Abendliche Häuser

Abendliche Häuser

von: Eduard von Keyserling

Null Papier Verlag, 2019

ISBN: 9783962814526

Sprache: Deutsch

181 Seiten, Download: 1893 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Abendliche Häuser



Erstes Kapitel


Auf Schloss Pa­du­ren war es recht still ge­wor­den, seit so viel Un­glück dort ein­ge­kehrt war. Das große brau­ne Haus mit sei­nem schwe­ren, wun­der­lich ge­schweif­ten Da­che stand schweig­sam und ein we­nig miss­mu­tig zwi­schen den ent­laub­ten Kas­ta­ni­en­bäu­men. Wie di­cke Fal­ten ein al­tes Ge­sicht durch­schnit­ten die großen Halb­säu­len die brau­ne Fassa­de. Auf der Freitrep­pe lag ein schwar­zer Set­ter, streck­te alle vier von sich und ver­such­te sich in der mat­ten No­vem­ber­son­ne zu wär­men. Zu­wei­len ging eine Magd oder ein Stall­bur­sche über den Hof lang­sam und läs­sig. Hier schi­en es, hat­te nie­mand Eile. In der of­fe­nen Stall­tü­re lehn­te Mah­ling, der alte Kut­scher mit dem wei­ßen Bart, und gähn­te. In der of­fe­nen Gar­ten­pfor­te stand Gar­be, der Gärt­ner, und ver­zog sein glat­tra­sier­tes Sek­tie­rer­ge­sicht und blin­zel­te in die Son­ne. Dann be­gan­nen die bei­den Män­ner auf­ein­an­der zu­zu­ge­hen, mit­ten zwi­schen Stall und Gar­ten blie­ben sie ste­hen, spra­chen ei­ni­ge Wor­te zu­ein­an­der, schwie­gen, spuck­ten aus, lie­ßen wie­der ei­ni­ge Wor­te fal­len.

Auf der an­de­ren Sei­te des Hau­ses wur­de eine Glas­tür ge­öff­net, die ge­ra­de­wegs in den Gar­ten führ­te, und der Schloss­herr, der Baron von der War­the, wur­de in sei­nem Roll­stuhl von sei­nem Die­ner Chri­stoph hin­aus­ge­fah­ren. Dicht in sei­nen Pelz gehüllt, eine Pelz­müt­ze auf dem Kop­fe, schwank­te die in sich zu­sam­men­ge­bo­ge­ne Ge­stalt im Stuh­le sach­te hin und her. Das Ge­sicht war sehr bleich und in sei­ner stren­gen Re­gel­mä­ßig­keit von ei­ner mü­den Aus­drucks­lo­sig­keit, nur die her­vor­tre­ten­den Au­gen wa­ren noch wun­der­lich klar und blau. Ne­ben dem Roll­stuhl schritt die Schwes­ter des Barons, die Baro­nes­se Ara­bel­la, hin, groß und ha­ger in ih­rem schwar­zen Man­tel und dem we­hen­den Trau­er­schlei­er, das Ge­sicht schmal und mes­ser­scharf zwi­schen den ge­bausch­ten wei­ßen Schei­teln. So ging es die feuch­ten Herbst­we­ge des Parks ent­lang, auf de­nen die Herbst­blät­ter ra­schel­ten. Von den Bäu­men fie­len Trop­fen, und die Wip­fel wa­ren voll lär­men­der Ne­bel­krä­hen. Chri­stoph steck­te das Kinn tiefer in den auf­ge­schla­ge­nen Kra­gen des Li­vree­man­tels und schnauf­te ein we­nig in der An­stren­gung des Sto­ßens. Dann hielt er plötz­lich still, sein Herr hat­te ein Zei­chen mit der Hand ge­macht, der Baron sah zu sei­ner Schwes­ter auf und sag­te mit ei­ner Stim­me, die är­ger­lich und ge­quält klang: »Sag’ mal, Ara­bel­la, was ist die Dach­hau­sen für eine Ge­bo­re­ne?« – »Birk­mei­er, die Fa­bri­kan­ten­toch­ter«, er­wi­der­te die Baro­nes­se ru­hig und wie me­cha­nisch. Be­frie­digt ließ der Baron den Kopf sin­ken, und Chri­stoph schob den Stuhl wei­ter.

