Kein Platz mehr - Roman

Kein Platz mehr - Roman

von: Margit Schreiner

Schöffling & Co., 2018

ISBN: 9783731761358

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 1615 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Kein Platz mehr - Roman



ALLEIN DIE DINGE, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln! Auch wenn man, so wie ich, ein paar Dutzend Mal umgezogen ist und dabei jeweils das meiste zurückgelassen hat. Es sammeln sich Bücher, Papiere, Unterlagen, Steuererklärungen, Kontoauszüge, Versicherungspolicen und so weiter an. Abgesehen natürlich von der Kleidung, dem Hausrat, den Bildern, Fotos, Schmuck, Kerzen, Zeitungsartikeln, Lampen, Möbeln et cetera.

In Italien lebten eine alte russische Prinzessin und ein ehemaliger italienischer General in der Wohnung neben mir, deren sieben Zimmer mit so vielen Wertgegenständen und Ramsch vollgestellt waren, dass nur schmale Gänge blieben, durch die man sich vorsichtig tasten musste. Bei der Einladung »Nehmen Sie doch Platz« war ich ratlos. Uralte Samtsofas, mit verschlissenem Brokat bezogene Stühle, wackelige Thonet-Sessel, alles war vollgeräumt mit Zeitungen, Büchern, Kleidungsstücken. Ich trank den angebotenen Kaffee schließlich stehend. Wie die Prinzessin und der General auch. Damals schwor ich mir, jede Ansammlung von Gegenständen über das Notwendige hinaus für meinen Teil zu vermeiden. Als ich Italien verließ, nahm ich nicht mehr mit als in meinem VW-Kombi Platz hatte. Im ersten Jahr in Österreich wurde genau das zum Problem: Ich konnte nicht einmal einen Knopf annähen, weil das Zubehör fehlte. Alles fehlte. Bereits nach drei Jahren sah die Sache schon ganz anders aus. Keine Ahnung, wie uns all das nützliche Zeug zugewachsen ist und immer noch zuwächst, sodass es keinen Ort in unserer hundertzwölf Quadratmeter großen Wohnung mehr gibt, wo noch für irgendetwas Platz wäre. Jetzt muss ich hinzufügen, es handelt sich um eine Dachwohnung mit durch die Schrägen bedingtem Mangel an Plätzen, an denen man Schränke, Kommoden etc. aufstellen könnte. Dafür gibt es aber überall Spitzböden, Verschläge, Hohlräume unter den Dachschrägen, in die man praktisch hineinkriechen muss, um all die unentbehrlichen Dinge, die aber nicht täglich gebraucht werden – Schlafsäcke, Zelte, Boote, Rollerblades, Wolle, aufblasbare Gästematratzen, Koffer, Taschen und so weiter –, hineinzustopfen. Dadurch verliere ich naturgemäß den Überblick. Und weil ich bei Bedarf zu faul bin, auf allen Vieren in die Verschläge zu kriechen, um die zweckmäßigste Tasche oder den zweckmäßigsten Koffer für den jeweiligen Anlass unter all den Taschen und Koffern zu suchen, stellt sich schließlich heraus, dass ein Koffer und eine Tasche zur Not für alle Gelegenheiten ausreichen.

