Tierisch beste Freunde - Über Haustiere und ihre Menschen

Tierisch beste Freunde - Über Haustiere und ihre Menschen

von: Viktoria Krason, Christoph Willmitzer

Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2017

ISBN: 9783957575067

Sprache: Deutsch

144 Seiten, Download: 199 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Tierisch beste Freunde - Über Haustiere und ihre Menschen



Iris Därmann

Haustiere und Tierfreunde.


Über Nähe und Ferne von Menschen und Tieren


In der westlichen Welt behandeln Haustierhalter ihre Haustiere, Hunde und Katzen vor allem, wie ihre besten Freunde und engsten Familienangehörigen, auch wenn sie durchaus Schwierigkeiten damit haben, Tieren generell einen Personenstatus und quasi-menschliche Eigenschaften zuzuerkennen. Bei ihren eigenen Haustieren machen sie davon jedoch tagtäglich eine Ausnahme. Sie sind ihnen anhänglich zugetan, geben ihnen einen Eigennamen, sprechen und spielen mit ihnen, führen sie täglich mehrfach aus, bedenken sie mit Zärtlichkeiten und Geschenken und scheuen keine Mühen, um ihnen das Leben auf jede erdenkliche Weise angenehm zu gestalten: Mit besonderer Nahrung und Leckereien; im Winter werden die Kleinsten unter ihnen wegen ihrer zarten Konstitution gekleidet; sie werden zum Friseur gebracht, erhalten ärztliche Betreuung und werden bei Operationen anästhesiert, damit ihnen unnötige Schmerzen erspart bleiben. Bei Alleinstehenden treten sie an die Stelle eines Familienmitglieds und ersetzen so menschliche Gemeinschaft, mitunter konfliktfreier und zuverlässiger als es Menschen je tun würden, wie manche vom Leben und von ihren Mitmenschen enttäuschte Haustierbesitzer betonen. So nimmt es nicht wunder, dass man seine Haustiere rituell flankierte Lebensrhythmen wie Hochzeiten oder Bestattungen durchlaufen und Todesanzeigen für sie aufsetzen lässt und um ihren Verlust trauert wie um eine geliebte Person. Ihnen werden freilich auch eigene Gefühle und individuelle Eigenschaften zugemessen. Darüber hinaus betrachtet man sie als in hohem Maße bildwürdig. Tierporträtstudios finden sich inzwischen in allen Städten. Das Internet ist voll von Tierschnappschüssen, die die ganze Welt betrachten soll. Die Vornehmsten unter ihnen können auf eigene Stammbücher zurückschauen, werden in Ausstellungen und Wettbewerben prämiert. Unter keinen Umständen würde es den Haustierhaltern einfallen, ihre Lieblinge zu schlachten und zu essen, wie die aus der industriellen Massentierhaltung und -schlachtung stammenden Tiere. In diesem Kontext sind wir mit einem erstaunlichen affektiven Besetzungsabzug, einer radikal ungleichen Behandlung und der Reduktion der (ehemaligen Haus-, Nutz- und Acker-)Tiere auf tierisches Material zu Zwecken menschlicher Ernährung, ökonomischer und wissenschaftlicher Ausbeutung konfrontiert.1 Zootieren begegnen wir mit distanzierter Achtung oder Langeweile; Versuche an Menschenaffen – Schimpansen, Gorillas und Bonobos – sind verboten; alle Tierversuche an nicht menschlichen Primaten wie den Rhesusäffchen, die im Bereich der Infektionsund Hirnforschung etwa für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gegen Ebola unternommen werden, sind ohnehin genehmigungspflichtig. Im Unterschied zu tierverbrauchender Forschung mit Ratten oder Zebrafischen rufen sie »in einer Welt wachsender Zuneigung« zu Tieren, angesichts von Bildern von »Äffchen mit Zementklötzen auf dem Kopf« regelmäßig Wellen der Empörung hervor.2

Doch selbst die sentimental gestimmten Mensch-Haustier-Beziehungen sind nicht frei von Ambivalenzen: Hunde werden mit ihren sogenannten Herrchen in Hundeschulen erzogen und im Falle von Verhaltensauffälligkeiten therapiert. Moderne Haustiere werden nicht wie erwachsene Personen angesehen mit eigenen Rechten, Entscheidungsmöglichkeiten, zurechenbarer Verantwortung, sondern im Status ewiger Kindheit fixiert und wie Unmündige und Abhängige behandelt, denen man Befehle wie »Hierher«, »Sitz«, »Aus« und »Pfui« erteilt, die man an der Leine führen muss und in der Öffentlichkeit ungehindert ausschimpfen kann. Man kann sie kastrieren bzw. sterilisieren lassen und ihnen ihre Jungen (ihre Kinder?) wegnehmen. Sie haben kein Selbstbestimmungsrecht, schon gar nicht in sexueller Hinsicht, sondern werden gekauft und verkauft und müssen zum Zeichen ihres fehlenden Selbstbesitzes und zu Identifizierungszwecken eine Hundemarke tragen. Mensch-Tier-Beziehungen sind beileibe keine Privatangelegenheit. Es intervenieren städtische Verwaltungen und Unternehmen: Bei Zuzug oder Neuanschaffung sind Haustiere meldepflichtig, jährlich ist eine Hundesteuer an das zuständige Finanzamt zu entrichten. Ihre Besitzer schließen Tierkrankenversicherungen und Tierhalterversicherungen für sie ab. Allein in Deutschland »haben mehr als 20 Millionen Menschen einen Hund oder eine Katze. Berechnet man noch die vielen Hamster-, [Vogel-] und Kaninchenhalter, die Aquarianer und die Reiter mit ein« – dann »muss die Tierliebe […] ziemlich groß«3 sein, womöglich aber auch ziemlich einseitig. Denn wir wissen nicht genau, was eigentlich die tierlichen Familienmitglieder von der ihnen zugedachten Behandlung halten, auch wenn diejenigen, denen es gelingt, aus menschlicher Gefangenschaft zu fliehen, uns womöglich einen Fingerzeig darauf geben.

