Das unermessliche Universum und die zahllosen Welten
von: Giordano Bruno
Books on Demand, 2017
ISBN: 9783746027647
Sprache: Deutsch
512 Seiten, Download: 7546 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
2. Buch
GIORDANO BRUNO
DAS GRÖSSTE UND UNERMESSLICHE
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II. BUCH
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I. KAPITEL
Es ist ein altbekannter Satz, dass ein kleiner Irrtum am Anfang ein großer am Ende ist. Denn Kleines und Kleinstes ist Keim und Teil in allem, und auf ihnen beruht beinahe die ganze Substanz der Arten.
Wenn der Wanderer verwirrt am Scheideweg steht
und zweifelnd überlegt, welchen Weg er gehen soll,
und welcher weniger zu nehmen sei,
so bleibt ihm nur traurige Ungewissheit als Rat.
Während er auf seine Eingebung hört,
geht er weiter und denkt bei sich,
dass es doch gleichgültig sei, welchen Weg er nehme,
denn sie unterscheiden sich kaum oder gar nicht,
sind anfangs eng verbunden und scheinen sich anzunähern,
da ja viele Wege am selben Ziele enden,
die sich weit entfernt voneinander erstrecken.
Doch dann im weiteren Verlauf des Weges
wächst der Abstand allmählich, und spürbar
vollzieht sich das Abweichen vom richtigen Weg.
Nicht anders ist es,
wenn du es vielleicht für nichtig hältst
ob es etwas gibt oder nicht, das alles umhüllt.
Auch wenn dieser Streit den Verlauf
des Wissens nicht um denkbar Vieles ändern würde,
und auch nicht im Geringsten
die Grundlagen der hehren Ziele stören könnte,
so bliebe doch umstritten,
dass auch die Sterne beseelte Wesen sind,
und dass sie aus denselben Elementen bestehen,
dass es nicht nur in Grenzen Zahlen gibt,
sondern auch darüber hinaus.
Wenn du die Dinge genauer und weiter betrachtest,
wirst du erkennen,
wie ungeheuerlich groß dieser Irrtum ist
mit seinen erdichteten Fabeln.
Denn die Augen der Vernunft sehen klar,
dass in allem die Gesetze beider Naturen sind.
Aber das Feuer wurde erstickt für die eine Seite,
denn man hat das Licht des Geistes unterdrückt,
weshalb sie nun in die andere Richtung treiben.
Doch wie sich das Licht von der Finsternis unterscheidet,
so ist das Falsche vom Wahren getrennt,
und so unterscheiden sich auch hier und dort
der Anfang und dessen Teile und dann sehr weit
die Bereiche, die in der Mitte und am Ende sind.
Wie Aristoteles richtig sagte: Man kann sich nicht auf das Kleine beziehen, wenn es keinen unermesslichen und unendlichen Körper gibt, wie ja auch mehrere der alten Philosophen erwogen, ob dies eine der Unmöglichkeiten sei. Denn darauf, ob die Dinge sich auf diese oder jene Weise verhalten, beruhe jede und auch die höchste Erkenntnis des Wahren. Deshalb müsse dies mit größter Genauigkeit definiert werden. Diesen Satz habe ich mit ihm gemeinsam.
II. KAPITEL
Der erste Beweis des Aristoteles gegen die Unermesslichkeit besteht aus vielen Teilen, gleichsam mehreren Beweisen. Der Beweis aus der ersten Bewegung wird herangezogen und geprüft.
Erstens, sagt Aristoteles, müsse geprüft werden,
ob ein einfacher, unendlicher Körper existiert,
denn es sei der Sache gemäß, dies vorher zu zeigen.
Weil wir sehen,
dass die Körper einfach sind oder zusammengesetzt,
kann kein zusammengesetzter Körper unendlich sein,
wenn nicht vorher ein einfacher, unendlicher Körper existierte.
Es genügt also, wenn ich bei diesem eine Grenze beweise.
Dabei sei klar zu erkennen, dass weder der Himmel
noch seine Teile unendliche, einfache Körper seien,
da das erste Bewegliche auch im Unendlichen kreisen
und ohne Mühe eine unendliche Weite durchqueren müsste.
Denn wenn von zwei Linien, durch das Zentrum gezeichnet,
eine sich mit dem Himmel im Kreise bewegt,
während die andere horizontal als Durchmesser feststeht,
könnte dann die Linie, die mit dem Himmel kreist,
die andere, feststehende Linie jemals erreichen,
gleichgültig, ob sie im Mittelpunkt endet,
oder auf beiden Seiten ihn überschreitet
und ein Durchmesser ohne Endpunkte wäre?
Dem füge hinzu, dass der Raum
zwischen den Linien sich ständig vergrößert,
je weiter sie sich vom Zentrum entfernen.
In unendlichem Abstand schließlich wird es keine Linie
mehr geben, die bis zur anderen gelangen könnte.
Also kann man einen unendlichen Raum nicht durchqueren.
Nun aber – wer wäre bisher so töricht gewesen,
sich zum Unendlichen zu bekennen,
und es gleichzeitig kreisend zu nennen
oder ihm ein Zentrum zu geben?
Es kannten Parmenides, Xenophanes, Melissus
einen einzigen Ursprung, ein einziges endloses Sein.