Erstaunlich ist, dass auch nach dem Auszug unserer erwachsenen Tochter mit all ihren Kleidern, Büchern, Tischen, Sesseln, Zeichnungen, Skizzen, Objekten, Andenken, Bücherregalen nicht etwa mehr Platz gewonnen wurde. Im Gegenteil! Wie meine Freundin Karla neulich richtig sagte, werden Möbel und Kleider, wenn man ausmistet, plötzlich immer mehr. Sie tauchen überall auf, wo man sie nie vermutet hätte. Selbst nachdem Bruno eine kleine zweite Wohnung ohne schräge Wände, unsere sogenannte Bibliothek, im Parterre des Hauses dazugekauft hatte, stellte sich keine Erleichterung ein. Im Gegenteil! Ich habe keine Ahnung, wo all die Bücher, die jetzt unten in der sogenannten Bibliothek stehen, eigentlich früher untergebracht waren. Wir haben jedenfalls in unserer Hauptwohnung unter dem Dach genauso viele Bücher stehen wie vorher auch, und in der sogenannten Bibliothek sind ebenfalls alle freien Wände mit Bücherregalen und darin natürlich mit Büchern vollgestellt. Außerdem hat Bruno für die Bibliothek zwei Couchen, zwei Schreibtische – einen riesengroßen und einen etwas kleineren, verstellbaren Stehschreibtisch – und einen Küchentisch mit vier Sesseln angeschafft. Auf dem Boden stapeln sich alle möglichen, von Bruno angeblich dringend gebrauchten Unterlagen. In den Zimmerecken türmen sich Koffer, Taschen, technische Geräte, die nur teilweise funktionieren, und Bootszubehör.

Von unseren zwei Kellerabteilen möchte ich gar nicht sprechen. Nur so viel: Sie sind randvoll! Will man zu Beginn des Winters die Sommerreifen wechseln, muss man praktisch zwei Kellerabteile vollständig ausräumen. Es stellt sich dann heraus, dass die Winterreifen unter den Terrassenmöbeln, den Werkzeugkisten und den Solarpanelen lagern.

Auch Hans’ und Marias Wohnung quillt über, was offenbar auch passiert, wenn man gegen jede Art von Kaufrausch derart gefestigt ist wie die beiden. Hans trägt, seit er vor fünfzehn Jahren aus der Anwaltskanzlei, an der er beteiligt war, ausgestiegen ist, seine Anwaltshemden auf, Maria schneidert aus ererbten alten Seidenstoffen die elegantesten Kleider. Nicht einmal Bücher kaufen die beiden mehr, sondern beziehen ihre reichhaltige Lektüre stets aus der Bücherei. Wahrscheinlich wird die Überfüllung der Wohnung daran liegen, dass die beiden zwar nichts kaufen, aber andrerseits auch nichts wegwerfen. Hauptsächlich Andenken, die sie von ihren früheren Reisen mitgebracht haben, schöne, aber teilweise schon recht verstaubte, desolate chinesische, afrikanische, venezianische Masken, japanische Puppen, aber auch von Großmüttern selbst gestickte Deckchen, die wirklich wunderschöne Kommode der Großtante, eine Jugendstillampe mit einem lesenden jungen Mädchen, einen alten Bauernkasten, und unzählige Stoffe (Urgroßtante!), Wollreste, zwei Nähmaschinen und so weiter. Kurz zu erwähnen wären auch die von Hans seit frühester Jugend gesammelten Richard Löwenherz-, Tim & Struppi- und Asterix-Hefte sowie seine Gesamtausgaben von Karl May, Karl Marx, Engels und Lenin. Maria möchte natürlich auch nicht so kurz nach ihrer Pensionierung alle psychologischen Unterlagen, Bücher, Kongressberichte etc. wegwerfen.

