Oxenberg & Bernstein - Roman

Oxenberg & Bernstein - Roman

von: Catalin Mihuleac

Paul Zsolnay Verlag, 2018

ISBN: 9783552058934

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 1173 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Oxenberg & Bernstein - Roman



 

 

1

 

Den Morgen, an dem der erste Buchstabe meines amerikanischen Schicksals niedergeschrieben wurde, habe ich klar vor Augen. Ich sehe ihn ganz deutlich.

Ich bin 33 Jahre alt, habe einen Wecker, der um sieben Uhr morgens klingelt, und ein Doppelbett. In dem schlafe ich allein. Das Bett ist die einzige Übertreibung in meinem mir recht eng um den Leib sitzenden Wohnraum.

Ich bereite mich auf die Arbeit vor. Bin Buchhalterin im Kaufhaus Moldova. Das Ritual dehnt die Augenblicke. Einmal an der Kaffeetasse geschlürft, zwei Schminkstriche. Die Brotscheiben, die Kashkaval-Scheibe und das Salatblatt verbrüdern sich im Mittagspausen-Sandwich. Das Telefon klingelt. Wie gestern, als ich 25 wurde. Wie morgen, wenn ich 39 werde. Um diese Uhrzeit ruft bloß Mutter an. Mich süß zu küssen. Was wir nur noch am Telefon tun.

Man sieht, dass heute nicht gestern ist. Heute ist heute, und am Telefon ist nicht Mutter. Sondern der Chef. Herr Finkelstein ruft nicht an, um zu küssen. Er ist Jude und küsst nicht unentgeltlich.

Sânziana, heute kommst du nicht ins Büro, machst Außendienst.

Und was mache ich mit dem Salatblatt?

Das verrechnen wir. Heute hast du deinen Kulturtag.

Und wer verrechnet mir den Arbeitstag?

Ebenfalls ich. Gehst, den »rumänischen Mark Twain« besichtigen. Dienstauftrag.

Das nenne ich ein Geschäft. Und wo finde ich unseren Mark Twain?

Ich rede von Ion Creangã. Den triffst du zu Hause an. In seinem Museum.

Ich war seit der zehnten Klasse in keinem Museum mehr. Öffnen die Museen nicht erst um zehn Uhr?

Ja, so kommst du zu ein wenig Kultur. Bis dahin kannst du dich schönmachen. Wirst zwei amerikanische Juden begleiten. Mutter und Sohn.

Es ist schön, den Sohn ins Museum zu führen.

Der Sohn ist fünfzig Jahre alt.

Umso schöner. Und die Mutter?

Die Mutter ist etwas älter, aber du tust so, als merktest du’s nicht. Sie wollen hier ein Geschäft eröffnen.

Wir dienen dem Vaterland!

Ich rechne mit deinem Englisch, meine Liebe, sonst hätte ich jemand anderen darum gebeten. Mutter und Sohn können keinen Pieps einer anderen Sprache.

Nicht einmal Rumänisch?

Vielleicht nur Jiddisch.

Ich hab entschuldigt gefehlt, als in den ersten Schulklassen Jiddisch unterrichtet wurde.

Komm auf den Geschäftsparkplatz. Der Pförtner wird dir die Schlüssel für den Volvo geben.

Den Volvo fährt nur der Direktor. Sagen Sie mir bloß nicht, dass man mich zur Direktorin ernennen wird.

Ich sage nichts dergleichen. Du holst die Amerikaner am Hotel Unirea ab. Nach dem Museum geht ihr ins Restaurant.

Ich hoffe, der fünfzigjährige Knabe wird mich nicht zum Tanz auffordern. Sie wissen, dass ich nicht tanzen kann.

Wenn er dich darum bittet, tanzt du. Dienstpflicht.

Ich weiß, die nationalen Interessen stehen auf dem Spiel. Gestatten Sie, dass ich seufze?

Nein. Du wirst dich auch morgen und übermorgen um sie kümmern.

Mein Samstag, mein Sonntag … Sie treten meine freien Tage mit den Füßen.

Ich bezahle sie dir zusätzlich.

