Die Chinesen - Psychogramm einer Weltmacht

Die Chinesen - Psychogramm einer Weltmacht

von: Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron

Ullstein, 2018

ISBN: 9783843717366

Sprache: Deutsch

448 Seiten, Download: 2570 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Chinesen - Psychogramm einer Weltmacht



Einführung


Die chinesische Herausforderung


Weltgeschichte ist nicht zuletzt, vielleicht sogar vor allem, die Geschichte großer Kulturen. Die vergangenen beiden Jahrhunderte und besonders die zurückliegenden Jahrzehnte der Globalisierung wurden entscheidend von der westlichen, christlich-abendländischen Kultur geprägt.

Im 21. Jahrhundert wird diese jedoch nicht mehr die Richtschnur sein, an der sich alle mehr oder weniger orientieren. Die Welt wird zunehmend multipolar. Vor 20 Jahren stellten die in der Gruppe der G-7 zusammengeschlossenen großen westlichen Industriestaaten plus Japan noch 44 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung (in Kaufkraft gemessen). Heute sind es nur noch etwa 30 Prozent. Gleichzeitig hat der Anteil der sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) von 18 auf über 30 Prozent zugenommen.

Die ökonomischen und politischen Gewichte haben sich von Nord nach Süd und mehr noch von West nach Ost verschoben und verschieben sich weiter. Die Globalisierung frisst ihre Kinder. Der Schwerpunkt der Weltpolitik verlagert sich vom Abendland (zurück) nach Eurasien und vom atlantischen in den pazifischen Raum.

Eine zentrale Rolle spielt dabei China, das volkreichste Land der Erde. In den vergangenen vier Jahrzehnten ist das »Reich der Mitte« (Zhongguo), wie es sich selbst nennt, von einem der ärmsten Entwicklungsländer zur größten Handelsnation und nach Kaufkraft gemessen bereits auch größten Volkswirtschaft der Erde aufgestiegen, zu einer Weltmacht, die an Bedeutung nur noch von den USA übertroffen wird. Trotz zuletzt deutlich geringerer Dynamik entfallen auf das Land rund 40 Prozent des Wachstums der globalen Wirtschaft. Somit ist bereits jetzt das Wohlergehen der gesamten Menschheit eng mit dem des fernöstlichen Riesenreichs verknüpft. Und in der Zukunft wird dies noch mehr der Fall sein.

China ist in seiner Entwicklung an einer entscheidenden Schwelle angekommen: Gelingt es ihm, über sie hinwegzukommen, seine Wirtschaft tiefgreifend umzustrukturieren und auf das Niveau führender Industriestaaten anzuheben? Oder scheitert es daran, wie schon so viele andere Länder vor ihm, bricht die einzigartige Erfolgsgeschichte ab und die Wirtschaft stagniert bzw. verfällt oder kollabiert sogar?

Eng verbunden damit ist auch die Frage, welchen politischen Weg China künftig gehen wird. Bleibt es bei dem autoritären Herrschaftssystem, verhärtet sich dieses vielleicht sogar, oder nimmt es allmählich weichere Formen an und ist eines nicht allzu fernen Tages womöglich eine demokratische Verfassung denkbar? Und nicht zuletzt: Welche geopolitischen Ambitionen hegt die Führung in Peking? Strebt sie für das Land die Vorherrschaft in Asien an oder will sie sogar den Platz der USA als Welt-Hegemon einnehmen und eine eigene Weltordnung etablieren?

Wegen Chinas schon heute enormen wirtschaftlichen und politischen Gewichts und seiner tiefen Verflechtung in die internationale Arbeitsteilung sind diese Fragen für die gesamte Welt und nicht zuletzt für Deutschland von größter Bedeutung. David Shambaugh, renommierter Politik-Professor an der George Washington Universität, betrachtet die künftige Entwicklung Chinas als »die wichtigste Frage der Weltpolitik«. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur unser Wohlstand, sondern auch unsere Identität – und der Weltfrieden. Hierzulande bisher weithin unbeachtet ist zwischen den USA und China seit Jahren ein geopolitischer Wettbewerb im Gange, den Liu Mingfu, ehemals Dozent an der Nationalen Verteidigungsuniversität in Peking, als das »größte globale Machtspiel der Menschheitsgeschichte« bezeichnet.

Historisch betrachtet hat die Rivalität zwischen einer alten Führungsmacht und einer aufstrebenden Macht immer wieder zu Kriegen geführt. Graham Allison, Politik-Professor an der Harvard-Universität, hat 16 Fälle untersucht, in denen eine aufsteigende Nation eine etablierte Macht herausforderte. In zwölf davon kam es zum Krieg.

Bekanntestes Beispiel für diese brisante Konstellation ist die Rivalität zwischen dem vorwärtsdrängenden Athen und dem um seine Vormachtstellung fürchtenden Sparta im Altertum. Sie endete im Peloponnesischen Krieg. Dieser führte nicht nur zur Zerstörung Athens, sondern ruinierte am Ende ganz Griechenland. »Was den Krieg unvermeidlich machte, war der Aufstieg Athens und die Angst, die das in Sparta hervorrief«, so der griechische Geschichtsschreiber Thukydides. Die Konstellation wird daher allgemein als »Thukydides-Falle« bezeichnet.

