Sebastian Kurz - Die Biografie

Sebastian Kurz - Die Biografie

von: Paul Ronzheimer

Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783451813405

Sprache: Deutsch

192 Seiten, Download: 3703 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sebastian Kurz - Die Biografie



Kapitel 1

Kindheit und Jugend


»Als hätten wir das Fluchtthema in den Genen«


Sebastian Kurz ist sechs Jahre alt, als er in seinem Leben zum ersten Mal Kriegsflüchtlinge trifft.

Es ist das Jahr 1992, der Jugoslawien-Krieg wütet nur 500 Kilometer entfernt von Wien. Tausende Tote, ein Genozid mitten in Europa. Millionen Menschen werden vertrieben oder fliehen. Über 100 000 wollen nach Österreich.

Elisabeth Kurz und Josef Kurz, die Eltern des Mannes, der 25 Jahre später Österreich und Europa verändern wird, sehen die Bilder der verzweifelten Menschen im Fernsehen. Und treffen eine Entscheidung: Sie möchten helfen.

Josef Kurz ist heute 67 Jahre alt und arbeitet trotz Rentenalters immer noch als Ingenieur. Die Ähnlichkeit mit seinem Sohn ist verblüffend, weiche Gesichtszüge, das gleiche verschmitzte Lachen.

»Das war so eine gewisse Stimmung«, erinnert sich Josef Kurz an die Zeit während des Jugoslawien-Krieges. »Man hat gehört, dass unser Bundesheer auch dort stationiert werden sollte. Wir haben dann erfahren, dass es in Niederösterreich bereits Geflüchtete gab. Und da wir Platz hatten auf dem Bauernhof in Zogelsdorf, hat eine Familie dann bei uns auf dem Hof gewohnt.«

Zogelsdorf, so heißt der Ort, in dem Elisabeth Kurz aufgewachsen ist. 150 Einwohner, ein Kriegsgräberdenkmal, eine Kapelle. Der Bauernhof, den die Großeltern von Sebastian Kurz noch bewirtschaftet hatten, ist während des Jugoslawien-­Krieges nicht mehr in Betrieb.

»Wir haben dann mit ihnen Deutsch gelernt«, sagt Josef Kurz, »manchmal bin ich mit den zwei Flüchtlingsmädchen und Sebastian ins Hallenbad und musste aufpassen, dass die alle drei nicht ertrinken.«

Dass die Kinder aus dem Krieg geflüchtet sind, versteht der Mann, der als jüngster Kanzler Österreichs in die Geschichte eingehen wird, damals noch nicht. »Dadurch, dass bei uns häufig viele Kinder zu Besuch kamen, war das nichts Ungewöhnliches«, sagt Elisabeth Kurz. »Der Unterschied war eben nur, dass sie noch nicht Deutsch sprechen konnten. Aber Flucht oder Krieg, das haben wir versucht auszublenden mit den Kindern.«

Sebastian Kurz kann sich noch heute an die Mädchen erinnern, die damals auf dem Hof gelebt haben und mit denen er zusammen unterwegs war. »Es waren Mädchen, die damals in einer extrem schrecklichen Lage waren«, sagt er. »Und doch war es so, dass sie zumindest dann beim Spielen so gewirkt haben, dass sie halbwegs unbeschwert sein können. Ich weiß noch genau, dass ich mich gefragt habe, wo denn ihre Väter sind.«

Sebastian Kurz wird als Kind früh damit konfrontiert, was Krieg, Flucht und Vertreibung bedeuten. Auch weil es Teil der eigenen Familiengeschichte ist.

Die Großmutter kommt aus Novi Sad (heute Serbien) und flüchtete als 16-Jährige im Zweiten Weltkrieg nach Niederösterreich. Sie spricht nur Ungarisch, als sie während des Krieges die 598 Kilometer durch Ungarn und die Slowakei bis nach Niederösterreich läuft. Ein wochenlanger Marsch immer in der Angst, getötet zu werden. In Niederösterreich lernt sie später Kurz’ Großvater kennen.

