Staat ohne Gott - Religion in der säkularen Moderne

Staat ohne Gott - Religion in der säkularen Moderne

von: Horst Dreier

Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN: 9783406718724

Sprache: Deutsch

257 Seiten, Download: 2862 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Staat ohne Gott - Religion in der säkularen Moderne



EINFÜHRUNG

Der säkulare Staat
als religiöser Freiheitsgewinn


«Staat ohne Gott» heißt nicht: Welt ohne Gott, auch nicht: Gesellschaft ohne Gott, und schon gar nicht: Mensch ohne Gott. Was aber heißt es dann? Die titelgebende Wendung zielt zentral auf den Umstand, daß der Staat in der modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie auf jede Form religiöser Legitimation zu verzichten hat und sich mit keiner bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren darf. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates bildet die Kehrseite der Religionsfreiheit, die alle Bürger genießen. In einem solchen Staat ohne Gott leben Menschen gemäß ihren durchaus unterschiedlichen religiösen oder sonstigen Überzeugungen, während der Staat sich zur absoluten Wahrheitsfrage distanziert verhält und sie weder beantworten will noch kann, weil ihm dafür schlicht die Kompetenz fehlt. Religionsfreiheit der Bürger und weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sind die beiden Säulen, auf denen die Säkularität des freiheitlichen Verfassungsstaates ruht.[1] Dabei ist Säkularität des Staates nicht zu verwechseln und schon gar nicht gleichzusetzen mit der Säkularität (oder gar der massiv betriebenen Säkularisierung) der Gesellschaft im Sinne einer laizistischen Kampfparole. Mit nicht erlahmender Energie hat Martin Heckel, der Doyen des deutschen Staatskirchenrechts, immer wieder auf die «Selbstbeschränkung des säkularen Staates auf das Säkulare» und darauf hingewiesen, daß dieser sich eben gerade nicht des Religiösen bemächtigen oder sich als «säkularisierender Staat» gerieren dürfe.[2] Der freiheitliche, säkulare Verfassungsstaat versteht sich nicht als Widerpart des Glaubens, sondern bietet diesem eine Plattform. Staat ohne Gott und kraftvolle Religiosität in der Gesellschaft schließen sich mithin keineswegs aus. Im Gegenteil: Die verschiedenen religiösen Gruppen können sich überhaupt nur dann ungehindert als gleichberechtigte Freiheitsträger mit umfänglichen Betätigungsmöglichkeiten entfalten, wenn der Staat selbst sich weltanschaulich strikt neutral verhält und nicht Partei ergreift. Die gleiche Freiheit aller auch in Fragen des Glaubens und der Weltanschauung bedingt die korrespondierende Enthaltsamkeit des Staates. Die Säkularisierung des Staates ist daher freiheitsnotwendig und entfaltet – nur scheinbar paradox – religionsbegünstigende Wirkungen.[3] Ganz in diesem Sinne hat Bischof Wolfgang Huber in einer Rede aus dem Jahre 2007 über den «Dialog der Religionen in einer pluralen Gesellschaft» zutreffend davon gesprochen, daß die Religionsfreiheit als universales Menschenrecht «nur verwirklicht und gesichert werden kann, wenn die staatliche Ordnung einen säkularen, demokratischen Charakter trägt und eine Pluralität von Meinungen und Gruppen zulässt».[4]