Und doch vor we­ni­gen Wo­chen noch war Pa­du­ren die Hoch­burg des ade­li­gen Le­bens in die­ser Ge­gend ge­we­sen, und der Baron Sieg­wart von der War­the hat­te hier eine stil­le, aber un­be­strit­te­ne Herr­schaft über sei­ne Stan­des­ge­nos­sen aus­ge­übt. Der klei­ne rund­li­che Herr mit dem stren­gen, fei­er­li­chen Ge­sicht, das von dem wei­ßen Haar und wei­ßen Ba­cken­bart wie von ei­nem sil­ber­nen Hei­li­gen­schein um­rahmt wur­de, war das Ge­wis­sen die­ses Adels­win­kels ge­we­sen. Öf­fent­li­che Äm­ter moch­te er nicht be­klei­den, in Ver­samm­lun­gen schwieg er. »Ich bin kein Tri­bü­nen­läu­fer«, pfleg­te er zu sa­gen, aber sei­ne An­sicht war den­noch stets die aus­schlag­ge­ben­de, und in je­der wich­ti­gen Sa­che war es die Haupt­fra­ge: »Was sagt von der War­the?« In Sa­chen der Po­li­tik und der Land­wirt­schaft, in Fa­mi­li­en­an­ge­le­gen­hei­ten und Ehren­hän­deln, über­all sprach er das wich­tigs­te Wort mit. Er lieh Geld de­nen, die es nö­tig hat­ten und die er des­sen wür­dig hielt, und wach­te streng dar­über, dass gute alt-edel­män­ni­sche Sit­te hier nicht in Ver­fall ge­riet. Wenn der Baron von der War­the die grei­sen Au­gen­brau­en in die Höhe zog, mit der fla­chen Hand durch die Luft von oben nach un­ten fuhr, als mach­te er einen Sarg­de­ckel zu, und lei­se sag­te: »Hm – ja, scha­de, aber der Mann ist er­le­digt«, dann war der Mann für die­se Ge­gend wirk­lich er­le­digt. Der Baron war sich sei­ner Stel­lung wohl be­wusst, und er ge­noss sie, und sie war viel­leicht die ein­zi­ge wirk­li­che Freu­de sei­nes Le­bens. Im­mer wohl­wol­lend wür­dig zu sein, ge­ach­tet und ein we­nig ge­fürch­tet zu wer­den, mag ein großes Gut sein, es macht je­doch ein­sam und ist nicht ge­ra­de hei­ter. Das gab dem Baron wohl auch den fei­er­li­chen, ein we­nig un­ge­müt­li­chen Aus­druck; er sah aus, als dür­fe er sich nie ge­hen las­sen und als sei ihm die­ses selbst zu­wei­len un­be­quem. Dietz von Egloff, der es lieb­te, von äl­te­ren Her­ren re­spekt­los zu spre­chen, mein­te: »Dem Ge­sicht des al­ten War­the wür­de ich es gön­nen, sich ein­mal eine Stun­de lang nach Her­zens­lust ver­zie­hen zu dür­fen, um sich von der ewi­gen Wür­de gänz­lich er­ho­len zu kön­nen.« Der Baron lieb­te es, wenn es hei­ter um ihn her war, sei­ne Jag­den und sein Rot­wein wa­ren be­rühmt, aber er konn­te sich nicht ver­heh­len, dass die Leu­te sich ge­ra­de dann am bes­ten un­ter­hiel­ten, wenn er zu­fäl­lig nicht zu­ge­gen war. Das moch­te ihn zu­wei­len ein we­nig me­lan­cho­lisch ma­chen, aber er ge­stand sich das selbst nicht ein und war über­zeugt, dass er das bes­se­re Teil er­wählt habe, die Weis­heit, die Wür­de und die Macht. Die jun­gen Leu­te lieb­ten ihn nicht, lach­ten über ihn, wenn sie un­ter sich wa­ren, und nann­ten ihn den »Baron Miss­bil­li­gung«. Al­lein sie fürch­te­ten ihn, und wenn sie in Schwie­rig­keit ge­rie­ten, wand­ten sie sich stets an ihn. Die al­ten Her­ren be­wun­der­ten ihn und lausch­ten sei­nen Wor­ten wie ei­nem Evan­ge­li­um.

Am Ka­min bei der Nach­mit­tags­zi­gar­re lieb­te es der Baron, zu sei­nem al­ten Freun­de, dem Baron Port auf Wit­zow, von sei­nen Grund­sät­zen zu spre­chen: »An­sich­ten, die jun­gen Leu­te wol­len jetzt al­ler­hand An­sich­ten ha­ben. Nun ja, ich be­strei­te ja nicht, es mag al­ler­hand An­sich­ten und Grund­sät­ze ge­ben, die ganz gut und rich­tig sind für an­de­re. Man braucht ja schließ­lich kein Edel­mann zu sein, aber für uns gibt es ge­wis­se An­sich­ten und Grund­sät­ze, die rich­tig und wahr sind, nicht weil je­mand sie uns be­wie­sen hat, son­dern weil wir wol­len, dass sie rich­tig und wahr sind. Mir braucht man nichts zu be­wei­sen und zu er­klä­ren. Ich will, dass das und das wahr und rich­tig ist, weil, wenn das falsch ist, ich nicht mehr der von der War­the bin, der ich bin, und du nicht von Port bist, der du bist, weil wir sonst bei­de alte Nar­ren wä­ren. Siehst du, das sage ich.«

Als sein Freund zu spre­chen an­fing, hat­te der Baron Port sich aus der leich­ten Nach­mit­tags­schläf­rig­keit auf­ge­rüt­telt. Er beug­te den schwe­ren Ober­kör­per nach vorn, leg­te die Hand an das Ohr und hör­te auf­merk­sam zu. Als die Rede zu Ende war, schlug er dem Baron von der War­the mit der fla­chen Hand auf das Knie und mein­te: »Da hast du wie­der recht, Bru­der.« Dann lehn­ten die bei­den Her­ren sich in ihre Ses­sel zu­rück und so­gen be­frie­digt an ih­ren Zi­gar­ren.

Vor­bild­lich wie die An­sich­ten...

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