»Die Mama hat mir immer wieder erzählt, was dort los war«, sagt Elisabeth Kurz, die noch heute mehrmals in der Woche ihre pflegebedürftige Mutter besucht. »Die Leichen haben in den Straßengräben gelegen, sie wurden die ganze Zeit bombardiert aus der Luft. Und diejenigen, die das überlebt haben und nicht geflohen sind, wurden einfach erschossen.«

Die Großmutter von Sebastian Kurz redet bis heute viel über das, was sie während des Zweiten Weltkriegs gesehen hat. »Sie hat immer wieder plötzlich diese Bilder vor Augen und träumt auch davon. Das ist so, als hätten wir dieses Fluchtthema in den Genen«, sagt Elisabeth Kurz. »Das ist etwas Furchtbares, auch für mich. Wie eine Erinnerung, obwohl ich es nicht erlebt habe. Das ist in mir und natürlich auch die Angst.«

Sebastian Kurz fällt als Kind auf, dass seine Oma Ungarisch sprechen kann. »Das war irgendwie interessant, und ich habe sie dann immer wieder nach ihrer Geschichte gefragt. Das ist natürlich sehr prägend für einen.« Die Erlebnisse seiner Großmutter und die Bilder von den Jugoslawien-Flüchtlingen werden Sebastian Kurz auch später noch beschäftigen, als er sich in der Flüchtlingskrise gegen den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel stellt.

»Sie hat mir Disziplin und viel Liebe mitgegeben«, sagt Kurz vor der Wahl 2017 in der »Kronen Zeitung« über seine Großmutter. »Ich habe sie eigentlich immer nur arbeitend erlebt. Sie ist nie ruhig gesessen und hatte auch nie Urlaub (…) Das ist die Generation, die unser Land nach dem Krieg mit viel Fleiß aufgebaut hat, der wir unseren Wohlstand verdanken. Deshalb muss es einen Unterschied machen, ob man ein Leben lang etwas für das Land geleistet hat oder noch nie ins System einbezahlt hat. Unser Sozialsystem muss vor zu viel Zuwanderung geschützt werden.«

Migranten, Zuwanderung, Sozialsystem – es sind diese Schlagworte, die Kurz bei Kritikern zu »Strache light« machen werden. Eine Anspielung auf den Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, mit dem er nach der Wahl 2017 eine Koalition eingeht. Sebastian Kurz weist diese Vergleiche immer von sich. »Ich habe nie einen hetzenden oder träumerischen Ansatz bei der Integration gehabt, sondern immer einen pragmatischen«, sagt er. »Das hat sich in all den Jahren nie geändert.«

Kritiker sehen das anders und werfen ihm vor, seine Position im Laufe der Jahre immer der Stimmung im Land angepasst zu haben.

Aus einfachen Verhältnissen


Elisabeth und Josef Kurz wachsen 70 Kilometer voneinander entfernt auf, sie auf dem Bauernhof in Zogelsdorf, er in dem 200-Einwohner-Ort Wetzleinsdorf. Beide jeweils rund eine Stunde von Wien entfernt.

Ein Bruder von Josef Kurz wird in Wetzleinsdorf später Bürgermeister. Und Josef Zimmermann, ein Cousin von Sebastian Kurz, ist noch heute Bürgermeister in der Gemeinde Großrußbach. Zimmermann ist während der Flüchtlingskrise 2015 als Helfer für das Deutsche Rote Kreuz unterwegs. »Wir sind um vier Uhr früh an die Grenze nach Nickelsdorf gefahren, wir wollten helfen«, berichtet er während der Krise der Zeitung »Österreich«.

