Nur das Geistige zählt - Vom Bauhaus in die Welt - Erinnerungen

Nur das Geistige zählt - Vom Bauhaus in die Welt - Erinnerungen

von: Ré Soupault, Manfred Metzner

Verlag Das Wunderhorn, 2018

ISBN: 9783884235898

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 5060 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Nur das Geistige zählt - Vom Bauhaus in die Welt - Erinnerungen



Pommern


Es gibt zwei Wege im Leben: der eine führt nach außen: Karriere, Geltung, Besitz… der andere nach innen: Arbeit, aber ohne Rücksicht auf äußeren Erfolg, schöpferische Arbeit, die ihren Lohn in sich selbst findet. Der Gedanke richtet sich auf die geistigen Errungenschaften des Menschen, dem Forschen nach dem Sinn des Lebens. Beispiele dafür sind die Philosophen der Antike, vor allem die Griechen. Es gehören dazu auch die sogenannten Religions-gründer wie Jesus und Buddha.

Eine solche Lebenshaltung bestimmt zugleich den Umgang mit anderen Menschen: niemandem die eigene Erkenntnis aufdrängen, die Persönlichkeit des anderen anerkennen, ihm mit Toleranz und Sympathie begegnen.

Es gibt kein anderes Glück für den Menschen als das, was er in sich selbst findet. Der Schriftsteller Nicolas Chamfort, der sich 1794 (während des Terrors) das Leben nahm, hat es richtig gesagt: »Le bonheur n’est pas chose aisée: il est très difficile de le trouver en nous, et impossible de le trouver ailleurs«. (»Das Glück ist kein leichtes Ding: sehr schwer, es in uns zu finden, und unmöglich, es anderswo zu finden.«)

Dieses Wort stellt Schopenhauer seinen »Aphorismen zur Lebensweisheit« voran.

Die anderen Menschen ändern zu wollen, ist vergebliche Mühe. Uns selbst aber können wir bis zu einem gewissen Grade ändern. Dabei hilft das Unterscheidenlernen zwischen vergänglichen und unvergänglichen Dingen. Spinoza begann ein Philosoph zu werden, als er erkannte, daß es sich nicht lohne, vergängliches Gut zu erwerben. »Ich suchte nach dem unvergänglichen Gut«, schrieb er.

Aber genug von allgemeinen Betrachtungen. Ich glaube, ich hörte zum ersten Mal von Schopenhauer durch Walter Ebach. Meine Zeichenlehrerin – sie hieß Fräulein Wimmer – am Kolberger Lyzeum, nahm bei ihm Privatstunden in Philosophie. Aber damals kannte ich ihn noch nicht persönlich.

Fräulein Wimmer war vielleicht die einzige vernünftige Person unter allen Professoren der Schule. Auch hieß es, sie sei Sozialistin, was man damals nicht laut sagen durfte. Wir lebten in einer Zeit (zwischen 1918 und 1920 hat sich dies alles zugetragen), wo es den Begriff »Kommunismus« noch gar nicht gab. Der Sozialismus war noch der Bürgerschreck.

Also mit Fräulein Wimmer ließ es sich gut reden. Sie gab Privatstunden im Zeichnen und da ich immer eine Eins im Zeichnen hatte, beteiligte ich mich an ihren Privatstunden. Wir bildeten eine kleine Gruppe. Es ging mir weniger ums Zeichnen, als um Gespräche mit einer vernünftigen Person. Wir zeichneten am Hafen oder draußen in der Natur. Jeder hatte seinen kleinen Klappschemel und diese Stunden waren Lichtblicke in einer sehr düsteren Welt. Denn es war das Ende des Ersten Weltkrieges. Die Blockade, Mangel an allem. Wenigstens hatte mit der Niederlage das tägliche Morden aufgehört. Aber wie sah die Zukunft aus? Mein Ziel war damals – denn ein Ziel mußte man ja haben – Lyzeumslehrerin zu werden.

Nachdem 1917 mein Bruder Werner gefallen war, kam meine Schwester für einige Zeit nach Kolberg, »damit ich nicht allein war«. Sie wohnte in einer Familienpension, deren Besitzerin ein Fräulein Röpke (oder so ähnlich) war. Diese Pension lag am Viktoriaplatz und ich wohnte nahe davon, Viktoriastraße 9. Meine »Pensionsmutter« hieß Frau Dietz. Sie war die Witwe eines sehr wohlhabenden Kaufmanns, mußte aber jetzt Zimmer an Lyzeumsschülerinnen vermieten, weil sie offenbar ganz verarmt war. Es hieß, daß ein ungeratener Sohn, der in Südafrika das Weite gesucht hatte, an dem Ruin der Familie Schuld hatte. Aber Frau Dietz hatte auch eine Tochter, die der Mutter in rührender Weise beistand. Fräulein Dietz – sie war unsympathisch und unschön, aber der Schein trügt manchmal – arbeitete in einem Lazarett, und zwar in leitender Stellung. So half sie ihrer Mutter mit Lebensmitteln, die das große Problem (neben Kleidung und Heizung) jener Zeit waren. Wir waren drei in einem Zimmer. Mit mir zusammen waren Käte Plack und Edith Engel.