«Staat ohne Gott» ist mithin keine Streitschrift für einen kämpferischen Atheismus. Es ist überhaupt keine Streitschrift, sondern eine Analyse. Diese mag allerdings insofern als streitbar verstanden werden, als sie aufzeigt, daß die säkulare Grundrechtsdemokratie des Grundgesetzes mit jedweder Form eines Gottesstaates, einer Theokratie, einer sakralen Ordnung oder eines christlichen Staates gänzlich unvereinbar ist. Im freiheitlichen Verfassungsstaat ist die Autorität des Rechts von der Autorität eines bestimmten Glaubens oder einer bestimmten Weltanschauung abgekoppelt. «Der moderne Verfassungsstaat ist ein innerweltliches Projekt.»[5] Sosehr auch der freiheitliche säkulare Staat mit seinen Regelungen und Maßnahmen zuweilen tief in das Leben der Menschen eingreift, sowenig maßt er sich dabei Entscheidungskompetenzen über die fundamentalen metaphysischen Fragen nach dem Sinn der Welt und unseres Daseins in ihr an. Der Staat soll Frieden stiften und Freiheit gewährleisten, Wohlfahrt und Ordnung garantieren und das Miteinander der Menschen auf eine allseits verträgliche Weise organisieren. Doch so wichtig diese Aspekte zweifelsohne sind, so klar ist auch, daß sie nur Fragen unserer äußeren Lebensverhältnisse und insofern «vorletzte» Fragen betreffen. Die Antwort auf die letzten Fragen nach dem Sinn unserer Existenz, dem Warum, Woher und Wozu – sie überläßt er jedem Einzelnen. Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, «daß das Grundgesetz den Staat nicht als den Hüter eines Heilsplanes versteht, kraft dessen er legitimiert erschiene, dem Menschen die Gestaltung seines Lebens bis in die innersten Bereiche des Glaubens und Denkens hinein verordnen zu dürfen».[6] Er ist keine sinnstiftende Instanz. «Der moderne säkulare Verfassungsstaat hat ausdrücklich auf die Legitimationsressource ‹Religion› verzichtet, und nur dadurch konnte er die Religionsfreiheit gewähren.»[7] Um es in Anspielung auf einen berühmten Satz des Römerbriefes zu sagen: Die Obrigkeit des freiheitlichen Verfassungsstaates ist nicht von Gott. Hier geht, wie es das Grundgesetz in Artikel 20 formuliert, alle Staatsgewalt vom Volke aus. Nach diesem Prinzip der Volkssouveränität gründet sich staatliche Herrschaft weder auf das Gottesgnadentum eines Monarchen oder das Charisma überragender Führergestalten noch auf eine metaphysische Idee oder sakrale Instanz, sondern allein auf den Willen der zum Staatsvolk zusammengefaßten Individuen. «We the People» – das sind die berühmten ersten drei Worte der US-Verfassung von 1787. Jenseits dieses Volkes gibt es für den irdischen Staat und das weltliche Recht keine weitere Legitimationsinstanz oder Sinnstiftungsquelle.[8] Umso kräftiger strahlt daher ein anderer biblischer Satz: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.»

Müssen sich Politik und Religion, Herrschaft und Heil, Staat und Glaube trennen und der Staat sich ohne Transzendenzbezug etablieren und legitimieren, führt das weder zur Heillosigkeit der Welt noch zum verordneten Atheismus, sondern entpuppt sich gerade unter den pluralen Bedingungen der säkularen Moderne als heilsam: heilsam vor allem für die friedliche Koexistenz verschiedener Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und für die allen Menschen gleichermaßen zustehende Möglichkeit, sich zu einer dieser Gemeinschaften zu bekennen und das eigene Leben an deren Lehren auszurichten – oder sich von ihnen gänzlich fernzuhalten. Entscheidend ist die Einsicht, daß die nach langen und schweren Kämpfen erreichte «politische Neutralisierung religiöser Wahrheitsansprüche» nicht automatisch einen umfassenden Bedeutungsverlust der Religion zur Folge haben muß oder gar nur als «Resultat einer allgemeinen Vergleichgültigung dieser Bekenntnisse»[9] zu begreifen wäre. Auch erfaßt die zweifellos besonders markante Sentenz des protestantischen Kirchenrechtlers Rudolph Sohm, der Staat an sich sei ein «geborener Heide»,[10] die Sachlage nicht recht, weil diese Charakterisierung schon wieder als Stellungnahme zuungunsten der Religion verstanden werden könnte. Davon kann aber keine Rede sein. Denn der säkulare Staat befindet sich in einem Verhältnis der Äquidistanz zu allen religiösen wie weltanschaulichen Positionen, nicht in einer Oppositionshaltung zu ihnen.

Die eigentliche Pointe der historischen Entwicklung liegt nämlich gerade darin, daß die Ausdifferenzierung der Sphären die Religion keineswegs zwingend schwächt, sondern durchaus zu ihrer Stärkung als Glaubensmacht führen kann.[11] Jedenfalls ist mit dem säkularen Staat mitnichten ein erster Schritt in Richtung Religionslosigkeit getan. Säkularität des Staates ist «kein anti-religiöses Projekt».[12] Denn gerade weil umfassende Religionsfreiheit gewährt wird, ist insbesondere den Glaubensgemeinschaften breiter Raum zur Entfaltung, zur hör- und sichtbaren Praxis, auch zur Einmischung in öffentliche Angelegenheiten gegeben. Religiöse Freiheit meint gerade nicht den «Rückzug der Kirchen in den Bereich des Privaten und auf das Feld einer individualistisch verkürzten Frömmigkeit».[13] Sie kann sich auch darin äußern, sich kraftvoll in das gesellschaftliche Geschehen einzumischen. Keineswegs ausgeschlossen ist demzufolge «das politische Eintreten für Ziele und Forderungen, die sich aus religiöser Motivation herleiten».[14] Dies alles zeigt klar: Der säkulare Staat perhorresziert Religion nicht, ordnet sie aber der Sphäre der Gesellschaft zu. Sie ist nicht länger Fixpunkt und Legitimationsanker politischer Herrschaft, sondern Gegenstand persönlichen Glaubens und Handelns. Zutreffend hat man es als den dogmatisch wie rechtshistorisch springenden Punkt bezeichnet, daß Säkularisierung «nicht zur Religionsbekämpfung, sondern zum Schutz der religiösen ...

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