatte sie mir gestern erzählt, wir hatten uns mit ihrer Freundin, einer Biologiestudentin, in einer Bar getroffen, die dem verschwommenen Leadsänger einer britischen Band anteilweise gehörte, aber als sie mir dann sagte, ich will auswandern, dahin, wo’s warm ist, saßen wir schon bei mir im Hotel vor der Minibar, und machten uns an.

Bine, wie sie hieß, verdiente sich mit dem Sommerjob genügend Asche für ihr Flugticket nach Nassau. Sie war eine gute Mitarbeiterin, so stellte sie es mir jedenfalls dar. Das mit dem Mikado macht dem gar nichts, sagte sie. Anscheinend hatte der Concierge ihr am Anfang des Sommers aufgetragen, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu gucken, da kannst du etwas lernen, und das tat sie dann auch, schaute ihm zu, wie er an der Rezeption werkelte, sah ihn meist leider nur von hinten, er hat einen ziemlichen Flacharsch, sagte sie mir, während sie sich an dem Reißverschluss einer ihrer eher klobigen Lederstiefel zu schaffen machte. Sie hatte sich in letzter Zeit wohl erstaunlich wenig Gedanken über eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann wie mir gemacht.

Ich bin gerne unverantwortlich, sagte sie mir dann auch, als wir fertig waren, und ich bedankte mich artig für ihre Worte, die ich gerade – aus unerfindlichen Gründen – als Kompliment ansah.

Man könnte jetzt tangential abdriften, das Thema wechseln, sich mit einer Flasche Brennivín in das Dunkel der Hotelbar begeben, und sich darüber Gedanken machen, warum Bine so gerne unverantwortlich war, inwiefern das mit ihrem Exfreund, einem Arschloch von Fotografen, zusammenhing, aber da Bine hier eher als Nebenfigur auftrat, die erst viel später richtig ins Spiel einsteigen würde, riss ich mich jetzt wieder von ihr los, und lauschte erneut dem Concierge, der immer noch voll in Fahrt war.

Manchen steht das halt, sagte er gerade, manchen wiederum nicht, aber ihr, sagte er, kam mir dabei unangenehm nah – sein Atem stank nach getrocknetem Salzfisch –, er flüsterte ganz schwül, ihr steht das einfach. Was?, fragte ich. Die kurzen Haare. Aber Sie sagten doch vorhin, die wären lang, die Haare, l-lang und feuerrot. Kurz ist das neue L-lang, erwiderte der Concierge l-lapidar, da ging mir plötzlich ein L-licht auf. Sie hat sie sich geschnitten, sagte ich jetzt, daraufhin schnaubte der Concierge despektierlich, eben, heute Morgen, sagte ich noch, dann mischte sich Bine von hinten wieder ein, hatte Kate anscheinend den ein oder anderen Friseur empfohlen, und schon wieder befand ich mich auf dem Holzweg direkt hin zum Schauplatz einer unspektakulären Nebenhandlung, nämlich der Beziehung oder, besser, Nichtbeziehung zwischen Bine und Kate, deshalb brauchte ich schleunigst eine kurze zeitliche Synopsis, bedeutete das dem Concierge auch, keine Details, ich bitte Sie, nur den groben, äußeren Rahmen. Ich schmeichelte ihm.

Er räusperte sich genüsslich, ließ sich aber nicht lange bitten, meine Damen und Herren, vor einer Woche kommen die beiden hier an, sagte er, und heute Morgen reist sie einigermaßen überstürzt ab, nimmt alles mit, auch alles von ihm, hinterlässt das Zimmer in einem gnadenlosen Zustand, und ihm einen Zettel, auf dem eine Adresse steht. Und die wäre?, fragte ich sofort. Der Concierge schaute sich dämlich konspirativ in der gähnend leeren Lobby des Hotels um, rückte näher, wurde plötzlich ganz heiser, flüsterte wieder, das weiß nur ich, sagte er. Ich nickte. Sein Atem stank immer noch.

