Unterwegs in Nordkorea - Eine Gratwanderung

Unterwegs in Nordkorea - Eine Gratwanderung

von: Rüdiger Frank

Deutsche Verlags-Anstalt, 2018

ISBN: 9783641203900

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 13396 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Unterwegs in Nordkorea - Eine Gratwanderung



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Ausgerechnet Nordkorea: Risiken und die Gewissensfrage

Bei kaum einem anderen Land stellt sich heute die Frage nach dem Ob und dem Warum einer Reise so deutlich wie bei Nordkorea. Wieso ausgerechnet dieses Land? Kann man da überhaupt hinreisen? Unterstütze ich damit womöglich das Regime? Welche Konsequenzen kann eine solche Reise haben? Lassen die mich vielleicht nicht wieder raus?

Ich habe Hunderte Gespräche hierzu mit Menschen aus aller Welt geführt. Das Fazit: Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, die Entscheidung wird immer persönlich bleiben.

Warum nach Nordkorea?

Wer eine Reise antritt, hat dafür zumeist gute Gründe. Und wer für eine Woche um die 1500 Euro oder mehr ausgibt und zusätzlich noch eine mehrtägige An- und Abreise auf sich nimmt, der möchte einen Gegenwert sehen. Worin kann dieser in Nordkorea bestehen, einem diktatorisch regierten Staat mit Versorgungsengpässen, der politisch Andersdenkende verfolgt und ein Atomwaffenprogramm aufbaut? Das Land hätte durchaus einiges von dem zu bieten, was man von einem »normalen« Urlaubsziel erwarten würde: einsame Strände mit glasklarem Wasser, wilde Natur, alte buddhistische Tempel und Einsiedeleien, exotische Speisen und sogar Skigebiete. Doch die meisten westlichen Besucher reisen aus einem anderen Grund dorthin.

Sie wollen aus eigener Anschauung erleben, wie eine solche ganz und gar nicht unseren Werten entsprechende Gesellschaft funktioniert, sie wollen verstehen, wie sie so lange existieren konnte, wie die Menschen darin leben. Je nach Vertrauen in unsere Medien wollen sie bestehende Ansichten hinterfragen oder bestätigt sehen. Hinzu kommt der Nervenkitzel, den eine Reise in ein quasi verbotenes Land bietet. Attribute wie »verschlossen«, »isoliert«, »unbekannt« haben ihren Reiz. Ist ja auch ein gutes Gefühl, langweilige Berichte vom x-ten Toskana-Urlaub mit einem beiläufigen »Ach ja, ich war übrigens letzten Monat in Nordkorea« zu unterbrechen und sich umgehend der ungeteilten Aufmerksamkeit aller Anwesenden gewiss zu sein. Und wenn wir ehrlich sind, dann spielt auch eine gehörige Portion Voyeurismus eine Rolle: Manche Besucher wollen, salopp gesagt, die Freak-Show sehen.

Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zeitalter der alles gleichmachenden Globalisierung können Reisende in Nordkorea ein System erleben, das in mehrfacher Hinsicht von unserer Realität grundverschieden ist. Diktaturen gab und gibt es viele. Manch ein Führer lässt zu Lebzeiten Statuen von sich errichten, sogar in Gold, wie der turkmenische Staatschef. Andere treten ganz unverblümt öffentlich mit dem noch kindlichen designierten Nachfolger auf, etwa in Weißrussland. Doch selten ist es einem dieser Systeme und seinen Repräsentanten gelungen, eine Gesellschaft so vollständig und dauerhaft zu durchdringen, wie es in der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik, so die offizielle Bezeichnung Nordkoreas, der Fall ist. Nur noch wenige Jahre, und diesen Staat wird es länger gegeben haben als die Sowjetunion, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Was das Land in unseren Augen so besonders macht, ist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Ein nominell sozialistisches System ohne nennenswertes Privateigentum in der Wirtschaft ist längst nicht alles. Hinzu kommen viele andere Faktoren: eine ganz eigene, ultra-nationalistische Ideologie mit dem Namen chuch’e; ein oberster Führer, der in für uns ungewohnter Weise verehrt wird und in nunmehr dritter Generation an der Spitze steht; die fast vollständige Abschottung der Einwohner vom Weltgeschehen; Nachrichten über massive und andauernde Menschenrechtsverletzungen; und nicht zuletzt das Atom- und Raketenprogramm, das schwer mit einer am Boden liegenden Wirtschaft in Einklang zu bringen ist, und gegen den erheblichen Widerstand der USA und ihrer Verbündeten, und neuerdings sogar Chinas, Test für Test scheinbar unaufhaltsam vorangetrieben wird – mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheitslage in der Region.

Wie auch anderswo gehört zu den Nebeneffekten einer Nordkoreareise, dass man dabei viel über sich selbst und das eigene Land lernt. Man weiß hinterher manche für selbstverständlich gehaltenen und kaum noch wahrgenommenen Dinge wieder zu schätzen. Dazu gehören Annehmlichkeiten wie jederzeit verfügbares sauberes und auf Wunsch heißes Wasser aus der Leitung, eine unterbrechungsfreie Stromversorgung oder das überquellende Angebot unserer Supermärkte. Die Möglichkeit, sich in der eigenen Stadt, im eigenen Land und darüber hinaus frei zu bewegen. Zu fotografieren, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. In ein beliebiges Geschäft zu gehen, ohne dass einem der Zutritt verwehrt wird. Mit Wildfremden zu sprechen. Zugegeben, das dann wieder überall verfügbare Internet kann ein Fluch sein, aber letztlich hat man auch diese Errungenschaft unserer Zivilisation vermisst. Schnell mal etwas googeln, den Status bei Facebook aktualisieren, E-Mails checken oder eine WhatsApp verschicken – das geht in Nordkorea alles nicht oder ist stark eingeschränkt.