In der Pension Röpke waren viele Gäste. Jedenfalls erinnere ich mich an einen großen Eßtisch. Da war zum Beispiel ein Geschwisterpaar – vielleicht aus Berlin, aber ich bin nicht sicher – : Fräulein Jung und ihr Bruder, ein Biologe, glaube ich. Der Direktor des einzigen Warenhauses in Kolberg. Er hieß Seitz. In diesem Warenhaus war auch eine Schneiderwerkstatt, die »Haute couture« von Kolberg. Meine Schwester ließ sich dort ein sogenanntes »Schneiderkostüm« arbeiten. Ein großes Ereignis in solchen Mangelzeiten. Ich erinnere mich, daß es mausgrau war, mit enger Taille und – wie es damals Mode war – mit langem Rock.

In dieser Pension wohnte auch der Studienassessor Walter Ebach. Vielleicht aß er auch nur dort, dessen bin ich nicht ganz sicher. Jedenfalls sah ich ihn hier zum ersten Mal, nachdem ich schon von ihm gehört hatte. Er galt als ungewöhnlich intelligent. Seine philosophischen Schlußfolgerungen waren immer von höchster Überzeugungskraft. Außerdem war er entschieden sozialistisch angehaucht, also seine Denkweise sehr fortschrittlich. Das Niveau der meisten Professoren – jedenfalls was das Lyzeum betraf – war katastrophal. Ich will hier nicht von meinem Englischlehrer sprechen – er hieß Tiemens – der sich durch einen anrüchigen Konformismus auszeichnete. Z. B. verlangte er von den Schülerinnen, daß er auf der Straße mit einem »Knicks« gegrüßt wurde. Heute ist sicher sogar die Erinnerung an solche vorsintflutlichen Vorschriften verschwunden. Die meisten von uns wichen dem »Knicks« aus (es ist richtig, daß nur Herr Tiemens ihn verlangte), indem sie die Straße überquerten oder sich umwandten, wenn dieser Englischlehrer auftauchte. Was der dann in der nächsten Stunde erwähnte. Wirklich ein großer Dummkopf. Er hatte feuchte Froschhände und bestand darauf, daß vor den Ferien jede ihm die Hand geben mußte.

Der Direktor, Professor Roedtke, war der einzige Lichtblick in dieser Schule. Mit ihm konnte man reden. Er hatte Verständnis für junge Menschen, die in der allgemeinen Not ja nicht das geringste Vergnügen kannten. Siegesfeiern, Vaterlandslieder, Klappern mit den Holzsandalen (lederne Schuhe gab es schon längst nicht mehr), ungeheizte Zimmer, Schlange stehen nach ein paar Bonbons, die sofort an die Front geschickt wurden: das waren die Zerstreuungen damals. Allerdings gab es den »Wandervogel«1. Unsere Turnlehrerin, namens Katherin, war die Führerin. Ob man wollte oder nicht: jeder mußte dem »Wandervogel« beitreten. Ich wollte übrigens gern, wenn nur nicht die weiten Märsche am Sonntag gewesen wären. Katherin war sehr groß und mager und hatte lange Beine; ihr Tempo war dem entsprechend. Mit Rucksack, Kochtopf und Gitarre ging es bei Morgengrauen los. Man atmete auf, wenn das Wetter manchmal diese Sonntagsmärsche verhinderte. Aber an einen sehr schönen Ausflug erinnere ich mich. Es war Sommer und die Sonne schien. Auf den Dünen von Horst – einem kleinen Fischerdorf an der Ostsee – machten wir Rast und die Arbeit für die Kocherei wurde eingeteilt: die einen machten Feuer, die andern sammelten Holz; einige suchten nach etwas Essbarem. Meistens waren es Kartoffeln, vielleicht, wenn wir Glück hatten, rückten die Bäuerinnen ein Stückchen Speck und ein paar Eier heraus. Meistens ging es mit Kartoffeln. Und dann wurde gesungen mit Gitarrebegleitung. Aber wenn man abends nach Hause kam, fiel man vor Müdigkeit um. Katherin übertrieb: sie wollte uns abhärten.

Einmal fragte mich Fräulein Wimmer, was ich nach dem Reifezeugnis machen wollte. Ich sagte ihr, vielleicht ohne besondere Begeisterung, daß ich wohl Lehrerin werden würde. Sie fand, das sei keine sehr gute Idee. Ob ich nicht lieber meine Zeichenbegabung ausbilden wollte? In Wirklichkeit war es mir gleich, was ich machen würde, nur frei wollte ich sein. In der Hoffnungslosigkeit dieses Kriegsendes war alles grau: nirgends ein Lichtblick. Da zeigte mir Fräulein Wimmer das Manifest von Gropius. Das Bauhaus. Da war eine Idee, mehr noch ein Ideal: keinen Unterschied mehr zwischen Handwerkern und Künstlern. Alle zusammen, in einer neuen Gemeinschaft, wollten die »Kathedrale« der Zukunft bauen. Da wollte ich mitmachen.

Aber Fräulein Wimmer war vielleicht ein wenig erschrocken über meine Begeisterung, denn sie sagte, sie hätte das Bauhaus in Weimar besucht und ihr schien, daß die Idee von Gropius eine Utopie sei. Sie fand, eine Kunstschule in Berlin wäre geeigneter. Außerdem wäre in Weimar nur Platz für höchstens 100 Schüler und es würde sicher schwer sein, aufgenommen zu werden.

Nun, ich versuchte es trotzdem. Man mußte Arbeiten einreichen und einige Fragen beantworten. Und dann kam die Antwort. Sie war positiv. Mir lag mehr an der neuen Gemeinschaft als an der Ausbildung meines Maltalentes. Aber meine Eltern sahen sicher nur...

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