Gehen die braven Juden samstags nicht in die Synagoge?

Wenn sie in die Synagoge wollen, führst du sie in die Synagoge. Was für eine Zahnpaste benutzt du?

Herr Finkelstein, ich glaube nicht, dass Sie solche Details …

Welche auch immer es sein mag, wirb für sie! Lächle sie mit allen deinen strahlenden Zähnen an. Sei anschmiegsam, erobere die Amerikaner! Das ist Dienstpflicht.

 

An der Rezeption des Hotels Unirea sagt man mir, ich solle hinaufgehen. Zehntes Stockwerk, klopf-klopf. Keine Antwort. Ich öffne die Tür. Wasserrauschen verrät einen Körper unter der Dusche. Amerikaner mit rumänischer Pünktlichkeit. Jetzt könnten sie geduscht haben.

Da bemerke ich eine Silhouette am Fenster. Sie schaut hinunter, von hier oben auf die Stadt, ein Gewebe wie eine moldauisch gestickte Bluse. Sie wendet sich unerwartet um und misst mich mit zwei wie vom Weinen geröteten Augen. Sie mag sich mit ihrem Sohn gestritten haben oder an Bindehautentzündung leiden. Sie verbirgt ihre Verlegenheit mit einem kurzen Räuspern.

Du bist unsere Stadtführerin, nicht?! Ben, nun komm endlich unter der verdammten Dusche hervor!

Sie reicht mir die armbandumringte Hand.

Dora Bernstein. Nenne mich Dora.

Sânziana Stipiuc. Nennen Sie mich Sânziana.

Okay, Suzy.

Beiges Kostüm, Schuhe für anstrengende Touren. Collier, Ohrringe und Ring. Ein paar Swarowski-Schwäne gleiten über den weißgoldenen Teich. Dicke Lippen, große Rougeverschlinger mit permanent ironischem Lächeln. Feine, langgestreckte Nase, Gesichtswächter. Kurze, viel zu blonde Haare, als dass sie echt sein könnten.

Ah, diese Sorte alter Frauen! Die glauben, kurzgeschnittene blondierte Haare verjüngten sie. Im Gegenteil. Der gleiche Effekt wie bei kurzbeinigen Frauen, die auf hohen Absätzen einherstaksen. Je höher die Absätze ausfallen, desto gedrungener erscheinen die darauf Herumlaufenden.

Ben erbarmt sich und kommt aus dem Bad. Nicht mit umgeschlagenem Handtuch, wie ich es erwartet hatte. Weiße Jeans, blaues Hemd mit einem Samtkrägelchen. An den Füßen Markentreter. Auf der Nase eine Ray-Ban-Brille. Im Bad wird die Sonne scheinen. Wie auch immer, der Kerl ist stark. Mit amerikanischem Charme ausgestattet. Schade nur, dass er sich das Haar rötlich gefärbt hat. Gewiss, man sagt, die Kinder ahmten ihre Eltern nach. Seine Mutter färbt sich die Haare, hoppla, er auch! Männer mit gefärbten Haaren sind rührender als gefärbte alte Frauen.

Ben, Fräulein Suzy ist unsere Stadtführerin.

Ich bin glücklich, dich kennenzulernen, Suzy.

Er riecht so gut, dass ich erst im Fahrstuhl seine Nase erblicke. Ein Trumm von einer Kartoffel. Ein Kartoffeltrumm, das auf Mayonnaise wartet.

Mutter, mach mir ein Foto mit Miss Suzy!

Er ist spontan böse. Packt mich von hinten an den Schultern. Ich hoffe, man kann auf dem Foto meinen rasenden Puls nicht erkennen. Rechtzeitig erinnere ich mich daran, dass ich für meine Zahnpaste werben muss. Ich lächle mit allen Zähnen. Es ist nicht mein Lächeln.

Ich hatte beim Republica-Kino geparkt. Ich öffne die hintere Tür und biete der alten Bernstein einen Platz an. Das Kind kommt nach vorne zu mir. Es möchte die Stadt besser sehen können. Oder meine Beine bewundern. Die Alte weist auf das Kino.