Westliche Besucher sind in Nordkorea in der Minderheit, etwa 6000 waren es bis zum von der US-Regierung im Sommer 2017 verhängten Reiseverbot pro Jahr. Die Chinesen machen mit derzeit etwa 130000 Personen jährlich den Löwenanteil an ausländischen Besuchern aus. Das sind konservative Schätzungen; es gibt auch deutlich höhere Angaben. Was zieht die Chinesen nach Nordkorea? Im bis vor kurzem noch bitterarmen China gilt eine Auslandsreise heute als Prestigesache. Wer sich keinen Flug nach Europa, in die USA oder wenigstens nach Südkorea leisten kann, bucht eben eine Tagestour nach Nordkorea – Ausland ist Ausland. Viele Chinesen der älteren Generation sind auch deshalb in Nordkorea unterwegs, um sich daran zu erinnern, wie das eigene Land früher einmal aussah. Neben nostalgischen Gefühlen wegen der verflossenen Jugend empfinden sie unisono Erleichterung darüber, dass diese Zeit vorbei ist – der Trip in die eigene Vergangenheit wird zur Selbstbestätigung. Viele Chinesen suchen in der noch nicht von Umweltverschmutzung und Verstädterung zerstörten Landschaft Nordkoreas auch einfach nur Erholung im klassischen Sinne.

Für westliche Touristen hingegen gleicht eine Reise nach Nordkorea häufig einem Besuch im Menschenzoo. Viele fahren dorthin, um zu beobachten, zu bewerten und sich in ihrer kritischen Haltung bestärkt zu sehen, was in der Regel auch umgehend geschieht. Aber warum lässt uns der als ebenso stolz wie verschlossen geltende Staat dann überhaupt hinein?

Man muss kein Hellseher sein, um finanzielle Motive zu erahnen. Und in der Tat: Da das Land keine konvertierbare Währung hat, sich auf den internationalen Finanzmärkten kein Geld borgen kann und auch in seinem Außenhandel durch ständig neue Sanktionen immer weiter eingeschränkt wird, erscheinen selbst die bescheidenen Summen, die durch den Tourismus eingenommen werden können, plötzlich als signifikant. Wenn die durchschnittliche Reise eines Westlers etwa 1500 Euro an Devisen ins Land bringt, dann sind das bei rund 6000 Touristen immerhin neun Millionen Euro im Jahr. Zählt man noch jeweils konservativ geschätzte 500 Euro pro chinesischem Besucher dazu, dann summieren sich die Einnahmen Nordkoreas aus dem Tourismus auf fast 75 Millionen Euro. Das ist nicht die Welt, aber doch eine sichtbare Summe in einem Land, in dem es zu derlei Geldsegen wenige Alternativen gibt.

Die Zahl der Touristen scheint zudem stetig zuzunehmen. Die ambitionierte Zielgröße der nordkoreanischen Regierung liegt bei einer Million Einreisen. Das klingt nach viel, aber: Allein zwischen August und November 2016 kamen laut Financial Times knapp vier Millionen chinesische Gäste nach Südkorea. Das lässt das Potential erahnen. Kein Wunder also, dass die USA ihre Sanktionen gegenüber Nordkorea jetzt auch sehr gezielt auf den Tourismus ausweiten.

Trotz des offensichtlichen finanziellen Anreizes ist es nicht leicht, die Bereitschaft Nordkoreas zum Empfang westlicher Gäste nachzuvollziehen. Angesichts endloser Schmähungen und Parodien, die aus den Besuchen von Privatpersonen und Journalisten resultieren, kommt schon fast der Verdacht des Masochismus auf.

Warum lassen die uns also herein? Auch wenn es für uns schwer zu verstehen ist, hier spielt tatsächlich der Stolz auf das Erreichte eine Rolle. Wenn dem Besucher erklärt wird, dass er sich nun im Paradies der Werktätigen und aufgrund der großartigen Führer auf heiligem Gebiet befinde, dann ist das tatsächlich oft ernst gemeint.

Ob man das nun naiv oder bedauernswert findet: Es kann sicher nicht schaden, sich beim Anhören der Erklärungen der Fremdenführer einmal für einen Moment vorzustellen, dass sie aufrichtig gemeint sind. Das ist nicht leicht; die meisten Nordkorea-Reisenden berichten von einer ständig präsenten Paranoia, von der Angst, permanent belogen zu werden. Unbegründet sind solche Gefühle keineswegs, vorsichtig ausgedrückt. Doch es geht bei der häufig allzu offenkundigen Täuschung nicht immer um böswillige Irreführung, sondern schlicht um Nationalstolz – so wie man Gästen lieber die gelungene Einbauküche vorführt und den Blick auf die schief geratene Kellerwand vorenthält.

Interessanterweise scheinen die Leute an der Basis, die Fremdenführer oder Guides, noch am ehesten zu begreifen, dass viele Besucher vor allem deshalb nach Nordkorea kommen, weil sie dem Land skeptisch gegenüberstehen. Einige meiner nordkoreanischen Kontakte haben mir gegenüber sogar eine...

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