Heute beunruhigt das aufsteigende China die dominierende Weltmacht USA. Im Weißen Haus in Washington wird Thukydides’ Werk über den Peloponnesischen Krieg als eine Art Menetekel betrachtet. Nicht nur Stephen Bannon, der Donald Trump als Wahlkampfmanager zuerst zum Präsidenten machte und ihm in den ersten Monaten im Amt dann als oberster strategischer Berater diente, auch Sicherheitsberater H.R. McMaster sowie Verteidigungsminister James Mattis zählen es zu ihren Lieblingsbüchern. Bannon sieht die USA schon seit längerem in einem »Wirtschaftskrieg« mit China, auf Sicht von fünf bis zehn Jahren hält er sogar einen Schießkrieg zwischen beiden Ländern im Südchinesischen Meer für »unvermeidlich«.

Wenige Wochen nach Trumps Amtsantritt ließ McMaster zwei Dutzend Exemplare von Allisons Buch über die Thukydides-Falle bestellen und empfahl sie seinen Mitarbeitern zur Lektüre. Wenig später wurde der Autor selbst eingeladen, den Nationalen Sicherheitsrat zu dem Thema zu briefen, ob es auch zwischen den USA und China zum Krieg kommen werde wie zwischen Sparta und Athen.

Allisons Antwort: Ein solcher Krieg sei zwar »nicht unvermeidlich«, aber »sehr viel wahrscheinlicher als derzeit wahrgenommen«. Aus »übersteigerten Gefühlen der eigenen Bedeutung« werde auf der Seite der aufsteigenden Macht leicht »Hybris«; aus »unvernünftiger Furcht« entwickle sich auf Seiten der vorherrschenden Macht schnell »Paranoia«. Gerade in Zeiten moderner Cybertechnologie, die es ermöglicht, den Kontrahenten blind zu machen und seine Befehlsstrukturen lahmzulegen, ergibt sich aus einer solchen Gemütsverfassung ein besonders hohes Eskalations- und Kriegsrisiko.

Auch der Politikwissenschaftler Aaron Friedberg von der Princeton-Universität sieht die Zukunft der amerikanisch-chinesischen Beziehungen düster: »Wenn China immer reicher und stärker wird, ohne sich zu einer liberalen Demokratie zu entwickeln, wird die gegenwärtig noch zurückgenommene Rivalität offener zutage treten und zu etwas Gefährlichem aufblühen.«

Für Professor John Mearsheimer von der Universität Chicago, der sich ebenso wie Allison intensiv mit dem Problem der Thukydides-Falle beschäftigt hat, gibt es gar kein Wenn mehr. Die Frage, ob China »friedlich aufsteigen« kann, beantwortet der einflussreiche Politikwissenschaftler mit einem klaren »Nein«.

Derselben Meinung ist offensichtlich auch Shinzo Abe, Regierungschef von Chinas Nachbar Japan. Schon 2014 verglich er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Pekings zunehmendes Selbstbewusstsein und seine territorialen Besitzansprüche im Süd- und Ostchinesischen Meer mit der Situation vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Damals sah sich die etablierte Seemacht England durch das große Flottenbauprogramm des deutschen Kaiserreichs herausgefordert.

Eine Studie der RAND-Corporation im Auftrag der US-Armee (Titel: »War with China: Thinking Through the Unthinkable«) kam 2016 zu dem Ergebnis, ein Krieg zwischen den USA und China sei schon in den kommenden zehn Jahren »nicht unvorstellbar« und jedenfalls »realistisch genug, um eine umsichtige Politik zu verfolgen und effektive Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen«. Das Pentagon hat seine strategische Planung für Asien bereits entsprechend angepasst, spielt seit längerem mögliche Eskalationsszenarien durch und veranstaltet regelmäßig dazu passende Kriegsspiele. Genauso wie das Verteidigungsministerium in Peking.

Mit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus hat sich die Lage zwischen den beiden Großmächten weiter zugespitzt. Trump beklagt schon seit vielen Jahren, die USA würden von China »ausgeplündert«. Der Präsident denkt ähnlich wie sein ehemaliger Berater Bannon, der das christlich-jüdische Amerika in einem »globalen Existenzkampf« mit dem islamistischen Terrorismus einerseits und dem gottlosen Kommunismus in Gestalt von China andererseits sieht. »Die fundamentale Frage unserer Zeit«, so Trump in einer Grundsatzrede bei seinem Staatsbesuch in Polen im Juli 2017, sei die Frage, »ob der Westen den Willen hat zu überleben«.

Auch nach Bannons Ausscheiden aus dem Präsidententeam gibt es im Weißen Haus eine Reihe führender Mitarbeiter, die ihren Chef in seiner Haltung zu China bestärken. Zu ihnen zählen vor allem der Handelsbeauftragte Robert Lighthizer sowie Peter Navarro, Chef des Büros für Handel und Industrie.

Lighthizer, ein erklärter Wirtschaftsnationalist, macht China für »die Krise der US-Industrie« verantwortlich. Der Wirtschaftsprofessor Navarro hat in Büchern wie »The Coming China Wars«, »Death by China« und zuletzt »Crouching Tiger – What Chinas Militarism Means for the World« seit Jahren einen konfrontativen Kurs gegen den fernöstlichen Rivalen vertreten. Peking ist für ihn »das neue Herz der Finsternis«.

Wenngleich ein heißer Krieg zwischen den USA und China zumindest in absehbarer Zukunft eher unwahrscheinlich ist – ein neuer Kalter Krieg wie einst zwischen Washington und Moskau, zumindest aber ein Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt steht ernsthaft zu befürchten. Trotz intensiver ökonomischer Verbindungen, so der Buchautor und China-Kenner James Bradley,...

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