Was gibt es denn heute im Trianon-Kino?

Sie meinen im Republica-Kino.

Nein, im Trianon oder dem Gorki-Kino, wenn du das vorziehst.

Bist ganz schön vergreist, Madame. Bringst die Städte und ihre Kinos durcheinander. Von wegen Trianon. Und dann Gorki. Fahr nach Moskau, wenn dir der Sinn nach dem Gorki steht. Ich gebe mir nicht die Mühe zu antworten.

Los! Der rumänische Mark Twain erwartet uns mit frisch gegarten Kohlrouladen.

Ich ramme dem kräftigen Volvo die Sporen in die Seite, und das Sportröckchen entblößt mir das Knie. Es ist Freitag, der 29. Juni 2001, und ein besonderes Wochenende kündigt sich an. Ich erfülle eine dienstliche Aufgabe, bei der ich dem nationalen Interesse diene. Und dem persönlichen Interesse, warum nicht. Ich würde ganz gerne Amerika besuchen.

 

In Creangãs Museum interessiert sich Ben für die Geschichte der Geschichten. Eine kleine Huldigung an das Mannesorgan. Ich möchte das Thema wechseln, damit man mich nicht für vulgär hält. Er aber ist entflammt. Er hat einen Freund, der ist Produzent am Broadway, dem wird er davon erzählen. Daraus könnte ein vieldeutiges Stück entstehen, das jede Menge Geld einbringt. Dora schaut ihn angewidert an.

Willst du endlich aufhören mit diesen ekelhaften Dingen?

Wir reden von Geschäften, Mutter.

Dora möchte, dass ich sie neben dem Zuber fotografiere, in dem der »rumänische Mark Twain« gebadet hat. Gut, dass sie nicht nackt fotografiert werden will. Was für ein Einfall, eine Badewanne in Form eines Fasses. Auch sie wird sich solch eine Badewanne bestellen. Oder nein, sie wird diese Idee an eine Herstellerfirma verkaufen.

Ich habe den Eindruck, ich befinde mich nicht im Museum, sondern auf einem Ideenmarkt. Jeder legt auf seinem Pult aus, was ihm einfällt.

Dora besteht darauf, mich mit Ben zu fotografieren. Wieder? Sie fordert uns auf, uns anzuschauen.

Jetzt Hand in Hand. Nicht so, sondern mit verflochtenen Fingern. Wusstest du, Suzy, dass die ersten »Shooting Girls« Jüdinnen waren? Ohne sie wäre die Kunstfotografie nicht sehr weit gekommen.

So erfahre ich also, dass die Kunstfotografie es weit gebracht hat. Weit auch über mich hinaus. Ich lass mich nicht gerne fotografieren.

Die Frau, wie sie verträumt an der Zigarette zieht, die Frau, wie sie die Katze streichelt, die Frau mit über die Wange gerecktem Zeigefinger … Rauchst du nicht, Suzy?

Nein, aber ich hatte mal eine Katze. Und noch habe ich zwei Zeigefinger.

Mein Englisch macht sich ganz gut. Wenn ein Wort im Kolben stecken bleibt, hilft Ben ihm heraus.

Partner, nennt er mich.

Partner, antworte ich.

 

Zum Mittagessen gehen wir ins Restaurant Bolta Rece, wo ehedem der rumänische Mark Twain gezecht hat. Er kam mit seinem Freund hierher, dem Nationaldichter Eminescu.

Eminescu?

Nun ja, wie soll ich ihn nennen? Den »James Dean der rumänischen Poesie«.

Das Bolta Rece habe ich auf Empfehlung von Herrn Finkelstein ausgewählt. Die Köchin dort versteht es, Gefilte Fisch zuzubereiten. Die berühmten jüdischen Fischklößchen.

Im Lindenkeller in Wien konnte ich zwischen dem Schubert-Menü, dem Mozart- und dem Strauss-Menü wählen. Warst du schon einmal in Wien, Suzy?

Noch nicht, Dora.

Nimm dir die Zeit und fahr hin.

Danke für die Empfehlung, Ben. Ich...

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