Karla ist auch sehr arm dran. Sie hat vier Immobilien geerbt. Beziehungsweise hat sie eben nicht. Die Almhütte ist seit Urzeiten gepachtet. Ebenso die Holzhäuschen am Badesee, von denen Bruno und ich jeden Sommer eines beziehen dürfen. Pacht! Die Wohnung in Grado gehört wahrscheinlich einer im Pflegeheim dahinsiechenden Tante. Jedenfalls sind die Unterlagen, die ihren Erbanspruch bestätigen würden, schwer aufzutreiben. Das sehr schön gelegene Haus auf der Wilhelminenhöhe in Wien kann sie sich nicht leisten. Ist ja ständig was zu reparieren. Es war in den sechziger Jahren eine topmoderne Villa, entspricht aber mit seinen Teppichböden, dem Steingewölbe in der Küche und dem vielen Holz nicht mehr den Wünschen moderner Wohlhabender, die sich so ein Haus leisten könnten. Die wollen eher Glas und Stahl. Karla ist es nach viel Einsatz gelungen, einen Teil des Hauses an einen Barbesitzer zu vermieten, den anderen Teil an eine Schauspielerin während der Wiener Festwochen. Das Problem bei der Vermietung waren natürlich die vielen Dinge, die sich in all den Liegenschaften der Familie angesammelt haben. Ich möchte nichts aufzählen. Ich glaube, jeder kann sich das vorstellen. Karlas Vater war Segler, Bergsteiger, selbstständiger Wirtschaftsprüfer! Karla war drei Monate lang im Dauereinsatz. Gott sei Dank hat sie es trotz ihres herausragenden Talents aufgegeben, eine berühmte Schauspielerin werden zu wollen, sonst hätte sie ja gar keine Zeit dazu gehabt. Andrerseits hätte sie dann natürlich Geld. Aber Karla sagt, kein Geld kann für so ein Hundeleben entschädigen, das man als Schauspielerin, speziell wenn man aus finanziellen Gründen auch für Fernsehserien arbeitet, führen müsste. Dann lieber ausmisten, auch wenn, wie ich ja Karla bereits zitierte, beim Ausmisten Kleidung und Möbel immer mehr statt weniger werden.

Dabei ist das noch gar nichts, wenn ich an Rudi und Franca denke, die am Lago Maggiore inmitten wertvoller Sitzgruppen, Bilder, alter, staubiger Bücher, Barockkommoden, Renaissancekästen, Jugendstilschreibtischen ungeheuren Ausmaßes, Himmelbetten, zerschlissenen Perserteppichen und Ahnengalerien, in einem Schloss aus dem 17. Jahrhundert leben. Die Möbel sind den sechs Meter hohen Räumen angepasst, der Mensch wirkt seltsam klein darin. In dem großen Schlosspark tummeln sich Hunde, Katzen, ein Pferd und ein Esel (Fritzi), die ja alle auch versorgt werden müssen. Franca, die aus einem verarmten Visconti-Zweig stammt, hat das alles geerbt und nun am Hals. Man darf nämlich nicht glauben, dass man so ein Schloss gewinnbringend verkaufen kann. Offenbar kauft niemand gerne ein marodes Schloss. Wenn schon, dann für einen Euro. Franca verdient zwar als Ordinaria an der Universität einigermaßen, aber Rudi nicht. Er hat sich kurz vor seiner Pensionierung als Germanistik-Professor an der Universität von Bergamo mit neunundsechzig Jahren alles versaut, indem er sich geweigert hat, die seit Neuestem in Italien strikt befohlene EU-Anpassung mitzuvollziehen, nach der alle Protokolle, Lehrpläne und Prüfungsberichte in englischer Sprache verfasst werden müssen. Da er deutsche und österreichische Literatur unterrichtet, hat er alles in Deutsch berichtet, mit der Begründung, Studierenden deutschsprachiger Literatur stünde das Deutsche näher als das Englische. In der anschließenden Konferenz wurde er als aggressiv und zynisch bezeichnet, was ihm letztendlich die Verlängerung seiner Professur um zwei Jahre, die er aber für die Pensionsberechtigung gebraucht hätte, kostete. Jetzt sitzt er, wenn er nicht gerade Wäsche wäscht, Frühstück für die B&B-Gäste vorbereitet, einkauft oder kocht oder Fußballspiele im Fernsehen sieht, manchmal im Schlossgarten und schreibt Haikus.

Franca und Rudi haben versucht, bestimmte Möbel, Bilder, Bucherstausgaben bei Sotheby’s versteigern zu lassen, aber es ist alles unverkauft zurückgekommen. Das liegt einerseits an der Wirtschaftskrise, andrerseits daran, dass womöglich bei den insgesamt drei großen Einbrüchen ins Schloss – beim letzten sind die...

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