Ist das nicht gegen die Vorschriften?, fragte ich ihn, einfach so. Was? Dass Sie überhaupt mit mir reden. Der Concierge wischte sich den Sabber aus der Fresse. Wovon reden Sie?, wollte er wissen. Recht auf Privatsphäre, großes Einmaleins der Hotelbranche, Kodex des Rezeptionisten. Ich bin kein Rezeptionist, meinte der Concierge. Mein Fehler, gab ich scheinheilig zu. Bine kicherte. Der Concierge schmollte. Wollen Sie nun hören, wie es weitergeht, oder nicht?, ging er mich an, vollends angetan von sich selbst. Ich nickte wieder, war langsam außer mir. Bine und ich hatten gestern mehrmals, sozusagen zum Abschied, die Nacht zum Tag gemacht, er sollte gefälligst machen, ich wollte mich hinlegen, musste morgen ganz in der Früh nach Keflavík, in ein paar Stunden schon, den Flug verpasste man immer, aber jetzt machte er auf einmal, jetzt ging es endlich weiter. Ihr Typ, fing er an. Johnny?, fragte ich, aber wer denn sonst. Genau der, fuhr er fort, kommt eine halbe Stunde später hier rein, geht hoch ins Zimmer, ich denke natürlich, er weiß alles, aber er weiß anscheinend gar nichts, haben Sie meine Freundin gesehen?, fragt er mich, als er wieder herunterkommt, Kate, Fragezeichen.

Der Concierge hielt jetzt inne – fand den kleinen verbalen Schnörkel am Ende seiner Ausführung vielleicht besonders gut –, mir lief dabei der kalte Schweiß von der Stirn, Folgen von gestern. Und weiter?, wollte ich wissen, drängelte, bekam aber erst mal keine Antwort. Wie viel?, fragte er dann. Was, wie viel?, schoss ich zurück. Wie viel ist Ihnen das Ende wert?, fragte er. Ich stockte.

Schon beim Hinflug hatte ich nämlich mein Auge auf das sündhaft teure Parfum eines äußerst hochnäsigen Designers geworfen, Extreme hieß es, der Name gefiel mir, sollte endlich Programm werden, hatte jedoch beschlossen, erst auf dem Rückweg zuzuschlagen, man wusste ja nie, schließlich konnte immer etwas dazwischenkommen.

Eine Nacht im Hotel Búdir womöglich, dieser verwunschenen Bleibe irgendwo in den südlichen Lavafeldern. Einmal zu tief ins Glas geguckt. Ein feines Lammessen mit der Freundin einer Biologiestudentin mit anschließendem Liebestaumel – in Anführungsstrichen, nicht der Taumel, die Liebe natürlich. Oder jetzt halt dieser blöde Rezeptionist, der vor mir ganz ungeniert die Hand aufhielt. Ich fluchte, aber es half alles nichts, also schob ich ihm hundert amerikanische Dollar rüber, die er naserümpfend akzeptierte.

Und?, fragte ich, ich gab ihm den Zettel mit der Adresse, erwiderte er. Und dann?, das konnte doch nicht wahr sein, wie der sich bitten ließ. Er schaute sich noch mal um, und weiter?, schubste ich ihn an, und weg war er, sagte er, sonst gar nichts?, fragte ich weiter, der Concierge schüttelte den Kopf, aber das wollte ich natürlich nicht wahrhaben – dafür hatte ich doch nicht eine C-Note hingeblättert – und hatte es plötzlich sehr eilig.

Im Aufzug sah ich durch ein kleines, rundes Fenster die Stockwerke vorbeirauschen, Sekunden später dann zuerst die stämmigen Beine, danach die wenig entwaffnende Korpulenz und, oben angekommen, das leicht vorwurfsvolle Antlitz der Zimmerdame. Sie wartete schon, wusste, ich konnte nicht anders, wartete nur darauf. Ich hatte sie bereits vorhin darum gebeten, mal schnuppern zu dürfen, in dem Zimmer, wo...

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