Der Abt - Historischer Roman

Der Abt - Historischer Roman

von: Walter Scott

Books on Demand, 2017

ISBN: 9783746050034

Sprache: Deutsch

441 Seiten, Download: 1098 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Abt - Historischer Roman



Zweites Kapitel


Kaum hatte Warden das Zimmer verlassen, so überließ sich die Dame von Avenel ganz der Liebe und Zärtlichkeit, die der Anblick des Kindes, die plötzliche Gefahr und die so unvermutete Rettung in ihr wach gerufen hatten, und überhäufte den Knaben, seit sie frei war von priesterlicher Strenge, wie sie das Verhalten des Geistlichen auffaßte, mit Liebkosungen.

Er hatte sich von den Folgen des Unglücks, das ihn betroffen hatte, halb und halb erholt und ließ sich die freundliche Behandlung der schönen Dame, wenn er auch seine Verwunderung darüber nicht verbarg, recht wohl gefallen. Das Gesicht der Dame war ihm völlig fremd und die Kleidung, die sie trug, so schön und kostbar, wie er sie in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Aber der Knabe war von unerschrocknem Temperament und besaß jene den Kindern eigentümliche Gabe, rasch zu merken, wer es gut mit ihnen meint, in hervorragendem Grade. Das freundliche Wesen, das er infolgedessen zeigte, eroberte das Herz der Dame im Nu, und so fiel es ihr in der Tat schwer, sich von seinem Lager zu entfernen und ihm die Zeit zur Ruhe zu lassen, die ihm nach den schweren Minuten, die er nahe dem Ertrinken verlebt hatte, so not tat.

»Wem gehört denn der kleine Knabe, den wir. dem Tode entrissen, haben?« so lautete die erste Frage, die die Dame von Avenel an ihre Kammerzofe Lilias richtete, als sie sich nach ihrem Zimmer zurückgezogen hatte.

»Einer Greisin im Dorfe,« lautete die Antwort, »die grade beim Torwart unten ist, um sich nach ihm zu erkundigen. Ist es Euch genehm, meine Gnädige, daß sie eingelassen werde?«

»Ob es mir genehm sei?« wiederholte mit scharfem Nachdruck die Dame. »Wie kannst Du daran zweifeln, Mädchen? Welche Frau könnte kein Mitleid haben mit der Todesangst, die eine Mutter fühlen muß, der der Verlust eines Kindes auf solche schreckliche Weise drohte?«

»O, gnädige Frau sind in einem Irrtum,« erwiderte die Zofe, »die Frau ist viel zu alt, daß sie die Mutter dieses Knaben sein könnte. Eher vermute ich, daß sie die Großmutter ist oder sonst eine nahe Verwandte.«

»Mag sie sein, wer sie wolle,« versetzte die Dame, »sie muß wohl tiefbekümmert sein, ist doch so lange Zeit schon verstrichen seit dem Unglück, und niemand hat ihr Nachricht über den Verlauf geben können! Geh gleich und bring sie her! Ich möchte gar zu gern wissen, wie es um den Knaben steht, wessen Kind er ist u. s. w.«

Lilias verließ das Zimmer und kam bald wieder mit einem Weibe von ziemlich großer Figur, das zwar ärmlich gekleidet, aber weit sauberer aussah, als man sonst zu finden pflegt bei Leuten, die auf, grobe Kleidung angewiesen sind.

Die Dame von Avenel erkannte die Gestalt auf den ersten Blick wieder. Sie hatte sie hin und wieder Sonntags in der Schloßkapelle gesehen, zu der die Mitglieder der Dorfgemeinde zum Gottesdienst und zu andern kirchlichen Handlungen Zutritt hatten.

Ein Hauptaugenmerk des edlen Ritters von Avenel war die Verbreitung des protestantischen Glaubens in dem Bezirke des Landes, der seiner Machtbefugnis unterstand. Heinrich Wardens Predigten waren hierzu von großem Belang und von großer Wirkung auf das Gemüt seines alten Schulfreundes, des Abtes Eustachius, der sich dadurch immer zu neuem Disput angespornt fühlte und mehr denn einmal schon gedroht hatte, diese sichre Zufluchtsstatt der Ketzerei und des Unglaubens auszurotten mit Stumpf und Stiel. Aber trotz dieses Ingrimms, ja trotz aller Abneigung in der Gegend gegen den neuen Glauben fuhr Heinrich Warden in der Ausübung seiner Lehre fort und gewann alle Wochen für die reformierte Kirche, deren Diener er jetzt war, neue Anhänger.

Unter diesen Proselyten befand sich auch die Greisin, und zwar gehörte sie zu den eifrigsten derselben. Schon wiederholt hatte die Schloßherrin sich erkundigen wollen, wer die große alte Frau mit dem vornehmen Wesen sei, wenn sie ihr unter den Mitgliedern der Kirchengemeinde aufgefallen war. Aber sie hatte immer nur gehört, es sei eine »Englische«, die sich seit einiger Zeit im Dorfe aufhalte, und weiter wußte niemand, über sie etwas zu sagen.

Jetzt fragte sie die Frau, wer sie denn eigentlich sei.

»Magdalene Gräme heiße ich,« erwiderte die Greisin, »und stamme von dem Grämen von Heathergill im Nikolswalde, einem Stamme sehr alter Herkunft.«

»Und was tut Ihr hier, so fern von Eurer Heimat?« fragte die Dame weiter.