Es zeigt beispielhaft, wie zerrissen auch die Familie Kurz in der Flüchtlingsfrage ist. Auf der einen Seite steht ihr christlich-sozialer Glaube und ihre feste Überzeugung, dass man Menschen in Not helfen muss. Auf der anderen Seite steht die Überforderung durch eine immer größer werdende Anzahl von Flüchtlingen.

Elisabeth ist erst 16 Jahre, Josef 23, als sie sich in Wien das erste Mal treffen. »Wir haben uns beim Katharinentanz kennengelernt«, erzählt Josef Kurz, »das ist der letzte Tanz vor Weihnachten. Danach hat man damals bis Weihnachten nicht mehr getanzt.«

Elisabeth geht damals noch zur Schule, Josef arbeitet bereits als Ingenieur. »Mich haben sie schon während der Schule gefragt, ob ich zu Philips kommen möchte«, erzählt Josef Kurz. »Eigentlich bin ich nur in Reserve aufgenommen worden. Die haben mir dann etwas zum Lesen und zur Selbstbeschäftigung gegeben, mir ist das total komisch vorgekommen. Aber mein damaliger Chef wollte sich einfach absichern, damit er direkt jemanden hat. Sie haben damals oft Leute aufgenommen, obwohl es gar nicht notwendig war.«

Das junge Paar zieht schnell zusammen, in eine Wohnung am Wiener Stadtring, ihr Verdienst ist damals übersichtlich. Elisabeth Kurz hat die erste Wohnung noch heute genau vor Augen. »Das war schon eine sehr, sehr kleine Wohnung«, sagt sie. »Im Zimmer war ein Ölofen und wir sind dann immer mit einem Kanister Öl holen gegangen an einer Tankstelle. Alles hat danach gestunken. Und dann gab es nur eine Glastür zum Gang hinaus, da hat man immer gesehen, wer über den Flur geht. Das war ein bisschen gruselig.«

 

Die 70er-Jahre auf den Straßen von Wien sind wild. Protestbewegungen entstehen, es wird gegen Atomkraft auf die Straße gegangen und der SPÖ-Mann Bruno Kreisky wird Kanzler. Er hatte es zuvor als Außenminister in den 60er-Jahren geschafft, Wien zu einem wichtigen Zentrum der internationalen Diplomatie zu machen. Nun gelingt es ihm, eine Alleinregierung der SPÖ zu organisieren.

Die Angst, dass aus einem Kalten Krieg ein heißer Krieg wird, schwingt in diesen Jahren immer mit. Auch Elisabeth Kurz und Josef Kurz haben Angst davor, insbesondere Kurz’ Mutter in Zogelsdorf ist in Sorge, sie hat ihre eigene Geschichte immer vor Augen.

Und die politischen Konflikte der Welt erreichen auch ­Wien. Am 21. Dezember 1975 stürmen während einer Ministerkonferenz sechs Terroristen, darunter zwei Deutsche, das OPEC-Gebäude, töten drei Menschen und nehmen 62 Geiseln.

Während die Welt immer chaotischer zu werden scheint, versuchen Josef Kurz und Elisabeth Kurz ihr Leben ruhig zu leben. Sie beschäftigen sich wenig mit der österreichischen Politik, bei Wahlen geben sie der ÖVP ihre Stimme. »Bei uns auf dem Land wurde immer konservativ gewählt, das war einfach so«, sagt Josef Kurz.

Die Wahlkämpfe sind auch damals schon sehr umstritten. Die ÖVP versucht den Sozialdemokraten Kreisky als »Wegbereiter des Kommunismus« anzuprangern. Und der ÖVP-Bundeskanzler, gegen den Kreisky 1970 antritt, lässt sich auf Plakaten als »echten Österreicher« darstellen. Viele Sozialdemokraten verstehen das damals als antisemitische Anspielung auf Kreiskys jüdische Herkunft.

Elisabeth beginnt mit 19 Jahren ihr Lehramtsstudium. »Wir haben dann von einem Gehalt gelebt«, erzählt Josef Kurz, »es war nicht viel, was...

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