Aristoteles hat in der Nikomachischen Ethik eine auf Tugend gegründete Freundschaft (philia) unter Ungleichen und die zwischen Hausherrn und Haustieren zumal für unmöglich erklärt. Zwar könne es Fürsorge geben durch den, der »Pferd, Rind oder Sklave« benutze, nicht aber Freundschaft und Gerechtigkeit. »Denn da gibt es nichts Gemeinsames.«4 Wie konnten wir überhaupt zu Tierfreundinnen und Tierfreunden werden und unsere Zuneigung in unterschiedlichen Affektintensitäten auf Haustiere, Stofftiere, Nutztiere und andere Tiere verteilen? Geht die sentimentale Mensch-Tier-Beziehung mit einer Emotionalisierung der Tiere selbst einher und in welcher Weise muss sie mit der Reduktion bestimmter Tiere auf bloße Nutztiere und Massenschlachtvieh verknüpft werden? Was macht diese Freundschaft aus, die zugleich mit Befehls- und Verfügungsgewalt einhergeht? Auf welche kulturellen Genealogien, Skandierungen und kulturhistorischen Mensch-Tier-Beziehungen weist das eigentümliche Mischungsverhältnis von Herrschaft und Freundschaft zurück, das für die Beziehung zu unseren Haustieren charakteristisch ist?

I. Antike Freundschaftspolitiken

Der wohl berühmteste antike Hund ist Argos, der Jagdhund des Odysseus, der zwanzig Jahre im Palast von Ithaka auf seinen Herrn warten und ihn bei seiner Rückkehr als Einziger erkennen sollte. Von Ungeziefer zerfressen und auf einem Misthaufen liegend, ist er zu schwach, um sich zur Begrüßung zu erheben; seine Kräfte reichen nur noch, um als Zeichen seines Wiederkennens mit dem Schwanz zu wedeln und kurz darauf zu sterben.5

Wegen seiner ausgeprägten Fähigkeit zur Freund-Feind-Erkennung erfährt der Hund in Platons Politeia als Wächter des Oikos eine Auszeichnung:6 Für Platon ist der Hund kein neutrales politisches Tier, er fungiert vielmehr als nachahmenswertes Modell für die menschlichen Wächter der Polis, die ihrer Natur nach »gegen alle Befreundeten sanft sein und nur dem Feind hart«7 gegenüber aufzutreten haben. Auf der Schwelle des Hauses und an der Grenze der Polis entscheiden tierliche und menschliche Wachhunde über Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit. Diese Politik der Freundschaft und der Feindschaft muss nicht eigens angebahnt und gestiftet werden. Sie ist vielmehr bereits entschieden durch denjenigen, der sich der Polis in freundschaftlicher Gesinnung oder feindlicher Absicht, das heißt, in Gestalt des Verwandten oder Fremden, nähert, um von den Wächterhunden entsprechend aufgenommen oder abgewehrt zu werden.

Die Befähigung zur unmittelbaren Freundeserkennung allein und zu dem, was die Freundschaft als Hexis8 ermöglicht, erscheint Aristoteles hingegen für eine Politik der Freundschaft und »die Freundschaft in actu nicht ausreichend«:9 »Ohne Vertrauen gibt es keine beständige Freundschaft; das Vertrauen aber kommt nicht ohne Zeit zustande. Denn man muß erproben können, wie auch Theognis sagt: ›Denn erst dann ist klar, wes Sinnes Mann oder Weib ist, Wenn du sie ernstlich erprobst, wie einen Ochsen im Joch‹.«10 Columella erläutert im Sechsten Buch seiner agronomischen Abhandlung De re rustica die effektive Abrichtung der Ochsen, damit man sie unter das Joch spannen könne: Nachdem man ihn eng an einen Pfahl gebunden hat, zieht man dem Ochsen »die Zunge heraus und reibt das ganze Maul und den Gaumen mit Salz ein, steckt pfundschwere Klumpen stark gesalzenen Fetts in den Rachen und gießt durch einen Trichter einen Schoppen Wein in den Schlund nach. Denn durch diese sänftigenden Maßnahmen werden sie in etwa drei Tagen handzahm und nehmen am vierten das Joch an, mit dem an Stelle der Deichsel ein Ast verbunden wird; zuweilen befestigt man daran auch irgendein Gewicht, um an der vergrößerten Anstrengung die Arbeitswilligkeit des Tieres zu erproben.«11 In diesem Sinne unterstreicht Aristoteles, »daß ein Freund nicht etwas [ist], das man ohne Erprobung und in Tagesfrist bekommt«, sondern das »Zeit braucht. Und so ist der Scheffel ›Salz‹ sprichwörtlich...

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