»Ich habe keine Heimat,« versetzte Magdalene Gräme, »sie ist verwüstet worden durch Eure Grenzräuber, Mann und Sohn sind mir erschlagen worden, kein Tropfen Bluts ist gelassen worden in den Adern jemands von meiner Sippe.«

»Zu solchen Zeiten wie den unsrigen kein so ungewöhnlicher Fall,« erwiderte die Schloßdame, »und in solch unruhigem Lande wie dem unsrigen erst recht nicht! Englische Hände haben an unserm Blute sich genau so schlimm vergangen, wie schottische Hände an englischem.«

»Das dürft Ihr mit vollem Recht sagen, meine Dame,« erwiderte die Gräme, »erzählt man doch von einer Zeit, da dies Schloß nicht fest genug war, das Leben Eures Vaters zu retten oder Eurer Mutter und ihrem Kinde eine Zuflucht zu bieten. Warum fragt Ihr mich denn also, weshalb ich nicht in der eigenen Heimat und unter meinen Landsleuten lebe?«

»Freilich war's eine überflüssige Frage, Frau Gräme, da doch die Not so oft treibt zur Heimatsflucht. Doch warum nahmet Ihr Zuflucht im Feindeslande?«

»Meine Nachbarn waren Papisten und Meßkrämer, es hat aber dem Herrn im Himmel gefallen, mich zu erleuchten im Evangelium, und ich habe den Aufenthalt hier gesucht um des Predigers Warden willen, der zu so vieler armen Leute Trost das Wort Gottes lauter und wahr kündet.«

»Seid Ihr arm?« fragte die Dame von Avenel weiter.

»Ihr hört wohl nicht, daß ich um Almosen bäte?« versetzte die Engländerin.

Eine Pause trat ein. Das Benehmen der Frau war, wenn nicht unehrerbietig, doch nicht im geringsten entgegenkommend. Sie mochte, wie man sah, von eigentlichem Verkehr nichts wissen. Die Dame von Avenel knüpfte die Unterhaltung wieder an über einen andern Gegenstand.

»Ihr habt wohl gehört von der Gefahr, die Euer Knabe überstanden hat?«

»Allerdings, meine Dame, ebenso, wie er durch Gottes gnädige Fügung errettet worden ist. Möge der Himmel fügen, daß er und ich Euch dankbar sein können.«

»In welcher Verwandtschaft steht Ihr mit ihm?«

»Ich bin seine Großmutter, meine Dame, mit Verlaub, und die einzige Frau, die ihm geblieben ist, Sorge für ihn zu tragen.«

»Es muß doch für Euch eine große Sorge sein, den Knaben durchzubringen,« meinte die Dame.

»Ich habe hierüber zu niemand geklagt,« antwortete die Gräme mit demselben Gleichklange der Stimme, wie sie alle bisherigen Fragen beantwortet hatte.

»Wenn nun Euer Enkel Aufnahme finden könnte in einer vornehmen Familie, möchte das nicht von Vorteil sein für Euch und für ihn?«

»Aufnahme fände in einer vornehmen Familie?« wiederholte die Gräme, indem sie sich zu voller Höhe reckte und die Brauen zusammenzog, bis eine finstre Falte sich tief in ihre Stirn grub, »und wozu? wenn ich bitten darf. Um der Page der gnädigen Frau zu sein oder der Jockei des gnädigen Herrn? um mit dem übrigen Gesinde sich um den Abhub von der Herrentafel zu zanken? Oder soll er von dem Gesichte der Gnädigen die Fliegen scheuchen mit dem Wedel, wenn sie schläft, oder ihr die Schleppe tragen, wenn sie spazieren geht, ihr den Teller reichen, wenn sie ißt? vor ihr herreiten oder hinter ihr hergehen? soll er plärren, wenn sie ihn hören will, und schweigen, wenn sie es befiehlt? Gleichwie der Adler von Helwellyn sich aufhockt und dreht und seine Stellung ändert, um zu zeigen, woher der Wind streicht, soll auch Roland Gräme tun und lassen, wie 's Eurer Laune beliebt?«

Die Frau sprach so schnell und heftig, daß es war, als stände sie unter dem jähen Eindruck einer Furcht, daß dem Knaben eine größere Gefahr drohe, als wie er sie eben erst überstanden habe, und zwar gerade durch die Dame, in deren Obhut er sich befände.

»Ihr mißversteht mich, liebe Frau,« sagte sie in besänftigendem Tone, »ich will ja nicht sagen, der Knabe solle in meinen Dienst treten, sondern in den Dienst meines Gemahls, des edelsten unsrer Ritter. Und wäre er der Sohn eines Grafengeschlechts, liebe Frau, so könnte ihm kein bessrer Unterricht werden in allem was Ritterspflicht und Rittertugend ist, als durch Sir Halbert Glendinning.«

»Gewiß, gewiß,« rief die Greisin wieder in der gleichen Erregtheit wie vordem, nur noch mit bittrerem Hohne, »ich kenne solchen Dienstes Lohn, kenn ihn zur Genüge! glänzt der Harnisch nicht, wie er soll, setzt's ein Donnerwetter; ist der Gurt nicht straff gezogen, wie er gezogen sein soll, gibt's eine Dachtel; Prügel mit der Reitpeitsche, wenn die Jagdhunde nicht parieren wollen; Scheltworte, wenn die Jagd nicht gut ausfällt; wenn's der Herr befiehlt, soll der arme Kerl sich die Hände besudeln mit Tier- oder Menschenblut, soll das erste beste harmlose Wesen hinschlachten, soll Gottes Ebenbild austilgen, wenn's seinem Herrn ein Dorn im Auge ist, soll das Leben von Straßenräubern führen, von gemeinen Banditen, soll Hunger und Durst, Hitze und Kälte leiden, soll alle Entbehrungen eines Einsiedlers ertragen, nicht aus Liebe zu Gott,...

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