Alle bestimmte ihr Denken, es das Unbewegliche zu nennen,
in dessen Raum sich zahllose Welten bewegen.
Erinnerst du dich also, welcher Weise den Streit begann,
und willst stark sein und entschlossen zum Sieg?
Oder sprichst du nichts aus, weil du am Eigenen hängst,
von Ferne zurückschauderst vor ihrem Geist
und dich vorher für das Erlaubte entscheidest,
das du als Prinzip übernimmst
und weiterhin täuschst durch dein Lügengespinst,
unter dem Anschein
des eingemeißelten Himmelsgewölbes bestimmst,
dass alles beweglich sei,
dass es hier eine Oberfläche
und dort das Zentrum begrenzt,
und durch bestimmte Wendepunkte fixiert
um feste Achsen rotiert?
Mit diesem Bild willst du dann das Unendliche widerlegen,
so dass mit dir nicht sinnvoll diskutiert werden kann.
Denn die bewegliche Erde zerstört dieses Bild.
Für mich dehnt sich beliebig weit aus,
von dem man sagt, dass es alles umkreise,
und dir feste Grenzen umschließt.
Vertreibe deshalb diese Nebelwolken,
wage den Blick durch die klare Luft
und sage nicht blind, sie und der Raum hätten Grenzen.
Denn stets wirst du überall
einen völlig ähnlichen Raum erblicken.
(Was sollte ihn nämlich verhindern?)
Glaube mir, durchsichtig ist alles, wohin du auch blickst,
um die Erde, den Mond und die Sonne
und auch um die anderen Himmelskörper.
Der unermessliche Raum umfasst zahllose Welten,
die in gewissen Abständen kreisen,
um sich nicht zu zerstören, sondern vielmehr
in bestimmter Ordnung einander zu erfreu‘n.
Es muss jeder klar erkennen,
dass nicht der unermessliche Raum,
unermesslich wie auch die Luft,
sich als Ganzes bewegen kann.
Denn wohin sollte er gehen,
wenn es für den Raum kein Außerhalb gibt?
Doch ringsumher erglänzen unzählige Welten,
und warum sollten sie nicht in bestimmter Ordnung
sich drehen und einander umkreisen?
Was sollte dies hindern
oder fordern, dass es nicht ist?
So beginnt Aristoteles zu argumentieren: Jeder Körper ist entweder einfach oder zusammengesetzt, und deshalb ist auch der unendliche Körper entweder einfach oder zusammengesetzt. Darauf antworten wir, er ist sowohl einfach als auch zusammengesetzt, denn es kann kein zusammengesetztes Unendliches geben, wenn es kein einfaches Unendliches gibt, aus dem es zusammengesetzt ist. Ich behaupte, dass es sowohl durch die berechnete Größe des Ganzen, als auch durch die zusammengezählte Vielheit der Teile unendlich ist. Es genügt mir also – sagte Aristoteles – zu sehen, dass es keinen einfachen Körper gibt, der unbegrenzt und unermesslich ist. Zuerst aber muss der erste Körper untersucht werden. Ein unendlicher Körper hat unendlich lange Linien, die in der Mitte entstehen. Wie wenig sie auch im Bereich des Zentrums voneinander entfernt sind (insofern dies überhaupt möglich ist), vergrößert sich nach und nach der Abstand ins Unendliche, denn da ihrer Länge keine Grenze gesetzt ist, kann ebenso auch in der Breite keine Grenze zugelassen werden. Deshalb können weder die Zeit, in der die Bewegung geschieht, noch der Raum endlich sein. Denn wenn AD und AC unendlich sind, kann der Raum zwischen D und C nicht endlich sein, und folglich kann es auch keine Zeit geben, in welcher diese Bewegung vollbracht würde.
Auch wenn die Linie AC feststeht, die Linie AD aber beweglich ist, könnte es keine Voraussetzung geben, unter der die Linie AD mit der Linie AC zusammenfällt.
Es macht auch keinen Unterschied, ob du beide Linien wechselseitig gegeneinander bewegen lässt, oder ob eine von ihnen feststeht, so dass eine unendliche Linie die andere unendliche Linie einholen und dann überholen könnte. Denn hier kann es keinen Unterschied geben, so dass eine der beiden Linien langsamer oder schneller wäre als die andere. Auch kann es keinen Unterschied geben zwischen der Unmöglichkeit, dass die unermessliche Linie AD in die unermessliche Linie AC oder in die unermessliche Linie GE übergeht. Ja es muss sogar eine unermessliche Zeit hinzukommen, so dass sich die unendliche Linie auch überhaupt nicht bewegt.
Dazu kann man fragen: Wie kann es eine kreisförmige Bewegung geben, wenn es keinen Kreis gibt? Wie aber soll etwas Unendliches, dem es ebenso wenig entsprechen kann, sich gemäß einer Gestalt zu bewegen wie gestaltet zu sein, kreisförmig sein oder sich auf einem Kreis bewegen? Es entspricht also dem Unendlichen nicht, sich zu bewegen, genauso wie es unmöglich ist, einen unermesslichen Raum in einer endlichen Zeit zu durchqueren. Es ist dieses und Ähnliches, welches schließlich alles...